Die größte Erdbebensimulation der Welt

In der japanischen Metropole Kobe werden komplette 16 Meter hohe Betongebäude mit einem Erdbebensimulator auf ihre Sicherheit geprüft.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Freitag, der 13. Januar 2006, ein Ort nahe der japanischen Metropole Kobe. Um 14.05 Uhr rauscht ein Erdstoß durch ein sechsstöckiges Stahlbetonhaus in Miki. Ächzend und schwankend steckt das 16 Meter hohe Gebäude die Erschütterungen weg. Doch das Geschüttel war nur ein milder Vorbote für den großen Knall. Zehn Minuten später trifft die volle Wucht eines Erdbebenstoßes der Stärke 7,3 auf der Richter-Skala das Betonskelett. Hin und her, hoch und runter tanzt das Haus. Geschirr fliegt aus den Regalen, Stühle rucken durchs Zimmer. Starke Betonwände und -pfeiler krachen, drei Stützen bersten. Gerade noch bleibt das Haus stehen. Zufrieden und gelassen begutachtet der Toshimi Kabeyasawa, Professor des Erdbebenforschungsinstituts der Universität Tokio, den vom Einsturz bedrohten Wohnblock: "Die Schäden sind fast genauso, wie wir sie vorherberechnet haben."

Kabeyasawa befindet sich im größten Erdbebensimulator der Welt. In einer riesigen Halle steht ein mächtiger 15 mal 20 Meter großer Rütteltisch aus Stahl. Und darauf steht das Haus. Aus dem Kontrollraum hat Kabeyasawa als Leiter des Versuchs beobachtet, wie die 24 hydraulischen Kolben des Simulators das 990 Tonnen schwere, lebensgroße Gebäude genauso durchgerüttelt haben wie die Naturgewalten vor elf Jahren die Stadt Kobe. Insgesamt kollabierten damals 100.000 Häuser oder wurden wie der Versuchsbau unbewohnbar, fast 6500 Menschen starben in Trümmern und Bränden. Ein Schock, dessen Wiederholung das Land um jeden Preis verhindern will.

45 Milliarden Yen (325 Millionen Euro) verbaute die Regierung in "E-Defense" (E steht für Earth), so der martialische Name des Mega-Simulators. Eine zusätzliche Milliarde Yen jährlich investieren die Betreiber des Großlabors, das National Research Institut For Earth Science and Desaster Prevention und das Hyogo Earthquake Engineering Research Center, in den Betrieb des Rütteltisches. Denn die Zeit drängt. Japan ist das geologisch aktivste Land der Welt. Jederzeit könnte ein ähnlich starkes Erdbeben wie das Kobe-Erdbeben die Hauptstadt Tokio treffen. Die Folgen eines Bebens der Stärke 7,3 auf der Richter-Skala in der 12-Millionen-Metropole wären allerdings weit verheerender. Im schwärzesten amtlichen Szenario würden sich die Schäden auf rund ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts belaufen, 11.000 Menschen könnten sterben. Ein Beben der Stärke 9 wie das in Sumatra Ende 2004 mit seinem Tsunami mag man sich in Tokio gar nicht ausmalen.

E-Defense soll den Japaner nun helfen, die Kräfte der Natur besser zu verstehen sowie Methoden zur Verstärkung bestehender Altbauten und erdbebenresistintere Neubauten zu entwickeln. Daher entwarfen sie nach dem Kobe-Beben dieses mechanische Wunderwerk, das als erster Erdbebensimulator weltweit Häuser mit mehr als zwei Stockwerken in echter Größe testen kann. So wollen die Forscher erstmals ihre Computermodelle für das Hausdesign in wissenschaftlich kontrollierten, wirklichkeitsnahen Bedingungen überprüfen. "Wir wollen ein reales Erdbeben mit einem realen Gebäude durchführen", erklärt bei einer Führung vor dem Kunstbeben der Professor des Building Research Instituts Taiki Saito, der das Experiment mit geplant hat. "Anders erhalten wir keine genauen Daten über die Kräfte, die auf ein Haus wirken." Die bisherigen Simulatoren können nur kleiner Gebäude oder verkleinerte Modelle testen. Ein Kompromiss, denn Mauersteine, Mauern und Pfeiler reagieren in Miniatur anders auf Erdstöße als in voller Größe.