Matrix 0.1
US-Forscher haben erfolgreich eine invasive Hirn-Computer-Schnittstelle am Menschen getestet und zeigen, dass auch seit Jahren brachliegende Hirnregionen bei Gelähmten noch funktionieren - ein wichtiger Schritt hin zu künftigen Neuroprothesen.
- Niels Boeing
Sieben Jahre nach dem epochalen Film „Matrix“ gehört das Bild inzwischen fest zur Utopiensammlung für das 21. Jahrhundert: Menschen werden über eine Schnittstelle im Kopf mit einem Superrechner verbunden und klinken ihr Bewusstsein in eine Software-Welt ein. Einen kleinen Schritt in diese Richtung haben amerikanische Neuroforscher um John Donoghue von der Brown University gemacht. Was ihnen vor zwei Jahren bereits mit Affen gelungen war, haben sie nun mit Menschen wiederholt: Sie implantierten einen Chip mit Elektroden, der durch ein Loch in der Schädeldecke mit einem Rechner verbunden ist, im Gehirn einer querschnittsgelähmten Versuchsperson, die daraufhin mittels Gedanken den Cursor auf einem Bildschirm bewegte. Der 25-Jährige konnte daraufhin eine Email öffnen, das einfache Computerspiel Pong spielen oder die Fernbedienung eines TV-Geräts steuern. Eine zweite Versuchsreihe mit einem 55-Jährigen Patienten läuft derzeit noch.
Damit handelt es sich nach Angaben der Forscher um den ersten wissenschaftlich begutachteten klinischen Versuch mit einer hochinvasiven Hirn-Computer-Schnittstelle (BCI, für „Brain Computer Interface“), der in der neuen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature veröffentlicht wird. „Die Ergebnisse sind vielversprechend hinsichtlich des Ziels, eines Tages Muskeln in Gliedmaßen mittels Hirnsignalen aktivieren zu können“, sagt Donoghue. Die Steuerung von Neuroprothesen bis hin zu Rollstühlen könnte damit für Gelähmte möglich werden. Aber auch das US-Verteidigungsministerium, dessen Forschungsagentur Darpa Donoghues Forschung anfangs mitfinanzierte, interessiert sich für BCIs, um Soldaten zu neuen Fähigkeiten der Informationsverarbeitung zu verhelfen.
Herzstück des von der Firma Cyberkinetics entwickelten BCI-Systems „BrainGate“ ist ein 4 mal 4 Millimeter großer Chip mit 100 Elektroden, der der Versuchsperson in den Motorcortex eingepflanzt wurde (siehe Bilderstrecke). Diese Region in der Großhirnrinde ist bei Gesunden für die Steuerung von Körperbewegungen verantwortlich – so auch für das Bewegen einer Computermaus mit der Hand. Bei vom Halswirbel abwärts Gelähmten erreichen die Signale des Motorcortex Hand- und Armmuskulator jedoch nicht mehr (diese Unterbrechung kann auch bei anderen Krankheiten auftreten, etwa nach Schlaganfällen oder bei Muskeldystrophie).
Nun besteht der Motorcortex aus wesentlich mehr Neuronen, als die Elektroden des Chips erfassen können. Dessen Platzierung kann also nur zufällig erfolgen. Mittels Software müssen deshalb die elektrischen Signale der aktiven Hirnzellen, die sich neben den 96 aufzeichnenden Elektroden befinden, in eine verwertbare Steuerinformation umgerechnet werden – der entscheidende Knackpunkt bei der Konstruktion von BCIs.
Genau dies taten die US-Forscher, und zwar ohne die in den vorangegangenen Affenversuchen gewonnenen Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Neuronenaktivität und Bewegung zugrunde zu legen. In den sechs Versuchen musste der Patient, der bereits seit drei Jahren gelähmt ist, sich zunächst vorstellen, wie er mit seiner Hand eine Maus bewegen würde. Dabei zeichneten die Elektroden das Muster der anliegenden feuernden Neuronen auf, die bei diesem Gedanken aktiv waren. Der angeschlossene Computer konstruierte daraufhin mit Hilfe eines speziellen Algorithmusses einen Filter, der das Muster in eine zweidimensionale Bewegung des Cursors auf dem Bildschirm umsetzen kann: einen „neuronalen“ Cursor.
Zur Überraschung der Wissenschaftler gelang es der Versuchsperson schnell, den neuronalen Cursor zu bedienen – obwohl sie bereits seit drei Jahren gelähmt war. Manche Forscher hätten erwartet, dass die Motorcortex-Region nach der Verletzung des Rückenmarks ihre Funktion drastisch verändert, sagt Leigh Hochberg, einer der beteiligten Forscher. „Was wirklich beeindruckend ist: Die Cortex-Aktivität einer Person mit Rückenmarksverletzung, die ein Gerät nur mittels vorgestellter Handbewegungen steuert, ähnelt der Hirnaktivität, die wir in vorklinischen Versuchen mit Affen festgestellt haben, die ihre Hände tatsächlich benutzten.“
In den verschiedenen Trainingssessions konnte der Patient in 73 bis 95 Prozent der Fälle erfolgreich den Punkt auf dem Bildschirm an eine gewünschte Stelle bewegen. Selbst das Umfahren von Hindernissen auf dem Monitor gelang. „Die prompte Reaktion des Gehirns ist ermutigend“, fügt John Donoghue hinzu. „Wenn die Patienten aufgefordert wurden: ‚Denke rechts’ oder ‚Denke links’, änderten sie ihre neuronale Aktivität sofort.“
Der Neurowissenschaflter Stephen Scott von der Queen’s University im kanadischen Kingston sieht in der Arbeit der Donoghue-Gruppe „wichtige Fortschritte“. Neben der Erkenntnis, dass der brachliegende Motorcortex auch nach Jahren noch einsatzfähig ist, sei die schnelle Einstellung des Systems bemerkenswert. „Der Prozess dauerte nur Minuten, viel weniger als die Wochen oder gar Monate, die bei nichtinvasiven Elektroenzephalographie-Systemen nötig sind.“