Mission Mondbasis

Bis 2020 will die NASA wieder Astronauten auf den Mond bringen, die dort eine Basis errichten sollen. Und diesmal könnte auch die ESA mit dabei sein.

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Von
  • Keno Verseck

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Vierzig Jahre nach der Apollo-11-Mission rüsten die Supermächte sich für ein neues Rennen zum Mond. Für die USA geht es diesmal nicht nur um einen kurzen Besuch.

In der tödlichen Einöde der Mondoberfläche ist der Rand des Shackleton-Kraters ein vergleichsweise angenehmer Ort: Fast immer scheint die Sonne – die Temperatur schwankt nicht, wie anderswo, im Verlauf von Tag und Nacht um zweihundertfünfzig, sondern nur um fünfzig Grad. Im Kraterinneren herrscht zwar ewiges Dunkel. Aber das bedeutet Schutz vor mörderischer UV- und Röntgenstrahlung. Sogar für die Postkartenidylle ist gesorgt: Zwei Wochen im Monat zeigt sich der blaue Planet riesenhaft und in einzigartiger Schönheit knapp über dem Horizont. Das beste aber ist: Der Boden könnte mit feinsten Körnchen aus Wassereis und gefrorenen Gasen durchsetzt sein – wahrscheinlich Überbleibsel des Kometen, der vor Urzeiten an dieser Stelle einschlug.

Ein natürliches Vorkommen dieses wichtigsten aller Lebensmittel und zugleich Rohstoffs für die Sauerstoffversorgung künftiger Mondbewohner würde der Nasa gut ins Konzept passen. Denn 40 Jahre nach der Apollo-11-Mission, die am 21. Juli 1969 erstmals Menschen auf den Mond brachte, arbeitet die US-Raumfahrtagentur mit Hochdruck an der Rückkehr zur Stätte ihres größten Triumphes. Mit ihrem Constellation-Programm will sie bis 2020 Astronauten für mindestens eine Woche auf den Mond schicken. Und diesmal sollen sie nicht einfach nur ein paar Proben einsammeln und wieder nach Hause fliegen, sondern eine Baustelle erschließen: In kurzen Abständen sollen danach weitere Missionen folgen, um binnen weniger Jahre eine dauerhafte Mondstation zu errichten.

Der neunzehn Kilometer große Shackleton-Krater nahe dem Südpol des Mondes gilt als einer der geeignetsten Orte auf dem Erdtrabanten, an dem Astronauten eine permanente Basis errichten könnten, seitdem die US-Sonde Lunar Prospector 1999 Daten zur Erde funkte, die auf mögliche Wassereisvorkommen auf dem Mond schließen ließen. Nun sollen gleich zwei unbemannte Mondmissionen weitere Details klären, der Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) und der Lunar Crater Observation and Sensing Satellite (LCROSS). Die Raumsonden, die am 18. Juni gestartet sind und die noch vergleichsweise wenig erforschten Polregionen des Erdtrabanten überfliegen, sollen vor allem den Südpol in bisher unerreichter Detailfülle erkunden. Die Daten werden Aufschluss darüber geben, wo die besten Landeplätze für künftige Astronauten zu finden sind. Die sieben LRO-Instrumente werden ganz gezielt nach Wassereis suchen und die Polregionen mit einer Auflösung von bis zu einem Meter fotografieren und vermessen; sie zeichnen außerdem lokale Temperatur-, Licht- und Strahlungsverhältnisse auf. Bei der LCROSS-Mission wird die ausgebrannte Oberstufe der Atlas-Centaur-Rakete, die beide Sonden zum Mond gebracht hat, im Oktober dieses Jahres in einen Polkrater einschlagen, voraussichtlich am Südpol. Die Instrumente der LCROSS-Sonde sollen dann messen, aus welchen Materialien die bis zu zehn Kilometer hoch aufgewirbelte Einschlagswolke besteht und ob sie Wassermoleküle enthält.

Schon die erste Mondlandung im Jahr 2020 ist deutlich aufwendiger konzipiert als die Missionen des Apollo-Programms: Eine zweistufige, 116 Meter hohe Ares-V-Rakete soll zunächst das Mondlandemodul Altair in eine Erdumlaufbahn bringen. Dann folgen mit der leichteren Ares-I die Astronauten samt Servicemodul im Orion-Raumschiff und docken an das Landemodul an. Die zweite Stufe der Ares-V befördert Menschen und Material zum Mond. In der Mondumlaufbahn steigen die Astronauten in das Landemodul um, Orion und Servicemodul verbleiben im Mondorbit. Altair ermöglicht den Astronauten einen Aufenthalt von bis zu einer Woche auf dem Mond. Danach fliegen sie im Crew-Modul des Landers zurück zum Orion-Raumschiff, das sie nach Hause bringt. Bis Langzeit-Astronauten auf dem Mond wissenschaftlich arbeiten, wird allerdings noch reichlich Zeit vergehen – wie bei der internationalen Raumstation ISS wären die jeweiligen Crews über Jahre hinweg fast ausschließlich damit befasst, die Station aufzubauen und deren Betrieb zu organisieren. Allein dafür müssen gewaltige technologische Probleme gelöst werden.

Noch vergleichsweise einfach zu verwirklichen wäre die Stromversorgung von Astronauten auf dem Mond, zumindest wenn sie sich in Polgegenden aufhalten. Dort gibt es Punkte, an denen nahezu ständig die Sonne scheint und an denen Photovoltaik-Kraftwerke gebaut werden könnten. Für Gegenden, in denen phasenweise Dunkelheit herrscht, schlagen Experten den Bau „umweltfreundlicher“ Hubspeicherkraftwerke vor: Sie würden elektrische Energie in potenzielle Energie umwandeln, indem Gewichte angehoben werden. Ingenieure haben für solche Kraftwerke Wirkungsgrade von über 80 Prozent errechnet.

Scheint die Energieversorgung relativ unproblematisch, so steht anderseits noch nicht einmal prinzipiell fest, wie Langzeitbewohner des Mondes mit Luft, Treibstoff und Lebensmitteln versorgt werden oder wie sie Baustoffe herstellen könnten. Klar ist nur: Auf ständigen Nachschub von Mutter Erde dürfen sie nicht hoffen. Wegen der enormen Transportkosten müssten sie Ressourcen so weit wie möglich aus vorhandenen Rohstoffen gewinnen oder immer wieder möglichst verlustfrei recyceln.


Für den Fall, dass in den Kratern der Mondpole kein Wassereis aus Kometeneinschlägen gefunden wird, könnte Sauerstoff auch aus Mondstaub gewonnen werden. Schließlich besteht der Erdtrabant zu 43 Prozent aus dem lebenswichtigen Element – das allerdings in Form von Siliziumoxid (Sand) sehr fest gebunden ist. Das einfachste, aber auch ineffizienteste Verfahren, um den Sauerstoff daraus zu gewinnen, wäre die sogenannte Vakuum-Pyrolyse: Man muss dazu den „Regolith“ genannten Mondstaub auf etwa 2500 Grad erhitzen. Chemiker haben knapp zwei Dutzend Verfahren zur Sauerstoffgewinnung auf dem Mond vorgeschlagen. Alle seien jedoch in einem „sehr, sehr vorläufigen Laborstadium“, sagt der Astrophysiker Wolfgang Seboldt, der sich beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln unter anderem mit Materialgewinnung und Prozesstechnik auf dem Mond beschäftigt.


Vor allem aber müssen sich Astronauten auf dem Mond vor schädlicher Strahlung schützen. Da der Mond weder über ein nennenswertes Magnetfeld noch eine Atmosphäre verfügt – und auch nicht durch das Erdmagnetfeld geschützt wird wie etwa die Raumstation ISS im Orbit –, geht der sogenannte Sonnenwind fast ungehindert auf die Mondoberfläche nieder. Der besteht vor allem aus hochenergetischen Protonen. Eine Abschirmung wie bei der ISS reicht daher nur für Aufenthalte von zwei bis drei Wochen – und auch nur dann, wenn in dieser Zeit kein Sonnensturm stattfindet. „Die Apollo-Astronauten hatten Glück, dass es keine Sonneneruption gab, als sie zum Mond geflogen sind“, sagt Günther Reitz, Leiter der Abteilung Strahlenbiologie des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR „vor Strahlungsausbrüchen der Sonne wären sie kaum geschützt gewesen.“ Nur Höhlen oder Behausungen unter einer meterdicken Regolith-Schicht böten einen effektiven Schutz. Doch was, wenn sich während einer Tour im Rover eine Sonneneruption ereignet und ein Schutzraum weit entfernt liegt? „Es gibt noch keine Lösung für den Strahlenschutz“, sagt der Kölner Raumfahrtmediziner. „Wir haben ja noch nicht einmal exakte lokale Messdaten der Strahlung, die auf dem Mond ankommt.“


Wichtig ist daher auch die Herstellung von Baustoffen auf dem Mond. Zement und Beton beispielsweise lassen sich theoretisch recht gut aus Mondmaterial erzeugen, hat eine Mond-
Arbeitsgruppe des Instituts für Massivbau an der TU Dresden herausgefunden. Auf etwa 2000 Grad erhitzter Regolith sei eine Substanz, die dem irdischen Portlandzement ähnele, erklärt Institutsleiter Manfred Curbach. Nach der Beimischung von Zuschlagstoffen erhalte man eine Fertigtrockenmischung für Beton. Um Bauelemente herzustellen, würde die Mischung in Formen gefüllt, in die dann unter hohem Druck Wasserdampf eingeleitet wird. Auf diese Weise würde nur die Menge Wasser benötigt, die für die chemische Reaktion gebraucht wird. Selbst wenn es kein natürliches Vorkommen von Wasser geben sollte, müsste es nicht extra von der Erde angeliefert werden, sondern ließe sich durch Reduktion von natürlich vorhandenem Titaneisenerz mit Wasserstoff gewinnen.


Was aber hätte die Menschheit davon, wieder zum Mond zu fliegen? Was wäre – jenseits von Abenteuergeist und einer Demonstration technologischer Großartigkeit – der Gewinn? Kaum eine Frage diskutieren Raumfahrtexperten so kontrovers. Aus gutem Grund: Der Spin-off bemannter Raumfahrt, ihr Nutzen für irdische Technologien und Produkte, hält sich stark in Grenzen. Und in der unbemannten Raumfahrt sinken die Missionskosten zusehends, Messinstrumente in Raumsonden und Landegeräten werden kleiner, besser und billiger.


„Kein Roboter ist so flexibel und intelligent wie der Mensch“, entgegnet der Berliner Planetenforscher Gerhard Neukum. Er hat Anfang der 1970er-Jahre selbst Mondproben untersucht,
die von den Apollo-Astronauten auf die Erde gebracht wurden. Zugleich hat er lange als Wissenschaftler unbemannter Forschungsmissionen gearbeitet. „Ein tieferes Verständnis vom Mond kann man ohne Menschen vor Ort kaum erreichen“, urteilt Neukum nach vier Jahrzehnten Erfahrung. „Und wir wissen ja längst nicht alles über den Mond. Also müssen wir dorthin.“


Andere sehen den Erdtrabanten schlicht als Testplattform für eine künftige Mars-Reise, deren Teilnehmer rund zweieinhalb Jahre völlig autark überleben müssten. Oder schwärmen vom Mond als perfektem astronomischen Standort: Auf seiner Rückseite könnten Radioteleskope nahezu frei von irdischen Störeinflüssen arbeiten. Die Frage ist aber, ob ein solches Teleskop unbedingt von Menschen errichtet und betrieben werden müsste oder ob es sich nicht auch ferngesteuert aufbauen ließe.
Schließlich ist der Mond auch als Rohstofflieferant im Gespräch. Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos beispielsweise hat in den letzten Jahren mehrfach den Bau einer Helium-3-Fabrik auf dem Erdtrabanten angekündigt – Zeithorizont 20 Jahre. Das auf der Erde höchst seltene Isotop könnte in – noch längst nicht anwendungsreifen – Fusionskraftwerken als Brennstoff dienen. Auch Titan gibt es auf dem Mond reichlich, Edelmetallvorkommen werden vermutet. Doch Bergbau auf dem Mond hat schlechte Aussichten, wie der Astrophysiker Wolfgang Seboldt in umfangreichen Szenarien zum Thema errechnete. Sein Fazit: „Selbst wenn es auf dem Mond einen Berg reinen Goldes gäbe, wäre es nicht wirtschaftlich, ihn abzutragen und auf die Erde zu bringen, auch dann nicht, wenn die Transportkosten zehnmal niedriger wären.“


Bleibt als Motivation die politische Machtdemonstration. Denn nicht nur die USA sind im Mondfieber. Ein regelrechtes „neues Mondwettrennen“ sei im Gange, meinen Raumfahrtexperten. China, Japan und Indien haben in den letzten Jahren eigene Forschungssonden in Umlaufbahnen um den Mond geschickt und planen, den Erdtrabanten mit Robotern zu erforschen. Wie die Nasa will auch China zwischen 2020 und 2030 sogenannte Taikonauten auf den Mond entsenden. Und Russland sähe nach dem 1969 verlorenen Mondrennen endlich gern eigene Kosmonauten auf dem Erdtrabanten.


Und Europa? Der alte Kontinent zählt in vielen Bereichen der Raketen- und Raumfahrttechnik wie auch bei der Erforschung des Sonnensystems zur Weltspitze. Doch er hat bislang weder ein eigenes Mondprogramm noch einen konkreten Plan, an Mondprogrammen anderer Länder mitzuarbeiten. Dabei wäre der Zeitpunkt relativ günstig: Insider munkeln, dass die US-Raumfahrtagentur mit dem Constellation-Programm finanziell und terminlich überfordert sei. Der Finanzbedarf für das neue US-Raumfahrtsystem aus Ares-Raketen und dem Orion-Raumschiff ist nach gegenwärtigen Schätzungen von ursprünglich geplanten 28 Milliarden Dollar auf mindestens 44 Milliarden gestiegen. Darin sind die Kosten des Mondlandeprogramms noch nicht enthalten. Die werden nach vorsichtigen Prognosen mindestens hundert Milliarden Dollar betragen.


Bei den Ares-Raketen haben die Ingenieure zudem mit starken, von den Triebwerken verursachten Vibrationen zu kämpfen, die beim Start dazu führen könnten, dass die Rakete in die Anlagen der Startrampe stürzt, bevor sie abhebt. Beim Orion-Raumschiff wiederum versagte im Test vor knapp einem Jahr das System der Landefallschirme – das Modell stürzte praktisch ungebremst zu Boden. Unabhängige Experten bemängelten darüber hinaus, es werde zu sehr an der Sicherheit des Raumschiffs gespart, zu wenige Systeme seien redundant ausgelegt. Den ersten Flug wird Orion ohnehin nicht, wie ursprünglich geplant, 2013 absolvieren, sondern erst 2015.


Anfang Mai ordnete die US-Regierung deshalb eine umfassende Prüfung des Constellation-Programms an. Mitte Juni trat eine zehnköpfige Prüfungskommission, die ihren Bericht bis Ende August abgeliefert haben soll, zum ersten Mal zusammen. Die sogenannte Augustine-Kommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden Norman Augustine, besteht aus Industrievertretern, Ingenieuren, ehemaligen Astronauten und Experten für die zivile Raumfahrt. Die Kommission selbst hat allerdings nur beratende Funktion – sie soll lediglich die verschiedenen Optionen analysieren. Auf ihrer Tagesordnung ganz oben steht die Architektur des Ares-Programms: Zur Diskussion steht besonders die Frage, ob die Nasa nicht mehr auf bestehende Technologie setzen müsste. Als Alternative zu Ares käme beispielsweise das vom US-Verteidigungsministerium entwickelte Evolved Expendable Launch Vehicle infrage, das auf Transportsystemen wie der Atlas- oder der Delta-Rakete aufsetzt, oder ein System namens Delta, das Spaceshuttle-Komponenten verwendet. Die Kommission soll zudem diskutieren, ob ein Teil der
bemannten Missionen von Robotern durchgeführt werden kann – so könnten Roboter beispielsweise auf dem Mond oder dem Mars für Astronauten das Terrain vorbereiten. Diskutiert wird auch, welche Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Organisationen oder Unternehmen es geben könnte – zuletzt hatte die Nasa bereits Verträge mit den privaten Unternehmen SpaceX und Orbital Sciences über die Lieferung von Material zur ISS abgeschlossen. Auch die weitere Nutzung der internationalen Raumstation nach 2015 steht auf dem Prüfstand.


Ein völliger Stopp des Mondlandeprojektes steht wahrscheinlich nicht zur Debatte – der frisch gekürte Nasa-Chef Charles Bolden, selbst ehemaliger Astronaut, gilt als uneingeschränkter Befürworter bemannter Raumfahrt. Aber das Problem der explodierenden Kosten muss gelöst werden. Und nicht zuletzt geht es auch darum, was längst als Markenzeichen des US-Präsidenten Barack Obama gilt – um mehr Öffnung nach außen, um mehr internationale Kooperation. Viel Spielraum also, aber bislang verliefen die Gespräche zwischen Europäern und Amerikanern nicht sonderlich erfolgreich: Die Esa möchte bei Mondflügen gern ihr Ariane-Programm einbringen, die Nasa jedoch will selbst Teilaufgaben nicht aus der Hand geben. Ginge es nach dem Chef der Europäischen Raumfahrtagentur Esa, Jean-Jacques Dordain, wären solche Debatten längst Geschichte. „Menschen auf den Mond zu schicken kann nicht mehr nur das Vorhaben einer einzigen Nation sein“, betont Dordain selbstbewusst. „Es wird ein globales Projekt werden, und Europa wird dabei sein.“
(bs)