Gamescom 2015: Spiele-Entwickler experimentieren mit der Virtual Reality

Immer mehr Publisher strecken ihre Fühler in die virtuelle Realität aus. Während einige bereits sehr überzeugende, filmreife Szenen zeigen, wird einem von anderen Demos noch immer übel.

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(Bild: Crytek)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wenn bis Mitte nächsten Jahres die drei großen Hersteller Oculus, HTC/Valve und Sony mit ihren VR-Brillen auf den Markt kommen, wird sich die Hardware der drei nur in wenigen Punkten unterscheiden. Viel wichtiger für den Erfolg werden die VR-Spiele sein, und hier verfolgen die Studios zuweilen unterschiedliche Ansätze mit ebenso unterschiedlichem Erfolg.

Ganz vorne mitmischen könnte in Deutschland beispielsweise Crytek. Seit ihrer ersten Dinosaurier-Demo vom vergangenen Jahr hat das Studio große Fortschritte gemacht. Dank der sehr realistisch wirkenden Grafik-Effekte ihrer CryEngine brauchen sie ihre Spiele-Grafik nicht comichaft abstrahieren, sondern können sich im Fotorealismus versuchen. In ihrer aktuellen Demo lassen sie den VR-Spieler an einer Felswand hochklettern, während ihn Flugsaurier umkreisen. Das besondere der Demo steckt jedoch in den Details: So greifen die Hände das Spielers immer wieder nach Seilbahngriffen, an denen er nach oben gezogen wird. Weil Crytek die Bewegungen mit einem normalen Gamepad umsetzt, lassen sie den Spieler die Greifrichtung mit dem Blick steuern. Sobald er auf einen Griff schaut, muss er nur noch einen Trigger ziehen, damit die Hand zugreift. Weil während der gesamten Demo die Körperhaltung des Spielers an der Seilbahn mit seiner echten Körperhaltung übereinstimmt und die Seilbahn sehr langsam fährt, verschmilzt man äußerst leicht mit der virtuellen Realität.

Damit Spieler in die VR-Umgebung eintauchen, müssen selbst kleinste Details bei den Bewegungen, wie das Zugreifen der eigenen Hand, penibel abgestimmt werden.

(Bild: Crytek)

Allerdings ist Cryteks Seilbahn-Kletter-Experiment eher eine Technik-Demo, die außer dem staunenden Umherschauen keinen klassischen Spielspaß mitbringt. Sony ist da bereits eine Stufe weiter und zeigen in "The Heist" eine filmreife Autoverfolgungsjagd für die Morpheus-Brille. Dabei sitzt der Spieler auf dem Beifahrersitz und zielt mit einer Maschinenpistole auf die das Auto überholenden Angreifer. Ganz natürlich zielt man auf die Auto und Motorräder und kann außer den Schützen auch die Reifen zerschießen. Gezielt wird mit den Move-Controllern. Greift man nach einem Magazin und führt beide Move-Controller zusammen, dann lädt die Waffe nach. Nebenbei quasselt einen der Fahrer voll. Die Bewegungen laufen so flüssig und die Action ist so rasant choreografiert, dass man sich tatsächlich in einem Gangster-Film wähnt.

Nicht zuletzt kann die Demo auch grafisch überzeugen und alle Befürchtungen zerstreuen, Morpheus könnte an der PS4 grafisch nicht mit den PC-Systemen mithalten. Im Gegenteil: Die meisten VR-Demos am PC sehen deutlich schlechter aus als "The Heist" auf der PS4.

Sony entführt den Spieler in "The Heist" in eine packende Autoverfolgungsjagd. Auch hier stimmen Handbewegungen und Körperhaltung 1:1 mit den realen Bewegungen des Spielers überein.

(Bild: Sony)

Doch grafische Qualität ist in VR auch gar nicht so spielentscheidend, Das demonstrierte Oculus selbst mit seinen Sport-Experimenten mit den Touch-Controllern. Hier sorgten die verzögerungsfreien, akkuraten Bewegungen und die glaubwürdige Physiksimulation dafür, dass man als Spieler die Umgebung als "echt" akzeptierte, obwohl die Tischtennischläger, Zwillen, ferngesteuerten Spielzeugpanzer, Bauklötze und Feuerwerksraketen nur recht einfach gezeichnet waren.

Die Demos von Valve für die HTC Vive lebten wiederum davon, dass man in einem realen Raum herumgehen und die sehr plastisch wirkenden Objekte aus allen Lagen beobachten und greifen konnte. So wirkte ein Echtzeitstrategiespiel auf einem virtuellen Tisch wie eine lebendige Mini-Welt und der Spieler fühlte sich als Gott, der mit den beiden Controller wie mit Zauberstäben hantiert. Selbst ein simples Malprogramm, mit dem man leuchtende Bahnen in die Luft zeichnete, wirkte faszinierend, weil man um die Striche herumgehen konnte.

CCP entwickelt EVE:Valkyrie speziell für VR-Brillen. Weil deren Auflösung so gering ist, verzichten sie auf kleine Schriften auf Displays und in Menüs und ersetzen diese durch große Symbole und Zeichen.

(Bild: CCP)

Auch CCP entwickelt seinen Weltraum-Shooter "Eve: Valkyrie" ausschließlich für VR-Brillen, bildet den Spieler jedoch in sitzender Position in einem Cockpit ab und lässt ihn den Flieger per Gamepad steuern. Im Vergleich zu "Elite:Dangerous" das als konventionelles Videospiel für VR lediglich angepasst wurde, fühlt man sich in Valkyrie wesentlich wohler, weil das Cockpit und die Flugeigenschaften speziell auf die VR-Erfordernisse angepasst wurden. So hadert mit auch nicht mit zu kleinen Texten auf Displays, die man aufgrund der geringen VR-Display-Auflösung in Elite kaum entziffern kann. Valkyrie wird übrigens als reines Multiplayer-Spiel entwickelt, in dem Spieler gegeneinander zu Weltraumgefechten antreten. Anders als noch der Shooter "Dust" sollen die Kämpfe jedoch nicht direkt in Eve Online eingebunden werden und dortige Schlachten beeinflussen, sondern lediglich thematisch in demselben Universum spielen. CCP will mit dem Weltraum-Shooter sowohl für die Morpheus-Brille als auch für die Oculus Rift herauskommen, sobald die Hardware an den Start geht.

Andere Studios wie High Voltage Games versuchen in VR ganz neue Wege zu gehen. So kann der Spieler in dem Shooter "Damaged Core" nicht herumlaufen, sondern sich nur in Roboter "beamen" die auf einem Spielfeld auf festgelegten Positionen stehen. Auf diesen kann man sich nur umschauen und Schüssen ausweichen, indem man sich duckt. Weil man nur an einem Platz steht, können selbst Spieler, die auf VR-Beweungen empfindlich reagieren, den Shooter wesentlich länger spielen als wenn sie durch die VR-Welt rennen würden. Die verschiedenen Postionen auf dem Spielfeld kann man als Spieler mit unterschiedlichen Roboter-Modellen besetzen, wodurch wie bei Tower Defense eine taktische Komponente ins Spiel kommt.

Umsetzungen gewöhnlicher Spiele wie Trackmania funktionieren in VR häufig nicht gut, weil sie mit einem zu hohen Tempo arbeiten.

(Bild: Ubisoft)

So wird VR neue Spielkonzepte zutage fördern, die sich grundlegend von dem unterscheiden, was wir bislang auf Bildschirmen gespielt haben. Schlichte Portierungen gewöhnlicher Spiele funktionieren meist deutlich schlechter und bringen die Gefahr mit sich, dass den Spielern übel wird. In diese Falle tappen selbst große Publisher wie Ubisoft. Eine VR-Demonstration von "Trackmania" musste ich nach kaum einer Minute abbrechen, weil der Wagen zu schnell fuhr und zu abrupt von den Streckenbegrenzungen abprallte.

Auch eine kleine VR-Szene aus Far Cry, in der der Spieler gefesselt vor dem verrückten Bandenboss kniete, zog mich nicht so sehr in sich hinein. Das lag nicht nur an der etwas schlichten Grafik, sondern auch an kleinen Unstimmigkeiten wie meinem virtuellen Körper, dessen Haltung nicht zu meiner realen Körperhaltung passte. Besser funktioniert es, wenn VR-Spiele gar nicht erst versuchen, den Körper des Spielers abzubilden.

Das VR-Experiment mit einer Szene aus Far Cry lässt den Spieler an seinem virtuellen Körper in kniender Haltung hinabblicken. Wenn er dabei real jedoch sitzt oder steht, wirkt die Szene unglaubwürdig.

(Bild: Ubisoft)

In einer anderen Vorführung bei Ubisoft konnte man als Rabe über eine Stadt fliegen und gegen drei andere Spieler ein kleines Match "Capture the Flag" spielen. Doch richtiger Spaß kam nicht auf, dazu waren die Interaktionsmöglichkeiten zu gering und mehrmals wurde ich hinterrücks von einem anderen Spieler erschossen. Obwohl mir beim Flug nicht übel wurde, scheint diese von Online-Shootern weit verbreitete Spielmechanik in VR deutlich schlechter zu funktionieren, weil man sich langsamer drehen und wenden kann und somit Abschüssen hilfloser ausgeliefert ist.

Natürlich wird man in der Anfangsphase der ersten VR-Brillen viele solche kopierten Konzepte sehen, nicht zuletzt, weil der VR-Markt klein sein wird und es sich größere Studios schlichtweg nicht leisten können, aufwendige Spiele nur für die wenigen VR-Brillen-Besitzer zu entwickeln. Doch VR-Ports werden immer Kompromisse bleiben, die hinter den für VR konzipierten Spielen zurückbleiben. Sollte VR dann doch irgendwann einmal zum Mainstream werden – was ich derzeit trotz allem Enthusiasmus der Branche noch immer für kühn halte – dann werden die Entwickler den Ton angeben, die schon heute voll auf VR setzen und sich die Grundlagen mühsam selbst erarbeiten, ohne die Experimentierkosten gleich wieder einzufahren. (hag)