Post aus Japan: IT für transkontinentale Scheidungskinder

Mittels Videokonferenz wollen japanische Behörden virtuelle Familienzusammenführungen für Scheidungskinder ermöglichen. So soll international ein Zeichen gesetzt werden.

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Von
  • Martin Kölling

Mittels Videokonferenz wollen japanische Behörden virtuelle Familienzusammenführungen für Scheidungskinder ermöglichen. So soll international ein Zeichen gesetzt werden.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Damit haben internationale Scheidungsexperten sicher nicht gerechnet: Ausgerechnet Japan wird technisch innovativ, um grenzüberschreitenden Scheidungskindern den Kontakt zu einem im Ausland lebenden Elternteil zu ermöglichen. Dabei stand das Land bis vor kurzem im Ruf, in binationalen Scheidungsfällen ein Kindesentführungsparadies zu sein.

Gemeinsam mit Behörden in den USA und Australien hat das Außenministerium ein Videokonferenzsystem entwickelt, mit dem sich der "Left Behind Parent" und sein in Japan wohnendes Kind unter Aufsicht eines japanischen Experten im virtuellen Raum treffen können. PC, Tablet oder Smartphones reichen.

Damit adressiert das Außenministerium ein trauriges Problem: Bis 2014 hatte Japan das Haager Kinderschutzübereinkommen nicht ratifiziert. Dies bedeutete de facto, dass in binationalen Ex-Partnerschaften viele ausländische Geschiedene oder getrennt Lebende ihre Kinder im fernen Japan nicht mehr sehen konnten, weil der japanische Elternteil den Kontakt unterbunden hatte.

Das Problem hatte sogar für diplomatische Verwerfungen gesorgt. Selbst US-Präsident Barack Obama sprach die Entführungsfälle bei einem Japan-Besuch an. Denn den Eltern half in Japan nicht einmal, wenn sie nach einer Scheidung im Ausland das alleinige Sorgerecht erhalten hatten.

Da Japan nicht Mitglied des Abkommens war, kamen die Hilfsgesuche ausländischer Elternteile erst gar nicht vor japanische Gerichte. Und auch wenn es geklappt hätte, wäre es kaum eine Hilfe gewesen. Denn nach japanischer Rechtsauffassung hat der japanische Elternteil das alleinige Sorgerecht, der bei einer Trennung die Kinder mitnimmt – oder böse gesagt entführt. Und bei grenzüberschreitenden Entführungen fällt damit automatisch dem japanischen Elternteil das Sorgerecht zu.

Mehr noch: Gemeinsames Sorgerecht gibt es nicht. Selbst unter Japanern hängt es daher von der Laune des "Kindesbesitzers" ab, ob der verlassene Elternteil, zumeist der Mann, sein Kind nach einer Trennung noch sehen kann. Bis vor kurzem konnten selbst japanische Väter Besuchsrechte zwar einklagen, aber im Zweifel kaum durchsetzen. Warum sollte es Ausländern da besser gehen?

Doch seit Japans Beitritt zu dem Kinderschutzabkommen gibt es für ausländische Elternteile einen großen Fortschritt: Japans Außenministerium heftet ihre Anträge nicht mehr einfach ab. Stattdessen versuchen die Beamten zwischen beiden Elternseiten zu vermitteln. Denn die Erfahrung mit Gerichtsprozessen im Rahmen des Haager Übereinkommens bestätigt die Erwartung japanischer und ausländischer Experten, dass die Richter eben doch noch weiterhin japanisches Recht anwenden. Und dies benachteiligt wie gesagt den kinderlosen Elternteil.

Das Videokonferenzsystem erweitert nun in den amtlichen Vermittlungsbemühungen das Argumentationsarsenal um einen wichtigen Punkt. In harten Konfliktfällen persönliche Treffen zu organisieren, sei oft schwierig, teilte mir ein Diplomat mit. Mit Hilfe der Technik "hoffen wir, verschiedene Befürchtungen und Lasten für die Eltern, die die Kinder mitgenommen haben, und die Kinder zu senken."

Der Widerstand der japanischen Seite soll dadurch verringert werden, dass die Treffen von geschulten Supervisoren von Organisationen wie "International Social Service Japan" kontrolliert werden. Je nach Absprache kann sogar der japanische Elternteil sich den Kontakt ihres Nachwuchses mit dem anderen Elternteil anschauen. Beiden Eltern muss allerdings klar sein, dass die Supervisoren eingreifen können, wenn sich die Eltern nicht an Absprachen halten. Zum Beispiel kann der Ton eines Teilnehmers vorübergehend ausgeschaltet, ein Treffen abgebrochen – oder einer der Elternteile, auch der japanische, virtuell vor die Tür gesetzt werden.

Doch es geht nicht nur darum, dem japanischen Elternteil weniger Gründe zum Nein-Sagen zu lassen. Die Supervisoren sollen auch dem im Ausland lebenden Elternteil helfen, nach langer Trennung wieder Kontakt und Kommunikation zu ihrem Kind aufzubauen. Das ist nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen. Und wenn der Kontakt dann erstmal angebahnt ist, kann das System auch später noch weiter genutzt werden.

Das ist endlich mal eine sinnvolle Anwendungsinnovation aus Japan für ein wirkliches Problem. Und ein internationaler Beitrag noch dazu: Das Außenministerium sei Willens, das System auch anderen Ländern vorzustellen, teilte mir das Außenministerium mit. Und wer weiß, vielleicht verwandelt sich Japan vom Haager Kinderschutzverweigerer in einen -erneuerer. Und wenn es dafür auch schnöder Technik bedurfte, den betroffenen Eltern dürfte es egal sein. ()