"Haltung zeigen": Anja Reschke und die "Hater" im Internet

Flüchtlinge schützen und Hass-Kommentare im Netz bloßstellen: Das fordert NDR-Journalistin Anja Reschke in den "Tagesthemen". Sie bezieht damit Stellung in einer intensiv geführten Debatte.

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Anja Reschke

Reschke in den Tagesthemen

(Bild: Screenshot)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christopher Weckwerth
  • Jenny Tobien
Inhaltsverzeichnis

"Ich freue mich schon jetzt auf die Kommentare zu diesem Kommentar." Mit diesem Satz beendet Anja Reschke ihre Abrechnung in den ARD-Tagesthemen – und der Aufruhr im Internet lässt nicht lange auf sich warten. Es sind die Flüchtlings-Hetze im Allgemeinen und offene Online-Aufrufe zur Gewalt im Besonderen, die die Journalistin anprangert. Die 42-Jährige fordert: "Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen."

Ihr flammender Appell, ausgestrahlt am Mittwochabend, verbreitet sich rasant. Binnen Stunden wird der Beitrag millionenfach im Netz aufgerufen. Reschke wird zum Gesprächsthema, ihr Name ein Twitter-Trend. Obwohl sie Selbstverständlichkeiten feststellt, wie "wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun", trifft sie einen Nerv. Gleichzeitig verfällt sie nicht auf den allzu oft gesuchten, vermeintlichen Ausweg, nach schärferen Gesetzen für "das Internet" zu rufen.

In den Reaktionen auf ihren Kommentar wird schnell klar, was Reschke gemeint hat. Manche sind unerträglich: "Wenn diese Asylbewerber (...) über deutsche Frauen und Kinder herfallen, dann (...) macht ihr euch mitschuldig am nächsten Bürgerkrieg hier in unserem Land", schreibt einer wütend bei Facebook unter den Aufruf.

Zwar erhält die Journalistin im Netz auch viel Zuspruch. "Dass so viel auch positive Rückmeldung kommt, hat mich echt gefreut, weil das war ja eigentlich das, was ich auslösen wollte", sagt sie am Donnerstag im Interview mit tagesschau24. Und auch in den Medien wird der Mut der Moderatorin gefeiert, Reschke "spricht uns aus der Seele", heißt es etwa in einem Artikel.

Der Kommentar, der bei Facebook die meisten zustimmenden Likes bekommt, hält ihr aber vor: "Ich denke nicht, dass das, wie ja immer berichtet wird, alles Nazis sind und das auch nicht immer etwas mit Rechtsextremismus zu tun hat."

Reschke nimmt am Donnerstag auch die Politiker in die Pflicht. In dem Interview berichtet sie von fremdenfeindlichen Parolen während einer Demonstration im sächsischen Freital - "Weg mit dem Dreck", hätten dort einige gerufen. "Da erwarte ich eigentlich schon, dass mal jemand – also Minimum Ministerium, wenn nicht eine Kanzlerin – auch mal dahinfährt und sagt "Finito, so nicht!"."

Reschke hat beobachtet, dass der Hass neuerdings nicht mehr hinter Fantasienamen versteckt werde. "Im Gegenteil, auf Sätze wie 'Dreckspack, soll im Meer ersaufen' bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch und eine Menge Likes", sagt sie in dem Kommentar über sogenannte "Hater", hasserfüllte Onlinenutzer.

Die Einschätzung eines Internet-Trends hin zum offenen Hass, den Reschke ausgemacht hat, teilt Juliane Leopold hingegen nicht. Die Chefredakteurin des Online-Magazins Buzzfeed Deutschland und langjährige Netzkennerin beobachtet die Kontroverse kritisch. "Was Reschke sagt, ist wichtig. Aber es reicht nicht, auf Facebook gegen Ausländerfeindlichkeit zu sein", sagt Leopold der dpa. "Ein Shitstorm gegen Nazis im Netz wird keinen Rassisten bekehren."

Leopold ist überzeugt, dass der Hass, der sich im Netz äußert, gesellschaftlich tief verwurzelt ist: "Online-Phänomene gibt es nicht, es gibt nur die echte Welt. Das Internet macht nichts mit Menschen, was nicht schon vorher in ihnen war." Ihre Prognose ist düster: "Unser Problem ist, dass die Mitte der Gesellschaft sich nach rechts bewegt."

Zugleich sei es falsch, die Netz-Kommentare als repräsentativ anzusehen, sagt sie. Eine Faustregel besage: 90 Prozent der Online-Leser bleiben passiv, 9 Prozent interagieren, indem sie den "Gefällt mir"-Knopf drücken oder den Beitrag weiterleiten. Nur 1 Prozent der Leser kommentiert – und von denen vor allem jene, die sich unverstanden fühlen.

Diese Erfahrung machte vor kurzem auch Schauspieler Til Schweiger. Er wurde auf seiner Facebook-Seite angefeindet, als er sich für eine Flüchtlingsinitiative einsetzte. Der Tatort-Star ließ sich davon nicht beeindrucken. Er forderte das "empathielose Pack" auf, sich von seiner Facebook-Seite zu "verpissen", und kündigte wenig später an, ein Flüchtlingsheim bauen zu wollen.

Auch für Reschke, Chefin des ARD-Politikmagazins "Panorama", dürfte klar gewesen sein, welche Wellen ihr Kommentar schlägt. Schon im Januar hatte sie anlässlich des Jahrestages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz klar Stellung bezogen und davor gewarnt, einen Schlussstrich unter der deutschen Verantwortung zu ziehen. Ihre deutlichen Worte polarisierten schon damals. (mho)