Intels Gesundheitsreformer

Eric Dishman, Leiter der neu gegründeten Health Care-Gruppe bei Intel, arbeitet an einer Lösung der grundlegenden Probleme des US-Gesundheitssystems.

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Von
  • Michael Fitzgerald

Das Gesundheitswesen stellt das größte Segment der US-Wirtschaft dar. Trotz der Reputation, zu den besten Versorgungssystemen der Welt zu gehören, quält man sich jedoch auch in den USA mit aus dem Ruder laufenden Kosten, einer ständig größer werdenden Fragmentierung des Marktes und mehr und mehr Mittelmaß bei ärztlichen Leistungen. Gerade dieser Vorwurf wurde von einer in der vergangen Woche im renommierten "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Studie nochmals untermauert, die feststellte, dass die meisten Amerikaner ungefähr die Hälfte der notwendigen Gesundheitsversorgung erhalten, die sie eigentlich bräuchten – und zwar egal wie viel Geld sie haben, an welchem Ort sie wohnen und welcher Hautfarbe sie sind.

Die vom Think Tank RAND Health durchgeführte Untersuchung nennt unter anderem den zu geringen Einsatz moderner Technologien als einen der Gründe – so fehlten etwa medizinische Krankenakten und Computerprogramme, die Ärzte bei der Entscheidungsfindung unterstützten.

"Es ist allgemein bekannt, dass das US-Gesundheitssystem nicht besonders gut funktioniert", meint David Lansky dazu, Seniordirektor für Gesundheitsfragen beim Think Tank Markle Foundation in New York. Auch 20 Jahre der Reformen hätten das System kaum vorangebracht.

Lansky sieht jedoch auch Hoffnungsschimmer. Einer kommt aus ungewöhnlicher Quelle: Der Chipgigant Intel, der sich bislang nicht direkt im medizinischen Bereich betätigte, interessiert sich inzwischen für das Gebiet. So begann im Januar 2006 eine erste klinische Studie des Unternehmens, bei der der Fortschritt der Parkinson-Krankheit beobachtet wird. Das Intel-System erfasst dabei die noch möglichen motorische Bewegungen und Veränderungen in den Sprachmustern von Patienten bis auf die Mikrosekunde genau. Vor dem Studienstart entwickelten die Intel-Ingenieure ein Jahr lang an einem Gerät, das die Werte erfassen und analysieren kann. Auch in anderen Gesundheitsbereichen ist Intel inzwischen aktiv: Im Januar erhielt das Unternehmen eine Förderung von den nationalen US-Gesundheitsinstituten, mit der klinische Tests an 300 Alzheimer-Patienten durchgeführt werden sollen.

Beide Projekte wurden von der "Health Research and Innovation"-Gruppe bei Intel angestoßen. Eric Dishman, Soziologe und Ethnograph, wurde im Juli 2005 zum globalen Manager und Direktor der Gruppe berufen. Dishman hatte zuvor in Forschungslabors wie dem von Interval Research gearbeitet, bevor er zu Intel kam. Dishman machte seinen Doktor im Bereich Kommunikation. In der Arbeit kombinierte er Techniken aus Soziologie und Anthropologie, um herauszufinden, wie Ärzte mit ihren Patienten interagieren. Die Forschungsarbeit beinhaltete die auf die Mikrosekunde genaue Analyse von Gesprächen: "Das war zwar nützlich, aber auch sehr anstrengend", sagt Dishman heute, "ironischerweise half diese Arbeit nun dabei, eine neue Technologie zu entwickeln, mit der wir heute, zehn Jahre später, Alzheimer besser erkennen können."

Dishmans frühere Arbeiten bei Interval Research verwendeten unter anderem einfache Sensoren-Netze und Datenfusions-Algorithmen, um die Interaktionen zwischen Familienmitgliedern zu studieren. Sein Team fand heraus, dass Veränderungen in der Kommunikation, die nur wenige Zehntelsekunden lang sind, darauf schließen lassen können, ob jemand womöglich an Alzheimer erkrankt. Vier Millionen Patienten sind davon in den USA bereits betroffen; laut Dishman haben aber heute weitere 100 Millionen Amerikaner Gedächtnisprobleme, die nichts mit der Krankheit zu tun haben. Aber auch diese Patienten könnten von der Intel-Arbeit profitieren.

Neben seinem Job bei Intel hat Dishman das "Center for Aging Services Technologies", kurz CAST, gegründet, ein Zusammenschluss von 400 Firmen, Universitäten und Dienstleistungsagenturen, die Technologien für eine zunehmend älter werdende Gesellschaft entwickeln. Unterdessen wächst seine Intel-Gruppe stark: Bis zu 50 Wissenschaftler will Dishman einstellen, die an Technologien forschen sollen, mit denen die Gesundheitsversorgung verbessert wird – und das vor allem im eigenen Heim, nicht in der Klinik.

Dieser Ansatz wendet sich gegen ein altes Grundprinzip im US-Gesundheitssystem: Patienten sollten vor allem im Krankenhaus von Ärzten behandelt werden – insbesondere, wenn sie akut krank sind. Chronische Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer, Parkinson oder Fettsucht betreffen jedoch immer mehr Amerikaner – und genau hierfür benötige man mit Ärzten besetzte Krankenhäuser eigentlich nicht mehr, so Lansky von der Markle Foundation. Stattdessen ginge es bei diesen Erkrankungen vor allem darum, dass die Betroffenen sie selbst tagtäglich überwachten.

Lansky hält Dishmans Arbeit auch deshalb für radikal, weil sie davon ausgeht, dass Patienten künftig zu Hause behandelt werden: "Er beginnt im Wohnzimmer der Menschen, was im Gesundheitsbereich so gut wie nie getan wird. Er verheiratet Sozialwissenschaft und Technologie – das ist ungewöhnlich." Allerdings: Wer etwa seine Mutter im eigenen Haus pflegen wolle, zahle nicht Ärzte und Krankenhäuser dafür, die passenden Geräte in sein Heim zu holen. "Selbst wenn Dishmans Ansatz enorm erfolgreich wäre, muss diese Hürde übersprungen werden."

Intel hat jedoch tiefe Taschen – und könnte das Problem so lösen. Sein möglicher Gewinn: Ein dicker Batzen des größten Wirtschaftsbereiches der Erde. "Da gibt es einen gigantischen Markt, aber bis der kommt, wird es dauern", meint Craig Lehmann, Dekan der School of Health Technology and Management an der SUNY Stony Brook-Universität in New York. Lehmann forscht an Telemedizin-Systemen für chronisch Kranke; seine Arbeit trug zu Geräteentwicklungen bei Matsushita/Panasonic und Bayer bei.

Trotz des neuen Forschungsschwerpunktes bleibt Intels Geschäftsstrategie im Gesundheitssektor jedoch recht nebulös. So hofft das Unternehmen, Herstellern traditioneller Medizinsysteme Komponenten zu verkaufen, ähnlich wie man dies bei PC-Herstellern mit Chips und Zubehör tut. Sollte der Sektor sein bisheriges Einkaufsmodell jedoch nicht ändern, müsste die Firma ihre Gesundheitssysteme selbst bauen und vertreiben. "Wir haben die Babyboomer-Generation, die heute alt wird, nicht erfunden, aber sie könnte für uns sehr profitabel werden", meint Dishman – und hofft, dass Intels Engagement im Gesundheitssystem uns allen hilft.

Übersetzung: Ben Schwan. (wst)