Digitale Augen überwachen das Shuttle
Kein Glück für die Discovery vor zwei Wochen: Die wurde kurz vor dem Start abgebrochen, weil ein Sensor nicht richtig funktionierte.
- Eric S. Brown
Die drei übrig gebliebenen Shuttles wurden mit modernster Technik nachgerüstet, die die Raumfahrt so sicher wie möglich machen soll. Seit dem Columbia-Schock, bei dem alle sieben Astronauten ums Leben kamen, hat die NASA-Untersuchungskommission insgesamt 15 notwendige Verbesserungen empfohlen. Dazu gehören vor allem neue digitale Bilderfassungs- und Sensor-Technologien. Daneben hat die NASA selbst 30 weitere Verbesserungen vorgenommen.
Der so genannte "Return to Flight"-Plan ist breit: Im Bereich Imaging und Sensoren soll es künftig möglich werden, Einschläge und Trümmerteile besser zu erkennen. "Aus technischer Sicht liegen die größten Verbesserungen im Bereich der Einschlagsensoren in den Tragflächen und beim neuen Ausleger des Shuttles. Die Bilderfassung läuft per Laser", sagt Bruce Sauser, zuständig für die Space Shuttle- und Flightcrew-Ausstattung am Johnson Space Center der NASA. Sein "Government Furnished Equipment and Flight Crew Equipment Management Office" war an der Entwicklung und Beschaffung der neuen Discovery-Sicherheitstechnologie maßgeblich beteiligt.
Der vielleicht wichtigste neue Shuttle-Bestandteil ist ein Laser Imaging-System, das an einem neuen Ausleger hängt, der wiederum an einer rund 15 Meter langen Verlängerung des bislang schon 15 Meter langen Shuttle-Arms sitzt. Das neue 30 Meter-System macht deutlich bessere Kamerablicke auf das Shuttle möglich. Der Ausleger besitzt auf der einen Seite einen Greifer und auf der anderen das Imaging- System selbst. Es besteht aus einem so genannten Laser Dynamic Range Imager (LDRI), einem Laser Camera System (LCS) und einer verbesserten Fernsehkamera.
Das LDRI-System wurde von Sandia Labs hergestellt und besitzt einen Infrarot-Laser-Beleuchter plus Kamera-Empfänger, der 2D- und 3D-Video beherrscht. Das LCS kann wiederum 3D-Video-Bilder oder CAD-Modelle eines Einschlagpunktes erstellen. "Die 3D-Darstellung ist wichtig, um die Einschlagtiefe festzustellen", sagt Sauser. "Wenn man merkt, dass ein Riss eine bestimmte Tiefe hat, wird es kritisch. Die Qualität der 3D-Ansichten dieser Systeme hat sich in den letzten Jahren stark verbessert."
Am zweiten Flugtag sollen die Astronauten mit dem neuen Ausleger die Shuttle-Nase und die Seiten der Tragflächen untersuchen -- sowohl automatisiert als auch manuell. Sie werden die Bildgeber dabei in einem Abstand von 2,1 Meter am Orbiter vorbeiführen, um die notwendige Auflösung zu erhalten. Sie müssen dabei sehr vorsichtig sein: Erstens dürfen sie das Shuttle selbst nicht berühren und zweitens sind die Laser gegenüber schnellen Bewegungen sehr anfällig. Die ganze Operation wird daher auch mehr als sechs Stunden dauern.
Bei späteren Missionen will die NASA Kameras mit einer noch höheren Auflösung installieren, die diesen Prozess beschleunigen könnten und keine Kollisionsgefahr mehr bieten. "Wenn der Ausleger noch drei bis sechs Meter länger wäre und wir eine hochauflösende Kamera einsetzen, ist der Sichtwinkel größer und die Prozedur läuft viel schneller ab", sagt Sauser. "Wenn wir einen möglichen Schadensbereich entdecken, können wir dann näher heran gehen und Laser und 3D-Messung nutzen."
Obwohl es nicht unbedingt nötig wäre, hat die NASA außerdem 88 neue Beschleunigungssensoren im Bereich der Tragflächen-Eintrittskante installiert. Das macht dann, neben den bereits existierenden Temperaturfühlern, insgesamt 176 Sensoren. Beschleunigungs- und Temperaturdaten werden zusammen mit Spannungsmessungen dazu benutzt, Trümmereinschläge zu erkennen und ihren genauen Ort zu berechnen. Die Daten werden sowohl an einen Laptop im Cockpit als auch an das Kontrollzentrum geschickt.
Beschleunigungssensoren wurden laut Sauser bereits an anderer Stelle im Shuttle eingesetzt, allerdings nicht an den Tragflächen. Das Erkennen von Einschlägen bliebe ein Ratespiel, meint er, wenn man nicht eine neue Software einsetzen würde, die die Datenmenge reduziert. "Wir haben hart daran gearbeitet, die Software so zu verwenden, dass wir das Rauschen herausfiltern können."
Insgesamt 107 Kameras, die sowohl auf der Erde als auch am Raumschiff befestigt sind, werden Lift-Off, Aufstieg und Wiedereintritt beobachten. Dazu gehören auch verbesserte Filmkameras, die mit einer höheren Bildrate (100 Bilder pro Sekunde) arbeiten. Außerdem werden HDTV-Kameras eingesetzt. Auch die Anzahl der Standorte wurde erhöht. So lassen sich Szenen aus mehreren Winkeln anpeilen. Film, Video und Standbilder werden mit Radar-Daten zusammengeführt. Spiegel-Server helfen dabei, die Kommunikation zwischen den Teams am Boden zu beschleunigen. HDTV-Bilder sollen demnach innerhalb weniger Stunden zur Verfügung stehen, die Filmaufnahmen werden innerhalb von ein bis zwei Tagen bereitgestellt. Das kombinierte System kann bis zu 2,5 Zentimeter kleine Trümmerteile erkennen - bis zu 30 Sekunden nach dem Start. Wenn die Booster- Raketen abgeworfen sind, bleiben immerhin noch Objekte ab 40 Zentimeter erfassbar.
Auch aus der Luft soll der Shuttle-Start beobachtet werden. Experimentelle HDTV- und Infrarot-Bilder kommen von einem Wannenturm- System, das an den letzten beiden aktiven NASA-Wetterflugzeugen des Typs WB-57 hängt. Sie fliegen in einer Höhe von bis zu 1800 Metern zu beiden Seiten der Startrampe. Sie werden den Aufstieg der Discovery achteinhalb Minuten lang verfolgen. Neu sind außerdem Radar-Systeme der Typen Wideband Coherent C-Band und Weibel Continuous Pulse Doppler X-Band. Beide Varianten sollen fallende Trümmerteile erkennen. Das C-Band-System bietet eine hohe Raumauflösung, während das Doppler-System Geschwindigkeit und Differenzial misst. Die Daten beider Systeme werden aus drei verschiedenen Winkeln korreliert. Das C-Band-System wird dabei nahezu in Echtzeit verfügbar sein.
Am Shuttle selbst werden ebenfalls neue Kameras und Radarsysteme installiert. Das so genannte "Enhanced Launch Vehicle Imaging System" (ELVIS) enthält zusätzliche "Lippenstift"-Kameras an der Oberfläche des Orbiters, an den Raketen und am Außentank, um Schäden während des Aufstiegs zu erkennen. Die Kameras sind auf mögliche Problembereiche gerichtet, außerdem auch auf das neue Equipment. Die tragbaren Kameras der Crew wurden ebenfalls verbessert, man besitzt nun auch eine hochauflösende Kamera für Weltraumausflüge.
Das Shuttle wirkt im Vergleich zum externen Tank recht klein. Dieser ist 15 Stockwerke hoch und gibt während der ersten zwei Minuten nach dem Start mehr als zwei Millionen Liter flüssigen Wasserstoff und Sauerstoff ab. Das Schaumstoffschild, das die Tragflächen der Columbia höchstwahrscheinlich beschädigte, brach wohl vom "Bipod"- Anschlussstutzen des Tanks ab. Diese Stelle sorgte bereits im Oktober 2002 für Trümmerteile beim Start der Atlantis. Die bestehenden Tanks wurden umgerüstet. Das Bipod-Schild wurde durch elektrische Heizkreise ersetzt, damit es zu keiner Eisbildung kommt.
An den Booster-Raketen wurde der so genannte Bolzenfänger verstärkt. Er fängt einen 30 cm langen Bolzen auf, wenn der externe Tank abgeworfen wird. Das zylindrische Material, dass bislang die Energie absorbieren sollte, wurde durch eine Bienenwabenkonstruktion ersetzt. Die Booster selbst sollen sich leichter vom Tank lösen, damit dieser reibungslos abgeworfen werden kann.
Um gegen Weltraumschrott und Mikrometeoriden besser geschützt zu sein, untersuchte die NASA alle Tragflächen-Eintrittskanten-Paneele, die Abdeckung der Shuttle-Nase und alle anschließenden Teile. Dabei wurden die bestehenden Kacheln repariert oder ersetzt. Neben Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen wurden auch Proben genommen, um zu erkennen, ob es Risse im verstärkten Kohlenstoff-Kohlenstoff- Überzug der Kacheln gab. Als neue Methode wurden außerdem Infrarot- Thermographie-Systeme eingesetzt. Die unteren fünf Zentimeter des Vorderholms (an dem die Tragflächenpaneele sitzen) wurden modifiziert, damit keine Hitze in das Innere eindringen kann. Trümmer aus diesem Bereich stellen die größte Gefahr für einen Einschlag dar.
Am Orbiter selbst waren die Seitenrudergeschwindigkeitsbremsen korrodiert. Dieses und andere Probleme wurden behoben. Damit keine Trümmer aus der Struktur fallen, wurden die Brücken abgeschliffen und mit einem speziellen Epoxydharz neu lackiert. Die Treibstoffarme wurden verbessert, um einen Kontakt mit der Turmstruktur beim Start zu vermeiden. Auch die Wartungsprozeduren wurden verschärft. Die Ausrüstung wird künftig strikter untersucht und auch die Standards für Trümmerinspektionen sind enger.
Während das Shuttle am dritten Tag zum Rendezvous mit der ISS ansetzt, sollen die Astronauten es drehen, um an die Unterseite des Raumschiffs zu gelangen. Die Besatzung der ISS kann dann digitale Kameras einsetzen, um das Hitzeschild zu fotografieren. Nach dem Dock- Vorgang werden die Daten dann mehrere Tage lang überprüft, um festzustellen, ob es ein kritisches Problem gibt. In diesem Fall tritt dann ein Rettungsplan in Kraft -- die gestrandeten Astronauten sollen dann anderweitig zur Erde zurückkommen. Die Discovery bringt einen Container mit mehreren Tonnen an Versorgungsgütern zur ISS, so dass die Besatzung auch längere Zeit im All bleiben kann, bis eine Rettungsmission eintrifft.
In Zukunft sollen Einschläge wie der, der die Columbia zum Absturz brachte, repariert werden können. Zwei solche Reparaturtechnologien sollen während eines Weltraumspaziergangs ausprobiert werden. Die erste Methode setzt ein Fugendichtungsmaterial namens "Shuttle Tile Ablator-54" (STA-54) ein, das Löcher stopfen und ganze Kacheln ersetzen kann. Das Material basiert auf Silikon und wird in einem Rucksack getragen. Dieser enthält die Komponenten. In einer speziellen Spritzpistole werden diese dann gemischt. Die zweite Methode basiert auf einer Flüssigkeit, die abgenutzte Stellen vor Hitze schützen soll. Sie kann auch als Grundbeschichtung für STA-54 verwendet werden und besteht aus einem fein granulierten Siliziumkarbid, das zusätzlich vulkanisierendes Material enthält.
Die neuen Reparaturtechniken können Risse von bis zu 7,6 Zentimetern Große schließen, meint Sauser. Zuvor braucht es aber noch Probeläufe, die sicherstellen, dass ihre Anwendung die Aerodynamik des Shuttles nicht verändert. "Wir haben am Boden viele Tests durchgeführt. Um sich an die Technik zu gewöhnen, müssen die Leute aber in den Orbit. Wir werden all diese Dinge in einer Mikrogravitationsumgebung testen und die Proben dann mit auf die Erde bringen. Dort simulieren wir dann mittels großer Hitze ein Landeszenario."
Von Eric S. Brown; Übersetzung: Ben Schwan. (wst)