Schwärme, vereinigt euch!

Ein EU-Forschungskonsortium hat die ersten Prototypen für Mikroroboter entwickelt, die in Schwärmen operieren sollen. Sie könnten in einigen Jahren in der Elektronikfertigung, in der Biotechnik oder gar bei planetaren Missionen zum Einsatz kommen.

vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Vor zwanzig Jahren beschrieb der US-Ingenieur Eric Drexler in seinem Buch Engines of Creation, wie eines Tages Schwärme aus winzigen Robotern jeden beliebigen Gegenstand Atom für Atom zusammensetzen könnten. Technisch nicht machbar, lautete allerdings das Urteil der meisten Wissenschaftler. Die Greifärmchen dieser mikrometergroßen so genannten Assembler würden an quantenmechanischen Effekten scheitern. Während Drexlers ursprüngliches Konzept nur noch Gegenstand feuilletonistischer Debatten ist, hat ein europäisches Forschungskonsortium jetzt den Grundstein für Roboterschwärme gelegt, die nichts mit Sciencefiction gemein haben.

Wie die funktionieren könnten, zeigt der kürzlich vorgestellte Abschlussbericht des "MiCRoN"-Projektes: Die beteiligten Forscher aus sieben EU-Ländern haben einen Roboter von der Größe zweier übereinander liegender Spielwürfel entwickelt, der mit einem Greifarm, einer Pipette oder einer Kraftmikroskopspitze ausgestattet werden kann. An Bord des Winzlings befinden sich außerdem eine Steuerelektronik und eine Infrarotschnittstelle zur Kommunikation mit einem externen Rechner. Drei solche Roboter können zusammen mit einem etwas größeren Kollegen, der eine Kamera zur Orientierung trägt, ein Team bilden, das auf einer Metalloberfläche von etwa 20 Zentimetern Seitenlänge operiert. Die liefert über ein induktives Feld drahtlos die nötige Energie – jeder Roboter nimmt etwa 400 Milliwatt auf.

"Es gibt drei potenzielle Anwendungsbereiche", sagt Joerg Seyfried vom Institut für Prozessrechentechnik, Automation und Robotik an der Universität Karlsruhe. "Das System mit dem Greifarm ist der Prototyp für eine Mikromontage." Der von Piezo-Motoren angetriebene Arm könnte winzige Bauteile platzieren und bearbeiten. Im von der Uni Karlsruhe koordinierten MiCRoN-Projekt gelang es mit Hilfe von zwei Robotern bereits, ein elektronisches Bauteil auf eine Platine zu löten.

Über die Pipette können kleinste Flüssigkeitsmengen in einen Biochip geladen werden. "Die könnten wir dann in eine Zelle injizieren und nachsehen, ob die Zelle die Injektion überlebt hat", sagt Seyfried. Die Kraftmikropspitze schließlich erlaubt die atomare Abtastung von Oberflächen. Dabei ist sie flexibler als herkömmliche Kraftmikroskope, die deutlich größere Abmessungen haben. Ein entsprechend ausgestatteter Roboter schaffte es, sich mit einer Positionsgenauigkeit von nur zwei Nanometern über eine strukturierte Oberfläche vorzutasten.

"Es scheint, als ob sie einen großen Schritt nach vorn gemacht haben. Die Roboter sind ziemlich sophisticated", urteilt Ron Fearing von der Universität Berkeley, der ebenfalls an Minirobotern arbeitet. "Richtig spannnend wird es, wenn sie einige Dutzend dazu bekommen, zusammenzuarbeiten."

Genau das wollen die EU-Forscher nun im Folgeprojekt "I-Swarm" mit bis zu 1000 Robotern auf die Spitze treiben. Die MiCRoN-Roboter haben während der Experimente noch nicht miteinander kommuniziert, sodass sie ein echtes Ensemble bilden. Die Koordinierung erfolgte über den externen Rechner. Die neuen I-Swarm-Roboter sollen hingegen erstmals über einen Infrarotkanal für die Kommunikation mit ihren Nachbarn verfügen. Zudem werden sie deutlich kleiner sein als ihre Vorgänger: Die Kantenlänge soll nur noch drei Millimeter betragen. Ihre Energie beziehen sie nicht mehr aus der Arbeitsfläche, sondern mittels winziger Solarzellmodule über Lampen, die an den Ecken des Arbeitsfeldes postiert sind.

"Unser Ziel ist, einige hundert dieser Roboter auf der Fläche eines Din-A4-Blattes als Schwarm herumwuseln zu lassen", sagt Seyfried. Um das Schwarmverhalten besser modellieren zu können, will man im I-Swarm-Konsortium auch Erkenntnisse aus der Insektenforschung einbeziehen, wie sich Schwarmmechanismen herausbilden. Während das MIT-Projekt "Nanowalker" auf einen einzigen Miniroboter setzte, der für analytische Aufgaben gedacht ist, geht es den Forschern von MiCRoN/I-Swarm darum, mikroskopische Objekte zu manipulieren. "Da brauchen wir kooperierende Roboter, die sich gegenseitig helfen können", sagt Seyfried (siehe auch Animationsvideo des iSwarm-Projektes).

Eine Anwendungsmöglichkeit könnte neben den schon im MiCRoN-Projekt vorgestellten Laboraufgaben – etwa eine Elektronikplatine mit Mikrobauteilen zusammenlöten zu lassen oder gentechnische Arbeiten in Zellen vorzunehmen – die Erkundung sein. Schwärme aus Mikrorobotern könnten eines Tages bei planetaren Missionen aus einer gelandeten Sonde ausschwärmen und das Terrain analysieren. Der Vorteil wäre, dass der Ausfall einiger Geräte, etwa aufgrund eines Aufpralls von Meteoritenkörnern, die Gesamtmission nicht lahm legen könnte. Im Prinzip ist es auch möglich, die Roboter mit Beinen nach dem Vorbild von Insekten zu versehen, sodass sie sich in unebenem Gelände bewegen oder durch einen Motorraum krabbeln können, um Fehler zu finden oder gleich zu reparieren.

Eine solche Vision sieht Joerg Seyfried aber noch 20 Jahre entfernt. Bislang seien die Winzlinge nur eine "Technologiedemonstration", die nur in einer "stark definierten Umgebung" stattfindet. Der I-Swarm-Robot soll am Ende des Projekts immerhin mit drei Beinen ausgestattet werden. Berkeley-Forscher Ron Fearing ist allerdings davon überzeugt, dass der Schwarmansatz in der Robotik in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen wird. "Wenn die Technik kleiner wird, sinken die Kosten pro Roboter. Anwendungen, die auf der Makroebene zu teuer wären, werden realistisch, wenn Hunderte solcher Roboter parallel arbeiten."

Dass diese Schwärme eines fernen Tages außer Kontrolle geraten könnten wie in Michael Crichtons Thriller Beute, glaubt Joerg Seyfried nicht. "So viel Autonomie wie in dem Buch werden sie erst in sehr ferner Zukunft haben. Und wie bei allen technischen Systemen wird auch ein Roboterschwarm einen großen roten Not-aus-Knopf haben, mit dem man ihn einfach abschalten kann." (nbo)