Die Welt des Linus Torvalds

Linux-Erfinder Linus Torvalds setzt auf brutale Ehrlichkeit, wenn es darum geht, seine Entwickler-Gemeinde zu zähmen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sam Williams

Der große Staatsmann Otto von Bismarck pflegte einst folgenden Spruch, um das nicht selten schmutzige Geschäft der Politik zu beschreiben: "Gesetze sind wie Würste -- keiner mag dabei zu sehen, wie sie gemacht werden."

Die Welt der Open-Source-Softwareentwicklung liefe sicher nicht anders, gäbe es dort nicht das Transparenzgebot, das sich die Szene auf die Fahnen geschrieben hat. So kann man beispielsweise den gesamten Quellcode des Linux-Kernels begutachten, wenn man das möchte, und die Anzahl an Schimpfwörtern zählen, die die Entwickler in den Kommentaren hinterlassen haben. Außerdem kann jeder Interessierte die internen Debatten nachlesen, in denen sich die Entwickler um die kleinsten Codedetails streiten -- öffentliche Maillinglisten machen es möglich.

Dort ist auch die Geschichte des so genannten "BitKeeper-Fiaskos" verzeichnet, ein Ereignis, dass Autorität und Führungsqualitäten des Linux-Erfinders Linus Torvalds auf eine harte Probe stellte. Der 35-Jährige schuf einst den Original-Kernel des populären Open-Source-Betriebssystems und wacht immer noch über seine Weiterentwicklung. Als sich im vergangenen Frühjahr ein wichtiges Entwicklertool aus der Szene abmeldete, baute Torvalds lieber gleich ein eigenes Ersatzprogramm, anstatt eines zu verwenden, das er nicht mochte. Dabei bewies er einmal mehr seine in der Szene berühmte Kombination aus technischer Brillanz und Dickköpfigkeit, die bereits seit dem Start der Linux-Bewegung 1991 für Furore sorgt.

Die Krise begann Anfang 2005, als sich herausstellte, dass dem australischen Hacker Andrew Tridgell das Reverse Engineering des proprietären Quellcode-Management-Tools BitKeeper gelungen war. Tridgell war Ähnliches zuvor bereits für das Windows-NT-Netzwerkprotokoll geglückt.

BitKeeper ist ein populäres Tool, um die Entwicklung verteilter Softwareprojekte zu koordinieren. Es wird von BitMover aus South San Francisco hergestellt und ist im Gegensatz zu den meisten Linux-Bestandteilen kommerziell. Hinter der Software steckt der Programmierer und Unternehmer Larry McVoy, der sie ursprünglich genau auf Torvalds' Bedürfnisse zugeschnitten hatte. BitKeeper füllte damit eine wichtige Nische in der Open-Source-Gemeinschaft aus. Das Tool war nach einer ähnlichen Software von Sun Microsystems entstanden und stand ebenso wie sein Vorbild unter einer "Closed Source"-Lizenz. Das bedeutete, dass die Linux-Nutzer es zwar verwenden durften, aber im Gegensatz zu Linux selbst nicht an seinen internen Quellcode herankamen.

Dass mehr als nur ein paar Linux-Entwickler diese Einschränkung akzeptierten, macht die Bedeutung von BitKeeper in der Szene deutlich. Das Tool beschleunigte ab Ende 2001 den Entwicklungsprozess und verwandelte ihn von einem "Push"- zu einem "Pull"-Vorgang. Der riesige Strom an Code-Änderungswünschen wurde dadurch in überschaubare Bahnen gelenkt. Die Entwickler konnten die Code-Veränderungen schnell innerhalb des Kernels hin und her schieben, ohne dass es zu einem unsauberen und fehlerbehafteten Quellcode-Baum kam. Torvalds selbst hatte vorher viel am alten System zu leiden -- so verärgerte er viele Top-Entwickler, weil er wichtige neue Code-Teile einzuspielen vergaß. Als Lösung entschied er schließlich, BitKeeper zum offiziellen Quellcode-Management des Linux-Kernels zu machen.

"Mag ja sein, dass ich Probleme mit großen Menschenmassen habe", kommentierte er damals. "Die Leute neigen meiner Meinung nach aber dazu, kleine Gruppen mit fünf bis zehn Leuten zu bilden. Man kann die Kernel-Entwicklung nur skalieren, wenn man Netze solch kleiner Gruppen schafft."

Der Linux-Erfinder gilt in Sachen Software-Lizenzierung als pragmatisch. Dementsprechend hatte er kein Problem damit, BitKeeper zu nutzen und damit ein kleines Stück Transparenz aufzugeben. Er spekulierte darauf, dass die Szene kein Problem damit haben würde. Im März 2004 sah es dann so aus, als habe sich Torvalds richtig entschieden: In einer Pressemitteilung teilte BitMover stolz mit, dass die Anzahl an Dateien für den Linux-Kernel nach dem Umstieg auf BitKeeper um 130 Prozent gestiegen sei.

Innerhalb eines Jahres meldete sich dann aber der idealistischere Teil der Open-Source-Bewegung zu Wort. Hacker Tridgell begann auf Vorschlag des Free-Software-Urgesteins Richard M. Stallman damit, eine freie Client-Software zu schreiben, mit der sich Entwicklerdaten durch das BitKeeper-System schleusen ließen, was den "Closed Source"-Ansatz des Tools faktisch aushebelte. Die Reaktion von BitMover folgte auf dem Fuße: Die Firma zog ihre Linux-Lizenz zurück. Schlimmer noch: Man gab Torvalds die Schuld, der nun mit der ganzen Negativ-PR umgehen musste.

Torvalds Antwort war eine Kombination aus Demut und Hochmut: Da er keine Lust hatte, das von ihm ungeliebte Quellcode-Management-Tool CVS (entwickelt innerhalb von Stallmans GNU-Projekt) zu verwenden, entwickelte er Pläne für eine eigene Software. Er skizzierte das Grobmuster eines Dateisystems, mit dem er und andere leitende Entwickler Quellcode-Veränderungen überwachen und notfalls rückgängig machen konnten, falls es zu schlechten Entscheidungen käme. Torvalds nannte sein neues System "Git", was so viel wie "Blödmann" heißt. "Das könnt Ihr ganz nach Stimmung deuten, wie Ihr wollt", schrieb Torvalds in der Liesmich-Datei zu dem Tool. "Doof, schlecht oder verabscheuungswürdig. Sucht es Euch aus."

Der Mailinglisten-Verkehr, der nach dieser Torvalds-Entscheidung folgte, ist quasi historisch: Alphageek Linus verteidigt seine Position. Git sei keineswegs als Ersatz für BitKeeper vorgesehen, betonte er. Es sei nur eine Vorstufe von etwas, was nachfolgende Generationen bauen könnten. Jeder Kernel-Hacker, der mehr Komplexität von dem Tool forderte, erntete von Torvalds böse Worte.

"Wenn alle ständig "Was wäre, wenn...?" fragen, kommt oft genug ingenieurtechnischer Mist heraus", antwortete er beispielsweise auf eine sicherheitsrelevante Frage, "Du könntest genauso fragen, was passiert, wenn ein Meteorit Dein Flugzeug trifft, während es in der Luft ist."

Bis Mai hatte sich der Hate-Mail-Verkehr langsam beruhigt. Git nahm schnell erste Formen an. Ein Team, das vor allem aus Kernel-Hackern bestand, lieferte in gut einem Monat einen durchaus passablen Workaround für das BitKeeper-Problem. Zwar kann sich Git noch nicht mit seinem kommerziellen Vorgänger messen, doch es scheint durchaus auf dem Weg zu sein, ein Standard zu werden -- ähnlich wie der Linux-Kernel selbst.

Kernel-Hacker H. Peter Anvin glaubt, dass die ganze Sache auch ihr Gutes hatte: "Als das BitKeeper-Fiasko losging, wurde aus einem politischen plötzlich ein technisches Problem. Wir sind ehrlich gesagt viel besser darin, technische Probleme zu lösen als politische."

Für Torvalds zeigt sich an der Geschichte einmal mehr die Macht brutaler Ehrlichkeit: "Im Internet bekommt niemand mit, wenn man etwas subtil ausdrückt. Ich bin gerne ein bisschen barsch und vertrete meine Meinung, wenn es hilft, ein Problem aufzuzeigen und die Leute dazu zu bringen, endlich darüber zu reden. Die Zauberei liegt darin, dass man selbst in der Lage ist, seine Meinung ab und zu einmal zu ändern. Dann bekommen die Leute schnell mit, dass man zwar eine große Klappe hat, es sich aber trotzdem lohnt, weiter mit einem zu reden." (wst)