"Es geht nicht darum, einfach nur die Netzkapazitäten zu vergrößern"

Der neue CTO der US-Regierung Aneesh Chopra über die Aufgabe, den Nutzen der Informationstechnik für 300 Millionen Amerikaner zu steigern.

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Von
  • David Talbot

Mit dem 37-jährigen Politikwissenschaftler Aneesh Chopra hat US-Präsident Barack Obama erstmals einen Chief Technology Officer (CTO) für die USA ernannt. Chopra werde „technische Innovationen fördern, die bei der Lösung unserer dringendsten Aufgaben helfen sollen“, erklärte Obama dazu. Seitdem hat sich Chopra vor allem darum gekümmert, den Einsatz der Informationstechnik zur Verbesserung von Gesundheitssystem, Bildungssystem und Energieinfrastruktur voranzutreiben.

Chopra ist dem Wissenschaftsberater John Holdren unterstellt, berät Obama aber auch direkt in IT-Fragen von allgemeiner politischer Bedeutung. Vivek Kundra, Chief Information Officer der US-Regierung, kümmert sich hingegen nur um den Einsatz von IT, um das Regierungswesen offener und effizienter zu machen.

Bevor er sein neues Amt antrat, war Chopra Technologie-Minister des US-Bundesstaates Virginia. In dieser Funktion forcierte er unter anderem den Ausbau des Breitband-Internet in ländlichen Gebieten. Technology Review sprach mit Chopra über die Aufgabe, den Nutzen der Informationstechnik für 300 Millionen Amerikaner zu steigern.

Technology Review: Warum brauchen die USA einen CTO?

Aneesh Chopra: Präsident Obama ist der Meinung, dass Informationstechnik und Innovation eine erhebliche Rolle für ein großes Spektrum von Aufgaben spielen. Wir hatten zwar schon eine IT-Initiative des Weißen Hauses, aber die jetzige Regierung betrachtet die Möglichkeiten von IT in einem größeren Zusammenhang: Sie könnte die Kosten im Gesundheitssystem senken, die Energieeffienz mit Hilfe von ‚intelligenten’ Stromnetzen erhöhen und auch die Fertigkeiten der arbeitenden Bevölkerung verbessern.

TR: Einige Ökonomen bezweifeln, dass eine staatliche Förderung des Breitband-Internet der Wirtschaft zugute kommt. Inwiefern profitiert sie davon, wenn man 10.000 Dollar für einen Breitband-Zugang auf dem Land ausgibt?

Chopra: Es geht nicht darum, einfach nur Leitungen zu verlegen und die Netzkapazitäten zu vergrößern. Unsere Teams in den Abteilungen Handel und Landwirtschaft arbeiten mit der privaten Wirtschaft zusammen, um noch mehr zu erreichen. Dazu gehören eine bessere Gesundheitsversorgung durch Telemedizin, Ausbildung im Fernunterricht oder ein intelligentes Stromnetz.

Ein Beispiel für eine IT-Innovation auf dem Land war e-911, ein regionaler elektronischer Notruf, den wir in Virginia eingerichtet haben. Als wir dafür Startkapital zur Verfügung stellten, versprachen wir uns eine bessere Abdeckung in Notfällen und langfristig eine Kostensenkung. Ich finde es plausibel, dass eine solche Unterstützung ländlicher Haushalte Gelegenheit für besser bezahlte Jobs durch Telearbeit eröffnet.

TR: Wie wird die Förderung solcher IT-Anwendungen durch die Regierung effektiver?

Chopra: Traditionell hat die Regierung die Informationstechnik entweder über eine Finanzierung von Grundlagenforschung und oder über das Beschaffungswesen gefördert. Als CTO möchte ich mich auf gemeinsame Projekte von Staat und Wirtschaft konzentrieren, die zwischen beiden Polen angesiedelt sind. In einigen Fällen könnte eine gezielte Forschung unterstützt werden, die für ein bestimmtes Problem die private Wirtschaft, Universitäten und den öffentlichen Sektor zusammenbringt. In anderen Fällen könnten wir über das Beschaffungswesen Innovationen auf dem Markt anstoßen.

TR: Wie sähe das aus?

Chopra: Ein Beispiel ist die Website defensesolutions.gov. Sie versucht, Innovationen voranzubringen, die den Bedürfnissen des Verteidigungsministeriums entgegenkommen. Anstatt also die Beschaffung eines bestimmten Geräts auszuschreiben, fragt das Ministerium nach einer Lösung, beispielsweise: „Wie kann man in Feldversuchen Sprengstoffe, Drogen und Rückstände von Schüssen aus Handfeuerwaffen aufspüren?“

Indem wir einen Freiraum für unvorhergesehene, bahnbrechende Technologien im Privatsektor lassen, können wir eine innovative Lösung beschaffen. Auf defensesolutions.gov sind bereits Dutzende von Ideen eingereicht worden, und einige nehmen bereits Gestalt an.

TR: Das könnte hier funktionieren. Aber nehmen wir die Gesundheits-IT: Gibt es nicht längst viele gut funktionierende Technologien für elektronische Patientenakten?

Chopra: Ja, aber um Fördergelder zu bekommen, müssen Gesundheitsversorger zeigen, dass sie mit einem sinnvollen Einsatz von IT die Behandlungsqualität verbessern, die Kosten senken und den Patienten stärker einbinden können. Ich setze mich dafür ein, dass das Kriterium eines „sinnvollen Einsatzes“ so formuliert ist, dass es tatsächlich die Gesundheitsreform voranbringt oder zu neuen Produkte und Dienstleistungen führt. Derzeit haben wir noch keine Qualitätsstandards, um Unterschiede zwischen all den Produkten festzustellen. Wenn wir die haben, sind wir zuversichtlich, dass der Markt sich auch dahin entwickelt, sie zu erreichen.

TR: Sollte man die Idee eines „sinnvollen Einsatzes“ nicht breiter anwenden?

Chopra: Ich fände es großartig, wenn dieses Modell in anderen Bereichen angewendet würde, in denen der Einsatz von IT von Nutzen ist.

TR: Im so genannten intelligenten Stromnetz können Energieerzeuger einen „sinnvollen Einsatz“ bestehender Technologien dadurch nachweisen, dass der Stromverbrauch sinkt. Im Moment liegen die Investitionsentscheidungen jedoch bei 50 Körperschaften, staatlichen Regulierungsbehörden und lokal Energieversorgern, und die Umsetzung findet nicht flächendeckend statt.

Chopra: Die Rolle des Bundes ist hier ganz klar. Erstens stellen wir Startkapital durch den Recovery Act [das US-Konjunkturprogramm, die Red.] zur Verfügung – 4,5 Milliarden Dollar, um Fördervorhaben und Demonstrationsprojekte zusammenzubringen. Diese Anfangsprojekte sind entscheidend, um den Wert des intelligenten Stromnetzes zu zeigen. Wenn das Geschäftsmodell erst einmal klar ist, glauben wir, dass der Staat und lokale Entscheidungsträger weiter in den Ausbau investieren werden.

Zweitens arbeiten wir über NIST [die US-Standardisierungsbehörde] auf offene Standards hin, die Interoperabilität, Zuverlässigkeit und Sicherheit des intelligenten Stromnetzes sicherstellen. Wir haben am Internet gesehen, dass offene Standards Innovation und Skalierbarkeit ermöglichen. Diese Bundesinitiativen ergänzen sich und dienen der Zusammenarbeit von staatlichen Regulierern und Industrie.

TR: Jenseits dieser Initiativen arbeiten Sie an einem umfassenderen politischen Konzept, um Innovationen zu stimulieren. Können Sie uns umreißen, wie eine nationale Innovationspolitik aussehen könnte? Was würde dazu gehören? Welche Ziele hätte sie?

Chopra: Die Regierung verfolgt drei Hauptziele, um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu stärken und Innovationen voranzutreiben. Das erste Ziel ist, das Umfeld für Innovationen im privaten Sektor zu verbessern. Darunter fallen die Steuererleichterungen für Forschung – sie sollen dauerhaft gelten. Kleine Unternehmen sollen gezielte Erleichterungen bei der Kapitalertragssteuer bekommen und leichter an neues Kapital kommen. Und schließlich soll unser Patentsystem reformiert werden.

Zweites Ziel: Wir müssen in die Voraussetzungen für Innovation investieren, in Humankapital, Grundlagenforschung und Infrastruktur. Präsident Obama hat sich hier verpflichtet, das Budget wichtiger Wissenschaftsbehörden zu verdoppeln, die Zahl der Graduiertenstipendien der National Science Foundation zu verdreifachen, die öffentlichen Schulen in Mathematik und Naturwissenschaften besser zu machen und die Führung der USA bei College-Abschlüssen wiederherzustellen.

Drittes Ziel: Wir müssen uns Innovationen zunutze machen, um die wichtigen nationalen Aufgaben anzugehen. Dazu gehören ein beschleunigter Übergang zu einer weniger CO2-intensiven Wirtschaft, den Amerikanern ein längeres, gesünderes Leben zu ermöglichen und die Regierung offener und transparenter zu machen. Dabei müssen wir immer konkrete messbare Ergebnisse im Blick behalten. (nbo)