"Eine Art Endpunkt"

Um über die Zukunft des Sportwagens zu sprechen, empfiehlt sich eine Reise in den Süden Deutschlands.

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Von
  • Markus Honsig

Um über die Zukunft des Sportwagens zu sprechen, empfiehlt sich eine Reise in den Süden Deutschlands. Dort, tief im Bayerischen Wald, ist der schnellste lebende Porsche-Fahrer zu Hause. Und um dem Gespräch den richtigen Rückhalt zu geben, ließ Walter Röhrl einen Carrera GT kommen, schließlich sollte man wissen, wovon man redet.

Auto fahren ist für Walter Röhrl in erster Linie Porsche fahren. Sein erstes selbst gekauftes Auto war ein 356er, damals war er 21, und seither stand, unabhängig von den jeweiligen Dienstautos, immer ein Porsche in der Garage, mit einer einzigen Unterbrechung Mitte der Achtziger, als der zweifache Rallyeweltmeister bei Audi nachhaltig vom Allrad-Virus infiziert wurde und Porsche noch kein entsprechendes Auto anbieten konnte. Seit 1982, als der damalige Porsche-Entwicklungschef Helmuth Bott den frisch gekürten Monte-Carlo-Sieger auf die Turracher Höhe nach Österreich einlud, um den ersten Prototypen eines Neunelfers mit Allradantrieb Probe zu fahren, hat sich zwischen Porsche und Röhrl eine feste und dauerhafte Zusammenarbeit entwickelt: Röhrl ist Porsches erster und nach wie vor schnellster Versuchsfahrer, die Entwicklung des Carrera GT war ein einmaliger Höhepunkt dieser Zusammenarbeit.

Technology Review: Wie viele Kilometer sind Sie im Carrera GT gefahren?

Walter Röhrl: Ich bin drei Jahre alle wichtigen Tests gefahren, 25000 Kilometer inklusive Alltagserprobung. Es ging darum, das Auto für jeden fahrbar zu machen, der ausreichend sittliche Reife mitbringt, aber das Auto gleichzeitig nicht zu kastrieren, was seine sportlichen Qualitäten betrifft, herauszuarbeiten, was den Kunden zumutbar ist, wie stark das Rennauto durchkommen darf.

Was war die größte Herausforderung? Ein Schlüssel waren sicher die Reifen. Letztlich entscheidet der Reifen, wie viel Kraft du auf die Straße bringst. Das große Problem war, bedingt schon durch die Größe, dass solche Reifen sehr lange halten, aber dann sehr scharf abreißen können. Am Anfang hatten wir brutale Situationen: Wenn das Auto, 250, bergauf, Regen, von einem auf den anderen Moment quer kommt, als ob hinten wer lenken würde. Da bleibt nicht mehr viel Zeit zu korrigieren. Wir haben mindestens fünfzehn unterschiedliche Reifenkonstruktionen erprobt, und am Ende entstand daraus die Konstruktion mit zwei unterschiedlichen Gummimischungen.

Ist das nun der endgültige Sportwagen?

Ja, ich glaube schon. Der Carrera GT ist das beste Auto, das ich je auf der Straße gefahren habe. Deshalb freue ich mich wirklich, dieses Auto mitentwickelt zu haben, der Höhepunkt in meinem automobilen Leben.

[Inzwischen ist der ursprünglich für einen Le-Mans-Einsatz entwickelte Zehnzylinder hinter den Schalensitzen warm gelaufen. Röhrl ist ein sehr angenehmer Chauffeur, weiß das Tempo gut zu dosieren, wenn er im GT durch den Bayerischen Wald reitet. Zwischendurch lässt er die Zügel immer wieder einmal los. Doch selbst sehr schnelles Fahren wirkt selbstverständlich, nicht Furcht einflößend. Für den Beifahrer schwer zu unterscheiden, ob das mehr am Fahrer oder am Auto liegt. "Du gibst ein paar Sekunden Gas", sagt Röhrl, "und bist auf 200." Deshalb habe er auch keinen GT als Dienstauto, weil er in spätestens vier Wochen zu Fuß gehen würde.]

Apropos Geschwindigkeit: Ihre aktuelle Nordschleifen-Runde am Nürburgring?

7:33, 7:32, handgestoppt, aber wir sind nie auf Zeit gefahren. Wir haben darüber diskutiert und uns entschieden, dass man damit einmal aufhören muss. Ich habe 30 Jahre Motorsport überlebt, jetzt muss ich nicht mehr wissen, ob ich 7:26 oder 7:27 fahre. Früher hätte ich es gekonnt, heute brauche ich es nicht mehr. Wenn ein Röhrl zögert, kann man das als Indiz interpretieren, dass es jetzt genug ist?

Im Prinzip ja. Schnellere Autos braucht man nicht mehr. Man muss immer einen Kompromiss finden zwischen Abtrieb und Geschwindigkeit: 330 sollten reichen, meinen wir bei Porsche. Der Enzo von Ferrari geht schneller, weil bei hohen Geschwindigkeiten hinten der Flügel flacher gestellt wird. Aber das merkt man beim Fahren: Im Enzo braucht man bei 300 schon ein sehr feines Händchen, unser GT fährt auch bei 300 wie die Eisenbahn.

[Feines Händchen ist ein gutes Stichwort. Schön zu beobachten, wie undramatisch Röhrl ein dramatisches Auto wie den Carrera GT durch die schnelle Kurve führt. Knappe, reduzierte Aktionen an Lenkrad, Schaltung und Pedalen, auch bei ausgeschalteter Traktionskontrolle. Der Carrera GT ist das kongeniale Gerät für die Präzision des Lenkers: Weicht keinen Millimeter von der eingeschlagenen Ideallinie ab, als ob die Fliehkräfte abgeschafft wären. Ein Geheimnis seines Speeds sei, sagt Röhrl, dass er weniger lenke. "Beim Autofahren, sage ich seit 40 Jahren, gibts nur eins: So wenig wie möglich lenken."]

Warum ein manuelles Schaltgetriebe und kein sequenzielles Getriebe?

Es gibt noch kein sequenzielles Getriebe, das unseren Ansprüchen genügen würde, die sind alle zu unkomfortabel. Wir haben im GT den Schalthebel sehr hoch und nahe zum Lenkrad gesetzt, weil unser Anspruch war, schneller schalten zu können als mit Wippen. Das ist einer der Gründe, warum wir auf der Rundstrecke etwas schneller sind als der Ferrari. Ein weiterer Vorteil: Die kompakte Keramikkupplung liegt tiefer als die Radmitte, entsprechend tief hängt auch der Motor. Für einen Sportwagen gibt es drei wichtige Dinge: geringes Gewicht, hohe Steifigkeit, tiefer Schwerpunkt. Diese Merkmale entscheiden, ob wir von einem Sportwagen oder von einer sportlichen Limousine reden.

Mit Gewicht und Steifigkeit sind Sie zufrieden?

Ja, die 1280 Kilogramm passen. Wir wollten zwar am Anfang noch weniger, aber durch die unzähligen Vorschriften - jeden Tag kam eine neue Hiobsbotschaft - war nicht mehr möglich. Karbon ist natürlich ein Wunderding, unser Monocoque wiegt gerade 100 Kilogramm, der Carrera GT hat eine Steifigkeit wie ein Cup-Carrera mit eingeschweißter Zelle.

[Was Menschen wie Walter Röhrl von normalsterblichen Autofahrern unterscheidet, scheint eine andere, irgendwie langsamere Wahrnehmung kleinster Zeiteinheiten zu sein. Wenn unsereins meint, dass es schon ziemlich knapp ist, hat Röhrl noch sehr viel Zeit; wenn zum Beispiel hinter einer flotten Kuppe ein Traktor steht und man gerade "Ui" denken will, sagt Walter Röhrl: "Jetzt bremse ich einmal." Bremsen im Carrera GT ist wie Auto ausschalten, "das gehört zu einem Auto wie diesem dazu, bremsen, dass dir das Hirn stehen bleibt", sagt Röhrl, was den Vorgang ganz gut beschreibt, und natürlich ist noch ausreichend Platz zwischen Porsche und Traktor, um mindestens einen Sattelschlepper unterzubringen.]

Wie viel Elektronik darf ein Sportwagen haben?

Ohne Traktionskontrolle könnte man den GT im Regen kaum fahren. An ESP haben wir nie gedacht, wir rechnen einfach damit, dass die Leute, die dieses Auto fahren, wissen, was sie tun. Aber ich glaube schon, dass in Zukunft auch in solchen Autos Fahrhilfen angeboten werden, weil es der Kunde verlangt, er will einen Teil der Verantwortung an den Konstrukteur abgeben. Für die Straße ist das auch gerechtfertigt. Ich habe Jahre mit den Ingenieuren von Porsche gekämpft, dass das Porsche Stability Management, die ESP-Regelung von Porsche, nur ganz im Hintergrund eingreift, als eine Art Lebensversicherung, wenn es brennt, dass es keinesfalls den Fahrer bevormunden darf. Das haben wir etwa im neuen 911er sehr gut hingebracht.

Zur Verantwortung: Wie viel Sinn kann es noch haben, ein Auto wie den Carrera GT auf einer öffentlichen Straße zu fahren?

Ein vernünftiger Mensch wird 50 Prozent dieses Wagens nutzen, das Dach öffnen und sich an der Souveränität und Überlegenheit freuen. Solche Autos werden ohnehin nicht so viel gefahren, sie sind einfach eine Demonstration, wozu man heute technisch in der Lage ist. Kein Mensch braucht einen GT, aber das ist auch nicht das Thema. Die Entwicklung von Hochleistungssportwagen wird meiner Ansicht nach auseinander laufen. Es wird Autos für die Straße geben, und es wird diese Superautos für die Rennstrecke geben, die man am Wochenende auf einem Rundkurs bewegt, nur zum Spaß.

[Ausrollen. Bemerkenswert, wie komfortabel ein durchtrainiertes, fettfreies Auto wie der GT zu fahren ist. Die aufwendige Pushrod-Aufhängung ist rückenfreundlich, kleine, kurze Schläge etwa werden anstandslos weggesteckt. Auch der Motor überzeugt nicht nur in lichten Drehzahlhöhen: Sechster Gang, 1000 U/min fühlen und hören sich noch immer gut an. "Eine geniale Grundentwicklung", sagt Röhrl über die ursprünglich für den Renneinsatz entworfene Maschine, "mit der wir am wenigsten Problem hatten."]

Wenn dieses Auto eine Art Endpunkt darstellt: Wie kann es von hier weitergehen?

Ich kann mir das wunderbar vorstellen: Dieses Auto ein bissl kleiner, um einiges billiger, das wäre eine schöne Basis für einen Sportwagen.

Kann das funktionieren: Den GT verkleinern und seinen Charakter dennoch erhalten?

Ja, sicher, etwas schmaler, kürzerer Radstand, leichter. Der Boxster ist ja im Prinzip dem GT bereits sehr ähnlich, denn das System Mittelmotor funktioniert immer. Wenn ich heute ein Sportgerät machen will, muss ich schauen, dass die Massen zwischen den Achsen sind, auch auf die Gefahr hin, Platz zu verlieren.

Das Idealgewicht für einen Sportwagen?

1100 Kilo wären ein guter Wert, um den Sicherheits- und Komfortansprüchen zu genügen. Weniger Gewicht bringt mehr Performance, weniger Masse beim Beschleunigen, weniger Fliehkräfte in der Kuve. Wenn das Gewicht stimmt, reichen auch 300 PS; da kann man schon agieren und richtig Spaß haben.

Turbo oder Sauger?

Müsste ich mich festlegen: Turbo. Ich bin schon immer ein Verfechter der Aufladung, man kann Hubraum reduzieren, gewinnt bei Verbrauch, Abgasen, Fahrkomfort. Mit dem 911 Turbo lege ich auf der Autobahn den sechsten Gang ein und fahre zum Nürburgring, ohne einmal zum Schalthebel zu greifen. Im GT muss ich nach einer Baustelle mit 60 km/h dreimal zurückschalten, weil mir ein TDI im Heck hängt.

Allrad- oder Hinterradantrieb?

Der GT hat Hinterradantrieb, weil er mit Blickwinkel Motorsport gebaut wurde und anders dieser tiefe Schwerpunkt nicht möglich wäre. Für alle anderen Fälle, wenn es nach mir geht: immer Allrad, weil man einfach mehr Möglichkeiten gewinnt, Kraft zu übertragen. Die Kunst ist, den Allradantrieb intelligent zu gestalten. Er darf nicht zu schwer sein. Und er muss trotz sportlicher Auslegung ausreichend Traktion aufbauen. Das einzige Auto, das ich ohne Allrad respektiere, ist ein Porsche, durch den Heckmotor. Privat habe ich mir gerade einen 3,2-Liter-Porsche gekauft, Jahrgang 1987. 1200 Kilogramm schwer, ohne Servolenkung, ohne Klimaanlage, da gibt es noch keine Elektronik, der Motor gehört zum Besten, was Porsche je gebaut hat.

Alte Elfer als Perspektive für die Zukunft?

Ja, vielleicht. Am Wochenende bin ich erstmals damit nach Saalbach gefahren. Für die Verhältnisse, wie sie heute auf der Straße sind, reicht das allemal. 150, 160 km/h, fährt sich ganz sauber, mit 231 PS geht es auch gut vorwärts, wenn ich aufs Gas steige, und nach 330 Kilometern ist der Tank gerade mal ein Drittel leer.

(entnommen aus Technology Review Nr. 10/2004; das gesamte Heft können Sie hier bestellen) (sma)