Neuer Markt 2.0? Das Ringen um ein Börsen-Segment für Startups

Jungen Internetunternehmen fehlt hierzulande das Geld aus Börsengängen, finden Startup-Verband und Politik. Der Plan eines eigenen Segments an der Börse ist vorerst gescheitert, mittlerweile ist die Debatte aber wieder in Bewegung.

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Neuer Markt 2.0? Das Ringen um ein Börsen-Segment für Startups
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Stefan Mey
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Die Startupschmiede Rocket Internet und deren Schuhversand Zalando hatten es 2014 getan. Und im Mai dieses Jahres holte sich das Münchener Startup Windeln.de etwa 200 Millionen Euro an der Deutschen Börse. Startup-Börsengänge, im US-amerikanischen Ökosystem eher die Regel, bleiben hierzulande allerdings eine Ausnahme.

Börsengänge von Startups sind in Deutschland eine Ausnahme

(Bild: Pythagomath, CC BY-SA 4.0 )

"Die Zahl der Börsengänge durch Startups in Deutschland ist unverändert unbefriedigend." findet Florian Nöll, Vorstands-Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups. Ein Börsengang erfüllt zwei wichtige Funktionen, meint Nöll: „Zuerst liefert er dem Startup dringend benötigtes Wachstumskapital für die weitere Expansion. Außerdem ermöglicht er dem Unternehmen eigenständig weiter zu wachsen.“ Die Alternative sei der frühe Unternehmensverkauf, wobei die Käufer dann meist aus dem Ausland kämen. Damit auch hierzulande Startups zu Weltmarktführern werden können, müsste ein Börsengang zur Selbstverständlichkeit werden. Und das sei am besten durch ein spezialisiertes Segment zu erreichen, ein "Schaufenster an der Börse".

Die Schaffung eines solchen Startup-Segments, eine Neuauflage des einst furios gescheiterten Neuen Marktes, ist eines der großen Projekte des Verbands. Und es war und ist auch ein erklärtes politisches Vorhaben. Der damalige FDP-Wirtschaftsminister Rösler hatte es vorangetrieben, sein Nachfolger Sigmar Gabriel hat den Plan aufgegriffen.

Zum Leidwesen der Befürworter erteilte die Deutsche Börse dem Plan aber im November vergangenen Jahres eine Absage. Andreas Preuß, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG, begründete das mit Strukturproblemen im deutschen Kapitalmarkt. Es gebe einfach zu wenig institutionelle Investoren für wachstumsorientierte Highttech-Modelle.

Allerdings gebe es bereits eine Infrastruktur für Börsengänge junger Wachstumsunternehmen, heißt es bei der Pressestelle der Deutschen Börse: "Wir bieten bereits mit dem Entry Standard ein Segment, in dem vor allem junge und mittelständische Wachstumsunternehmen mit geringeren Kosten und Pflichten an die Börse gehen können."

Die Börse bietet verschiedene Optionen für Börsengänge an. Der "Prime Standard" hat die höchsten Anforderungen an Transparenz und Dokumentationspflichten. Hier sind alle großen Börsen-Unternehmen gelistet, die in den bekannten Indizes erfasst werden, wie Dax, SDax oder auch TecDax, der einst als Nachfolger des Neue Markt-Indexes Nemax gestartet war. Über den Prime Standard gingen Zalando und Windeln.de an die Börse. Der Entry Standard hat niedrigere Anforderungen. Hier spielte sich der Börsengang von Rocket Internet ab. Wie genau ein neues Segment für Startups aussehen soll, ist nicht klar. Vermutlich wären die Anforderungen aber noch niedriger als beim Entry Standard.

Die Enttäuschung über die ablehnende Haltung der Deutschen Börse war jedenfalls groß. Minister Gabriel erklärte, dass er die die Entscheidung bedauert und für falsch hält.

Jan Thiel

Jan Thiel, Chief Operating Officer des Online-Kunst-Versteigerers Auctionata, findet die Idee eines eigenen Segments prinzipiell gut. Börsengänge seien nicht nur eine wichtige Kapitalquelle für das Startup-Wachstum und ein wichtiger Exit-Kanal für Investoren. Er sieht noch einen weiteren Vorteil: mit einem Börsengang als Ziel vor Augen müssten Startups fokussieren und saubere Prozesse etablieren. Das mache sie vermutlicher wettbewerbsfähiger und damit erfolgreicher.

Ein eigenes Segment wäre grundsätzlich auch für Auctionata interessant. Allerdings sollten die Fehler des Neuen Marktes nicht wiederholt werden: „Das heißt konkret, es muss klare und sehr strenge Regeln geben, die nur Unternehmen mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell als Teilnehmer zulassen. Darüber hinaus muss es auch eine kritische Masse an interessanten und von der Größe her attraktiven Unternehmen geben, die auch eine entsprechende Liquidität dieses Marktsegmentes sicherstellt.“

Ingo Heinrich

Auch Ingo Heinrich, Gründer und Geschäftsführer der Mode- und Möbel-Empfehlungsplattform Stylefruits, könnte sich mittelfristig einen Börsengang über ein eigenes Startupsegment vorstellen, man beobachte die Entwicklungen mit Interesse. Das Projekt könnte den Standort Deutschland für Gründer und Investoren attraktiver machen. Je besser die Chancen, auf eine Börsenfinanzierung seien, desto mehr Dynamik gebe es im deutschen Startup-Markt, meint Heinrich: "Der IPO als weiterer Exit-Kanal kann sich sehr positiv auf das Investitionsumfeld auswirken. Die Aussicht auf einen möglichen Börsengang kann ein weiterer Anreiz oder möglicherweise sogar eine Voraussetzung für eine bessere VC-Finanzierung im Growth-Segment sein."

Seriengründer Sven Rittau begrüßt die öffentliche Diskussion über Finanzierungsoptionen für Startups, ein eigenes Börsen-Segment hält er aber nicht für notwendig. Gerade der Blick auf die jüngeren IPOs von Rocket Internet und Windeln.de würden zeigen, dass auch der Entry Standard und der Prime Standard ernsthafte Optionen sind: „Windeln.de ist mit einem ziemlich geringen Umsatz von +100 Mio. an die Börse gegangen (zugegeben zu einer, wie man heute sieht, zu hohen Bewertung) und Rocket bekanntlich mit einer großen Wundertüte im Portfolio.“ Folglich seien die Anforderungen für eine Aufnahme in die bestehenden Indizes nicht wirklich allzu hoch. Rittau hat 1999 den Tierfutter-Shop Zooplus mitgegründet, der 2008 an die Börse ging. Dann folgte der Tshirt-Bedrucker Shirtinator. Seit 2014 ist er Geschäftsführer des Ecommerce-Dienstleisters K5 GmbH.

Das "Deutsche Börse Venture Network"

(Bild: Screenshot)

Auctionata und Stylefruits beteiligen sich zur Zeit am "Deutsche Börse Venture Network". Das soziale Netzwerk für Startup-Gründer und Investoren ist eine Art Ersatz für das von der Börse verweigerte Startup-Segment. Im Juni 2015 wurde es eröffnet und 34 Jung-Unternehmen sind dort gelistet. Neben Auctionata und Stylefruits sind das unter anderem auch Mister Spex und Home24. Dem stehen 58 nationale und internationale Kapitalgeber gegenüber. Venture Network besteht aus einer nicht-öffentlichen Online-Plattform, auf der Dokumente ausgetauscht und Finanzierungsrunden angebahnt werden können sowie aus verschiedenen Vernetzungs- und Trainings-Veranstaltungen. Auf Matching-Veranstaltungen sollen Gründer und Investoren zusammenkommen, und ein "Executive Traning" bereitet auf einen möglichen Börsengang vor.

Der Deutsche Startup-Verband sieht das Venture Network nur als ersten von vielen Schritten, zwangsläufig müsse eine börsliche Plattform folgen. Den Plan eines Börsensegments hält Verbands-Chef Florian Nöll nicht für gescheitert.

Dass es endlich vorangeht, soll ein hochrangig besetzter "Roundtable für mehr Börsengänge von Wachstumsunternehmen in Deutschland" garantieren. Den hatte Wirtschaftsminister Gabriel wenige Wochen nach der Absage der Deutschen Börse ins Leben gerufen. Erstmals Mitte Dezember holte Gabriel Vertreter von Startups, von Risikokapitalgebern, Banken und Verbänden an einen Tisch, darunter Schwergewichte der Wirtschaft wie Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank oder die BMW-Aktionärin Susanne Klatten. Ende Juni überreichten die Teilnehmer dem Wirtschaftsminister einen Abschlussbericht. Der ist noch nicht öffentlich und soll irgendwann in den nächsten Wochen vorgestellt werden. Die wichtigsten Punkte hat Nöll aber schon in einer Pressemitteilung und einem Gastartikel für ein Startup-Blog skizziert.

Der Abschlussbericht des Runden Tischs

Im Bericht wird moniert, dass hierzulande die Börse bei der Wachstumsfinanzierung von Startups anders als in anderen Ländern kaum eine Rolle spielt. Fast alle Weltmarktführer der Digitalwirtschaft hätten diese Option hingegen als Finanzierungsquelle genutzt. In dieser Lücke im Ökosystem der Unternehmensfinanzierung sehen die Experten eine volkswirtschaftliche Dimension: viele Startups werden in frühen Phasen öffentlich gefördert, sie werden dann aber oft ins Ausland verkauft werden, und somit werden auch Arbeitsplätze und Innovationen verlagert.

25 Empfehlungen stehen im Abschlussbericht: gefordert werden unter anderem steuerliche Privilegien für Wagniskapitalgeber und der Abbau regulatorischer Hindernisse für Aktien-Investments von Versicherern. Es soll eine "Taskforce IPO" eingerichtet werden, die Kandidaten für einen Börsengang identifiziert, vorbereitet und beim Börsengang betreut. 15 bis 20 nachhaltig erfolgreiche Börsengänge von Wachstumsunternehmen soll es mittelfristig hierzulande geben.

Verbandsvertreter Florian Nöll drängt zur Eile: "Wenn wir hier nicht schnell agieren, werden wir erleben, wie unsere besten Startups verkauft werden oder sich ausländische Börsenplätze für ihren IPO aussuchen." (mho)