Kernfusion per Hammerschlag

Das kanadische Start-up General Fusion will ein in den achtziger Jahren entwickeltes Konzept für einen Fusionsreaktor Wirklichkeit werden lassen – für einen Bruchteil der Kosten des internationalen ITER-Projekts.

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Von
  • Tyler Hamilton

Sie wurde einmal als die Energiequelle der Zukunft gehandelt, doch in der gegenwärtigen Debatte um ein neues Energiesystem spielt sie kaum eine Rolle: die kontrollierte Kernfusion. Zu groß sind bislang die technischen Schwierigkeiten, als dass sie wirtschaftlich nutzbar wäre. General Fusion, ein Start-up aus Vancouver, will den schleppenden Fortschritt nun radikal beschleunigen: Innerhalb von nur zehn Jahren soll der Prototyp eines neuen Kernfusionsreaktors fertig sein – und das für unter einer Milliarde Dollar.

Im Gegensatz zum 14 Milliarden Dollar teuren Fusionsreaktor ITER, der in Südfrankreich gebaut wird, will General Fusion den Durchbruch ohne die so genannte Tokamak-Technologie schaffen. Bei der verdichtet eine Ringkammer aus supraleitenden Magneten ein mehrere Millionen Grad heißes Plasma so stark, dass die Fusion zündet. Ebensowenig will das kanadische Unternehmen Hochleistungslaser einsetzen, mit denen das US-Fusionsprojekt National Ignition Facility am Lawrence Livermore National Laboratory arbeitet.

Stattdessen setzt General Fusion auf eine vergleichsweise simple mechanische Technik und digitale Steuerungen. Low-tech zwar im Vergleich zum ITER, aber besser als alles, wovon Wissenschaftler vor 30 Jahren zu träumen wagten. Damit, hoffen die kanadischen Ingenieure, wollen sie das schaffen, was in gut fünf Jahrzehnten Fusionsforschung noch nicht gelungen ist: eine Kernfusion zünden, die dann weiterbrennt und netto mehr Energie ausspuckt, als anfänglich hineingesteckt werden musste.

Nun haben sich zwar auf diesem Gebiet schon einige mit großen Ankündigungen die Finger verbrannt. US-Experten halten den „magnetized target fusion“ genannten Ansatz von General Fusion jedoch für wissenschaftlich solide und machbar. „Ich drücke ihnen die Daumen“, sagt Ken Fowler. Der emeritierte Professor für Kern- und Plasmaphysik von der Universität Berkeley gilt als eine der Koryphäen auf dem Gebiet der Fusionsreaktoren. Fowler hat das Konzept analysiert und bislang keinen Haken daran entdecken können. „Vielleicht schaffen die Typen es. Das wäre ein Sechser im Lotto.“

Der Reaktorprototyp wird aus einer Metallkugel mit einem Durchmesser von drei Metern bestehen, in der sich sich eine flüssige Lithium-Blei-Mischung befindet. Die wird nun so stark verwirbelt, dass sich in der Mitte ein senkrechter Hohlraum bildet. In den schießen dann von oben und unten Plasmaringe hinein, die kurzzeitig durch selbst erzeugte Magnetfelder stabilisiert werden – diese Plasma-Formation wird Spheromak genannt. „Stellen sie sich vor, Sie würden zwei Ringe aus Zigarettenrauch aufeinander blasen“, beschreibt Doug Richardson, Geschäftsführer von General Fusion, den Vorgang. Ausgangsmaterial für das Plasma sind die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium.

Nun kommt rohe mechanische Kraft ins Spiel: Auf der Außenseite der Kugel sind 220 Druckluft-betriebene Kolben angebracht, die im selben Augenblick auslösen und mit einer Geschwindigkeit von 100 Metern pro Sekunde auf die Oberfläche hämmern. Die Kraft, die die Kolben übertragen, erzeugt in der Blei-Lithium-Mischung eine akustische Welle, die sich zu einer Schockwelle beschleunigt und das Plasma im Inneren der Kugel erreicht.

Funktioniert bis hierhin alles wie geplant, soll die Schockwelle das Plasma so stark verdichten, dass die Fusionsreaktion zündet. Die dann freiwerdenden hochenergetischen Neutronen heizen die Blei-Lithium-Flüssigkeit auf, und die Hitze wird über einen Wärmetauscher an Wasserdampf abgegeben. Der treibt zum einen eine Turbine für die Stromerzeugung an und spannt zum anderen die Kolben für den nächsten Hammerschlag an – um den Prozess in Gang zu halten.

Im Idealfall erfolgen Plasmainjektion und Kolbenschläge einmal pro Sekunde. Auch das ist anders als beim ITER: Hier soll sich die Fusionsreaktion nach der Zündung selbst aufrechterhalten, genau wie im Inneren der Sonne. „Ein großes Risiko ist allerdings, das bisher noch niemand Spheromaks so verdichtet hat, dass sie für eine Fusion taugen“, sagt Richardson. „Es gibt zwar keinen Grund, der dagegen spricht, aber es hat eben noch niemand probiert.“

Es sei schwieriger als erwartet gewesen, das Startkapital zusammen zu bekommen. Derzeit verfügt General Fusion über 13,5 Millionen Dollar, die private Anleger und Wagniskapitalgeber investiert haben. Genug,, um mit der ersten Bauphase des Testreaktors loszulegen. Dazu gehören auch die Entwicklung von 3D-Simulationsrechnungen und die technische Überprüfung der Bauteilkonzepte. In fünf Jahren will General Fusion den Testreaktor fertig und zum ersten Mal eine Netto-Energieerzeugung demonstriert haben. Voraussetzung hierfür ist aber, dass noch einmal 37 Millionen Dollar Kapital hereinkommen.

Sollte das Konzept aufgehen, könnte vier Jahre später der erste 100-Megawatt-Fusionsreaktor stehen, der auch ans Stromnetz angeschlossen werden kann. Das würde zwar noch einmal 500 Millionen Dollar erfordern. Aber dem ITER wäre man damit um 20 Jahre zuvorgekommen – zu einem Bruchteil der Kosten.

„Normalerweise halte ich mich nicht lange mit den Fusionskonzepten auf, die bei mir reinflattern. Aber das hier hat mich wirklich fasziniert“, sagt Ken Fowler. Natürlich seien enorme technische Hürden zu nehmen. Aber vielleicht sei die Start-up-Kultur besser geeignet, so etwas energisch genug anzupacken. „In den großen Fusionsprogrammen sind die Leute irgendwann so kaputt, dass sie jedes Risiko meiden.“

Ganz neu ist der Ansatz von General Fusion allerdings nicht. Er baut auf dem Linus-Konzept auf, das in den achtziger Jahren am US-Marineforschungslabor entwickelt wurde. Damals konnten die Wissenschaftler aber keinen Mechanismus finden, um das Plasma schnell genug zu verdichten, bevor seine magnetisch erzeugte Ringform zusammenbricht. Das Zeitfenster hierfür beträgt nur wenige Millisekunden. Genau wie Rauchringe zerstieben auch Plasmaringe im Nu.

Das große Kernforschungsunternehmen General Atomics kam später auf die Idee, die Verdichtung mit mechanisch erzeugten Schockwellen zu erreichen, verfolgte sie aber nicht weiter. Das liegt wohl daran, dass es vor 20 Jahren noch keine hochpräzisen Steuermechanismen gab, um Druckluftkolben genau im selben Augenblick auszulösen.

Laut Richardson wird sich in den nächsten zwei bis vier Jahren zeigen, ob die heutige ultraschnelle digitale Steuertechnik das schafft. Bevor eine komplette Anlage mit 220 Kolben gebaut wird, sollen an einem Testgerät erst einmal 24 Kolben synchronisiert werden.

Für Glen Wurden, Programm-Manager für Kernfusion am Los Alamos National Laboratory, sind derzeit eine Reihe von Fragen unbeantwortet: Kann General Fusion Spheromaks mit der richtigen Dichte, Temperatur und Lebensdauer erzeugen? Schaffen sie es, die zwei Spheromaks an den entgegengesetzten Enden der Kugel so hineinzuschießen, dass sie sich treffen und vereinigen? Breitet sich die auslösende akustische Welle in der Blei-Lithium-Flüssigkeit schnell und gleichmäßig genug aus?

„Man kann zwar mit Simulationsrechnungen eine Menge machen, aber nicht alles“, sagt Wurden. „Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit mit ganz neuer Technik. Man hat es mit unterschiedlichen Zeitskalen und Materialeffekten zu tun, wenn sich die Schockwelle aufbaut.“

Los Alamos und General Fusion haben kürzlich eine Zusammenarbeit vereinbart. Richardson geht allerdings nicht davon aus, dass alles glatt läuft. „In dem Projekt stecken viele Risiken, und wir gehen davon aus, dass nicht alle so aufgelöst werden, wie wir das erwarten.“ Sollte der Testreaktor jedoch funktionieren, dürfte es leicht sein, die 500 Millionen Dollar für den Prototyp aufzutreiben. Ken Fowler meint nur: „Es geschehen immer wieder Wunder.“ (nbo)