Das Handy für die Frau

Die Designforscherin Gesche Joost ist auf der Suche nach dem individuell perfekten Mobiltelefon.

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Dieser Text ist der Print-Ausgabe 07/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Die Designforscherin Gesche Joost ist auf der Suche nach dem individuell perfekten Mobiltelefon.

Gesche Joost, 34, leitet seit 2005 das Design Research Lab an den Deutsche Telekom Laboratories in Berlin.

TR: Frau Joost, wenn Sie erzählen, dass Sie für die Telekom Designforschung betreiben, wie oft provozieren Sie da ein Stirnrunzeln? Oder gar ein ironisches Lachen?

Gesche Joost: Ironisches Lachen passiert zum Glück wenig. Aber Stirnrunzeln haben wir schon sehr oft als Reaktion erlebt. Das liegt daran, dass Designforschung hier in Deutschland wenig etabliert ist. Es gab zwar Ansätze dazu, etwa im Bauhaus, aber Sie finden das heute eher in den USA oder in Skandinavien.

TR: Aber die Telekom sieht da Nachholbedarf?

Joost: Absolut. Weltweit befindet sich dieses Forschungsgebiet im Aufschwung. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass technische Entwicklung mittlerweile oft an den Punkt kommt, wo die Übersetzung in Produkte sehr schwierig wird. Genau diese Leerstelle kann Design füllen. Design ist der Faktor, der oft fehlt, um technische Innovationen so zu übersetzen, dass sie wirklich nutzbar werden. Eben nicht in dem Sinne von: Ich mach das jetzt mal ein bisschen schön, oder ich mache das rosa. Das ist mir persönlich vollkommen egal.

TR: Haben Sie denn tatsächlich Einfluss auf die Produktentwicklung?

Joost: Ja. Auch wenn unsere Messlatte die wissenschaftlichen Ergebnisse sind. Unser primäres Interesse ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu publizieren und auf Konferenzen zu vertreten. Die T-Labs funktionieren nach dem Prinzip der "Open Innovation" – wir laden Wissenschaftler ein und veröffentlichen unsere Ergebnisse. Und genauso gehen wir auch in die verschiedenen Einheiten der Telekom hinein. Wir schauen, ob das, was wir machen, in die Entwicklungen passt, die dort gerade geplant sind.

TR: Und wie reagieren die Kollegen?

Joost: Unsere Arbeit wird sehr ernst genommen. Weil wir meistens nachweisen können, dass die Dinge, die wir entwickeln, auch technisch machbar sind. Mit der konkreten Produktentwicklung haben wir aber dann direkt nichts mehr zu tun. Wir geben nur die Ideen rein. Ergebnisse aus der Forschung werden in der Entwicklung direkt aufgegriffen und werden dann in der Innovationsentwicklung bis zum marktreifen Produkt weitergetrieben – in enger Zusammenarbeit mit dem Konzern und seinen strategischen Geschäftsfeldern.

TR: Wenn gutes Aussehen nicht wichtig ist, warum hat dann Apple mit dem iPhone so viel Erfolg gehabt?

Joost: Ästhetik ist ein wichtiger Faktor. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen einem hübschen Gerät und einem geschlossenen Design-Konzept. An einem geschlossenen Design-Konzept bin ich sehr interessiert. Das bedeutet aber, dass man Hard- und Software als eine Einheit begreift. Da war Apple unglaublich konsequent. Und wir fangen gerade erst an zu begreifen, was das für Nutzungskonzepte bedeutet. Wir haben beim iPhone zum Beispiel eine völlig neue Art der Taktilität – des Fühlens und Begreifens.

TR: Interessantes Stichwort. Ich habe gelesen, Sie forschen an einem Handy mit Herzschlag. Warum das?

Joost: Handys sind heute so gemacht, dass man benachrichtigt wird, wenn ein Ereignis eingetreten ist. Wenn mich jemand sprechen will, klingelt das Telefon. Das klappt ja auch ganz gut, hat aber den Nachteil, dass man dauernd nachschaut, ob man irgendwas verpasst hat. Es gibt sogar schon ein Krankheitsbild dazu – das Phantomklingeln: Wenn irgendwo ein Telefon klingelt, meint man, den Vibrationsalarm zu spüren, auch wenn das eigene Handy gar nicht eingeschaltet ist.

Deswegen hat Fabian Hemmert aus meinem Team überlegt, ob man diese Beziehungskette nicht umdrehen kann: Es gibt nicht nur eine Benachrichtigung bei einem Event, sondern eine permanente, subtile Rückkopplung. Man hat das Ding in der Tasche, spürt den ruhigen Herzschlag und weiß, es ist alles in Ordnung. Und wenn etwas passiert, wird der Herzschlag schneller – habe ich fünf Anrufe verpasst, klopft es schon ziemlich stark. Wir haben die Idee mal in einem ganz einfachen Rahmen ausprobiert: eine Packung Papiertaschentücher und einen Servomotor genommen und dieses Verhalten mal simuliert. Um zu sehen, wie das ist, so etwas in der Tasche zu tragen.

TR: Und, wie war das?

Joost: Das war ein ganz komisches Gefühl. Man hat als Mensch dafür glaube ich Sensoren, die einem ganz schnell sagen: Oha, das lebt. Wenn man das die erste halbe Stunde in der Tasche hat, ist es sehr merkwürdig. Danach gewöhnt man sich daran – man merkt es nicht mehr –, und wenn die Probanden das dann abends aus der Tasche herausgezogen hatten, hat es ihnen plötzlich gefehlt. Viele haben gesagt, es war sehr angenehm zu wissen, dass alles in Ordnung ist.

TR: Das klingt doch fantastisch für einen Handy-Hersteller. Können Sie ein Handy so designen, dass der Nutzer es buchstäblich liebt?

Joost: Ja. Ich glaube sogar, dass es heute schon so ist. Wir beschäftigen uns gerade mit der Frage, ob es spezielle Handys für Frauen gibt. Dabei arbeiten wir mit einer Gruppe junger Frauen zusammen, denen wir in der sogenannten Selbstbeobachtung die Aufgabe gegeben haben, einen Tag Kommunikationsdiät zu halten. Wir haben ihnen im Workshop gesagt: Einen Tag in der Woche, am Samstag, dürft ihr nicht telefonieren. Weder mobil noch Festnetz. Und der Computer bleibt auch aus. Den jungen Frauen ist alles aus dem Gesicht gefallen.

TR: Warum haben Sie diese Regel aufgestellt?

Joost: Um genau das zu erfahren: Welchen Stellenwert spielen diese Medien in ihrem Leben. Wir wussten das ja nicht. Es hätte ja auch sein können, dass die Mädchen sagen: Ach, samstags telefoniere ich ja sowieso nicht. Aber die waren völlig aufgeschmissen. Manche haben noch versucht zu feilschen: Können wir das nicht vielleicht sonntags so machen? Oder kann ich morgens noch einen Anruf machen? Das war richtig schlimm – es war deutlich, dass ihnen massiv was fehlt. Und deswegen denke ich, dass es diese Liebesbeziehung, von der Sie gesprochen haben, heute schon gibt.

TR: Sie erforschen also gezielt, ob Frauen und Männer Technik unterschiedlich verwenden. Werden Sie auch andere Altersgruppen untersuchen?

Joost: Ja, wir haben jetzt mit den jungen Frauen angefangen und werden in Abständen von etwa zwei Monaten weiter solche Workshops machen. Das geht dann bis etwa 70 Jahre. Wir haben auch gerade ein Projekt abgeschlossen, das wir mit Seniorinnen und Senioren gemacht haben – dabei ging es weniger um Männer und Frauen als um altersspezifische Bedürfnisse –, und da haben wir ein Telefon entwickelt, das Sinus A 201. Es sollte zwar einfach zu bedienen sein, aber nun gerade nicht aussehen wie aus dem Sanitätshaus. Dieses Gerät ist also kein Seniorentelefon geworden – es ist einfach schön und schlicht. Das heißt, auch wenn wir jetzt mit Frauen ein Telefon entwickeln, bedeutet das nicht, dass es nur ein Telefon für Frauen wird. Die Nutzergruppe am Schluss kann ganz breit und unterschiedlich sein.

TR: Können Sie denn jetzt schon unterschiedliche Nutzungen erkennen?

Joost: Na ja, wir haben den Gegencheck mit den Männern noch nicht gemacht. Was wir aber von den Frauen schon gelernt haben, ist, dass Privatsphäre ein wichtiges Thema ist – der Wunsch, manchmal auch nicht kommunizieren zu dürfen. Das war vielen Frauen sehr wichtig, die gesagt haben, meine Familie oder andere mir sehr wichtige Menschen sollen mich erreichen können, aber sonst niemand.

Zweites großes Thema war Mikrokommunikation: Viele, gerade sehr junge Frauen wollen so etwas wie twittern. Oder sie senden ständig kleine SMS-Nachrichten. Drittes Thema war Familie: Frauen mit Familie stellen ganz hohe Anforderungen an die Organisationsfähigkeiten des Handys. Die sagen, ich muss dies und das alles damit managen können. Aus meiner Sicht sollte es viel stärker angepasste Angebote für die unterschiedlichen Gruppen geben.

TR: Haben Sie mal Ihr persönliches Wunsch-Handy entworfen?

Joost: Es hat mich schon in den Fingern gejuckt. Aber eigentlich bin ich noch nie so richtig dazu gekommen, ernsthaft darüber nachzudenken. Eigentlich seltsam, nicht?

TR: Und unabhängig von Ihren Wünschen, wie, denken Sie, wird das Handy der Zukunft aussehen?

Joost: Ich denke, es wird eine Differenzierung nach Nutzungsanforderungen geben. Das ist auf jeden Fall sehr wichtig. Ich denke auch, dass die weitere Entwicklung nicht mehr so stark technologisch getrieben sein wird. Taktilität wird wichtig bleiben – das Anfassen und sinnliche Erleben.

TR: Ein typischer Frauenwunsch?

Joost: Als das Internet aufkam, haben viele, auch gerade Cyber-Feministinnen, prognostiziert, dass der Körper verschwindet. Im Netz, in virtuellen Welten ist es nicht wichtig, ob du Mann oder Frau bist. So kann man das Geschlecht als Spielform annehmen. Das ist in der heutigen Diskussion in den Gender Studies zum Teil wieder zurückgedreht worden.

Wir haben gelernt, dass wir auf den Körper als Material nicht verzichten können und wollen. Und jetzt haben wir eine ähnliche Entwicklung in der Mensch-Maschine-Interaktion: sinnliche Materialien, schöne Materialien, die man gern anfasst. Auch die Rückkehr der Mechanik, die Faszination von soliden mechanischen Elementen mit Elektronik – das sieht man jetzt viel in der Medienkunst. Ich denke, das ist eine spannende Entwicklung. (bsc)