Elektrisierter Fortschritt

Stromimpulse haben Querschnittsgelähmten geholfen, ihre Beine wieder zu bewegen. Die neue, nicht-invasive Methode muss nun weiter erprobt werden.

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Stromimpulse haben Querschnittsgelähmten geholfen, ihre Beine wieder zu bewegen. Die neue, nicht-invasive Methode muss nun weiter erprobt werden.

Was in dem Video wie ein unkontrolliertes Schwingen der Beine aussieht, ist eine ernstzunehmende Hoffnung für querschnittsgelähmte Menschen. Das Bein-Paar gehört einem von fünf Probanden, die nach der elektrischen Stimulation im Bereich ihrer Rückenmarksverletzung wieder willentlich ihre Beine bewegen konnten. Anders als bei früheren Versuchen mussten die Elektroden dafür nicht implantiert werden, sondern wirkten durch die Haut. Dieser Erfolg ist einem Spezialisten-Team um Reggie Edgerton von der University of California in Los Angeles (UCLA) innerhalb einer neuen Studie gelungen. Man müsse Rückenmarksverletzungen nun nicht mehr als lebenslanges Urteil in einem gelähmten Körper betrachten, meint Edgerton.

In einer früheren Untersuchung hatte Edgerton zusammen mit Kollegen wie der Neurochirurgin Susan Harkema von Frazier Rehab Institute in Louisville, Kentucky, bereits Fortschritte bei vier Probanden mit auf der das Rückenmark umgebenden Haut implantierten Elektroden erzielt. Diesen Eingriff wollten Edgerton und seine Kollegen vermeiden, um einen größeren Kreis an Patienten den Fortschritt zu ermöglichen. Die neueste Studie soll die erste erfolgreiche sein, die ganz ohne operativen Eingriff auskommt.

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Edgerton stimulierte die Schaltkreise zwischen Nervenzellen im Rückenmark und den Muskeln. Diese Schaltkreise steuern bei gesunden Menschen automatische Bewegungsreflexe wie einen großen, stabilisierenden Schritt, nachdem man gestolpert ist. Solche Reaktionen sind schneller als willentliche Bewegungen, weil die Informationen nicht bis ins Gehirn geleitet und dort verarbeitet werden müssen. Stimuliert mit Strom können die Nervenzellen offenbar eine komplette Schrittbewegung allein steuern.

Die Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse im Journal of Neurotrauma veröffentlicht haben, kombinierten Bewegungstraining und die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Die fünf Patienten erhielten dazu über einen Zeitraum von 18 Wochen wöchentlich 45-minütige Einheiten dieser Stimulation. Die Elektroden wurden auf der Haut über dem beschädigten Nervengewebe am unteren Rücken platziert. Sie gaben Stromimpulse nach dem Muster ab, wie sie das Gehirn bei Gesunden zum Ansteuern der Beinmuskeln aussendet. Die Patienten fühlten keinen Schmerz sondern nur ein Kribbeln. Parallel erhielten sie über vier Wochen das Medikament Buspiron. Das wird bei der Behandlung von Angststörungen eingesetzt wird. Es zeigte sich, dass das Medikament die Wirkung der elektrischen Stimulation verstärkt.

Die Probanden waren zwischen 19 und 56 Jahre alt und seit mindestens zwei Jahren gelähmt. Vier von ihnen hatten ihre Verletzung bei Sportunfällen erlitten, einer hatte einen Autounfall. Schon nach vier Behandlungen konnten sie während der Stimulation mit ihren gelähmten Beinen Schritte ausführen. "Gegen Ende der Therapie konnten die meisten der Probanden ihre Beine sogar ganz ohne eine Stimulation bewegen. Und diese Bewegungen ähnelten denen, die unter Einfluss der Stromimpulse gemacht wurden", berichten die Wissenschaftler. Das deute darauf hin, dass die zuvor "ruhenden" Nervenbahnen zum Gehirn wieder "erweckt" wurden und in motorische Aufgaben eingeklinkt sowie trainiert werden können. Vorausgesetzt die Nervenbahnen am Rückenmark sind nicht völlig getrennt.

"Die Möglichkeit, Patienten eine lebensverändernde Therapie ohne Operation anzubieten, ist ein großer Vorstoß“, sagt Dr. Roderic Pettigrew, Leiter des National Institute of Biomedical Imaging and Bioengineering, das die Studie mitfinanziert hat.

Edgerton und sein Forscher-Team wollen als nächstes Leute untersuchen, bei denen eine schwerwiegendere, aber keine komplette Lähmung vorliegt. "Bei ihnen wird sich umso einfacher eine Besserung einstellen", ist sich Edgerton sicher. (jle)