Spannung trotz Prognosen
Schon aus der Befragung von 1250 Wahlberechtigten schließen Meinungsforscher ziemlich zuverlässig auf das Wahlergebnis – mit einer Mischung aus Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Erfahrung und Bauchgefühl
- Nils Schiffhauer
Der Gerhard und die Angela, der Joschka und der Edmund, womöglich auch der Guido –- sie werden am Wahltag alle dasselbe genießen: zwei Stunden Vorsprung. "Gegen 16 Uhr", sagt Matthias Jung, "teilen wir ausgewählten Politikern informell mit, in welche Richtung der Wähler tendenziell entschieden hat." Der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, einem 1974 vom ZDF ins Leben gerufenen Meinungsforschungsinstitut, hat zu diesem Zeitpunkt aus den Befragungen der Wähler nach ihrem Urnengang ("Exit Poll") ein belastbares Bild errechnet, das den Politikern etwas Reaktionszeit verschafft, bevor Sieger wie Verlierer nach Schließung der Wahllokale erst einmal ihren Wählern danken werden. "Am Ende haben unsere Interviewer in ganz Deutschland etwa 25 000 Wähler unter anderem danach gefragt, wo sie ihr Kreuz gemacht haben", sagt der Volkswirt, der seine eigene Stimme per Brief abgibt. Aus diesen Daten entsteht eine Prognose, die mit der beeindruckenden Genauigkeit von nur einigen Zehntelprozent das amtliche Schlussergebnis vorhersagt und sich dem Endergebnis im Laufe des Wahlabends asymptotisch nähert.
Ob es eine Sternstunde für Statistiker wird oder wie 2002 ein Flop, als eine ARD-Prognose Stoiber kurzzeitig zum Kanzler ausrufen wollte, hängt nicht nur an der Mathematik. "Das Modell, nach dem wir unsere Rohdaten bewerten", sagt Jung, "ist für uns das, was für Software-Entwickler der Quellcode ist." Aber nicht nur geheim ist es, sondern es steckt voller Erfahrung, subjektiver Wahrheiten und gar "Bauchgefühl". Auf die Prognose des Wahlergebnisses haben die Meinungsforscher kontinuierlich hingearbeitet. Das "Politbarometer" etwa informiert in regelmäßigen Abständen das Volk darüber, wie es die Politiker bewertet. Und darüber, wie viele Stimmen die Parteien bekämen "wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären". An dieser "Sonntagsfrage" lässt sich die Mischung aus Mathematik, Soziologie und Erfahrung – niemals aber Wunschdenken, wird allseits glaubhaft versichert – zeigen, wie Volkes Stimme möglichst zuverlässig und in Schritten zu 0,5 Prozent als Parteinahme prognostiziert werden kann. Der Trick: aus einer kleinen Gruppe von Befragten ("Stichprobe") auf das Verhalten von etwa 58 Millionen Wählern ("Grundgesamtheit") zu schließen.
1700 Wahlberechtigte werden hierzu nach einem strengen Zufallsprinzip ausgewählt - 1000 aus den westlichen, 700 aus den östlichen Bundesländern. Da durchschnittlich nur jeder zweite der um Auskunft Gebetenen erreichbar ist oder antwortet, stellt ein Computer zunächst rund 3500 Telefonnummern von Privathaushalten zusammen. Die jeweils letzte Ziffer dieses Anschlusses wird durch eine Zahl von 0 bis 9 ersetzt, die ein Zufallsgenerator liefert. "Randomize last digit" nennt sich diese Methode. "Dadurch erreichen wir auch solche Haushalte", erläutert Matthias Jung, "die nicht im Telefonbuch verzeichnet sind."