Vor 20 Jahren: Windows 95 erscheint

Als Microsoft am 24. August vor 20 Jahren Windows 95 herausbrachte, trat es das Erbe des damals PC-typischen Disk Operating System (DOS) und seiner grafischen Bedienoberfläche Windows an. Überraschend viel, was damals neu war, wirkt noch heute nach.

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Windows 95

Die Symbolik zu Zeiten von Windows 95: leicht bewölkter Himmel.

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Peter Siering
Inhaltsverzeichnis

Irgendwann hatte wohl jeder schon kurz nach dem Verkaufsstart von Windows 95 am 24. August 1995 die immer gleichen Witzeleien über "Start" satt, das man zum "Beenden" erst einmal drücken musste (heute trauern viele angesichts von Windows 8, 8.1 und 10 dem Start-Menü nach). Ernsthaftere Diskussionen gab es vor 20 Jahren aber auch: Ob Windows 95 wirklich ein Betriebssystem oder doch nur wieder ein Aufsatz auf das altertümliche DOS sei, darüber stritt man bei der Markteinführung heftig. Ablösen sollte Windows 95 jedenfalls das damals PC-typische DOS (Disk Operating System) mit seinem grafischen Bedienaufsatz Windows.

Um so erstaunlicher ist, dass Microsoft mit Windows 95 die Grundlage für die noch heute gebräuchliche Windows-Software schuf. Die damals eingeführte Programmierschnittstelle für 32-Bit-Software namens Win32 benutzt auch heute noch die gängige Windows-Software, wenn im Lauf der Jahre auch viele Schichten dazu gekommen sind und Win32 gen Ende der XP-Ära auch in einer 64-Bit-Ausprägung salonfähig wurde.

Windows 95 (26 Bilder)

Windows Logo vor bewölkeltem Himmel – mit dieser Optik schickte Microsoft seinerzeit das größte Update aller Zeiten ins Rennen.

Klingt modern, war es aber nicht: Das Betriebssystem führte zwar 32-Bit-Programme aus, war aber nach wie vor um ein DOS-artiges Betriebssystem für die künstlich per Segmentierung aufgebrezelte damalige Intel-x86-Architektur herumgestrickt. Das theoretisch mögliche sichere Multitasking wurde oft und gern durch unkooperative 16-Bit-Programme zum Erliegen gebracht. Aus 16-Bit-Programmen für Windows (Win16) und den alten DOS-Programmen – da vor allem Spielen – bestand seinerzeit aber nun mal die Software.

Microsoft indes hörte das ungern, behob die Konstruktionsmängel dennoch erst in Windows XP, indem man die technischen Grundlagen von Windows 95 über Bord warf. Auf Windows 95 folgten zunächst drei größere Updates (95a, b und c), dann Windows 98 und Windows 98 Second Edition (SE) und schließlich die Millennium Ausgabe Windows ME. Erst sechs Jahre später hatte der Spuk mit Windows XP dann ein Ende; an dessen technischer Grundlage NT (New Technolgy) entwickelte Microsoft parallel schon seit 1991.

Als integrative Kraft in der zerstrittenen PC-Industrie erreichte Microsoft mit Windows 95 durchaus etwas. Man vereinte Hardware-Hersteller an einen Tisch, um die leidigen Ressourcen-Probleme des PC anzugehen: Die Erweiterungskarten, etwa zum Anschluss von Festplatten oder zum Erzeugen von Sound, benötigten Interrupts und IO-Ports. Die wies man per Jumper oder Miniaturschalter zu. Konflikte waren dabei an der Tagesordnung. Mit Plug&Play, einer einfachen Design-Ergänzung für die damals gebräuchlichen ISA-Bus-Karten, half die Software bei der Konfiguration – es war praktisch, kam aber leider zu spät.

Apple zählte in seiner Werbung hämisch die Neuerungen in Windows 95 auf, die für Mac-Anwender bereits selbstverständlich waren.

Optisch und von der Bedienung war Windows 95 ein deutlicher Fortschritt gegenüber Windows 3.1: Es warf die bescheuerte Längenbeschränkung für Dateinamen auf acht plus drei Zeichen über Bord. Auf dem Desktop ließen sich Dateien ablegen (bei Windows 3.1 erschienen dort allenfalls minimierte Fenster). Gelöschte Dateien landeten in einem Papierkorb und waren bei Bedarf wieder entnehmbar. Mac-Fans unkten, das sei alles bei Apple geklaut. Das Startmenü wurde eingeführt, die Taskleiste und der Info-Bereich hatten ihr Debüt. Der Explorer ward geboren.

Windows 95 schuf auch die Grundlage für den Ärger, der Microsoft jahrelange Streiterei mit den Wettbewerbshütern einbrachte: Erst im Plus!-Paket (100 DM teuer), später auch regulär hielt ein Web-Browser Einzug – heute eine selbstverständliche Ausstattung, aber die mitunter schon nervig gestaltete Browser-Wahl rührt daher. Mit Windows 95 schuf Microsoft auch die erste Fassung von DirectX und gewann so nach und nach Spieleentwickler für seine Plattform. Den Anfang machte eine Portierung des Ego-Shooters Doom.

Drei Dinge, die mit Windows 95 aufkamen seien noch erwähnt: die inzwischen omnipräsenten Assistenten, die Schritt für Schritt durch längere Aufgaben führen, und die Registry als zentraler Ort zum Speichern von Konfigurationsinformationen. Letztere ist wohl ein Grund dafür, dass Schlangenöl-Software aufkam: Optimierer, deren Wirksamkeit zweifelhaft ist, da sie sich oft an Einträgen in der Registry zu schaffen machen, die gar nicht wirken. Allzu dreist trieb es damals SoftRAM und versprach für das speicherhungrige Windows 95 Speicherkompression, die niemals funktionierte.

Im August 1995 war die Verteilung auf dem Betriebssystemmarkt keineswegs so eindeutig wie heute: IBM mischte mit seinem OS/2 mit und hatte bis 1991 sogar mit Microsoft gemeinsam daran entwickelt. Steve Jobs hatte damals Apple verlassen und strickte mit Next an einem eigenen System (es sollte später die Grundlage für das heutige Mac OS X bilden). Unix in verschiedenen Darreichungsformen stand ständig vor der Tür: Solaris, Xenix (von Microsoft!), Unixware, Eurix und SCO – die meisten sind in der Versenkung verschwunden.

Dass sich Microsoft gegenüber so vielen Bewerbern durchsetzen konnte, hatte viele Gründe, ein gewichtiger war sicher das Geschick bei der Vertragsgestaltung für Windows-Lizenzen, die mit neuen PCs verkauft wurden: Schon vor Windows 95 hatte die Handelsaufsicht in den USA moniert, dass Microsoft darin eine Gebühr pro Verkauf ausgehandelt hatte, die fällig wurde, egal ob der PC-Käufer das Betriebssystem aus Redmond wollte oder nicht – für den Verkäufer war es damit unattraktiv geworden, Alternativen nur anzubieten. Außerdem wurden Microsofts Dumping-Preise kritisiert.

All das focht Microsoft nicht allzu sehr an, füllte aber die Kassen, sodass sich das Unternehmen die Markteinführung von Windows allerhand kosten lassen konnte, 200 Millionen US-Dollar. Bei den Rolling Stones kaufte man allein für 12 Millionen US-Dollar mit Start me Up die Musik für die Werbekampagne. (Der Start-Sound stammte übrigens von Brian Eno und war viel günstiger.) Mit diesen Mitteln jedenfalls gelang es Microsoft Windows 95 auch der breiten Masse bekannt zu machen. Es wurde berichtet, dass sich Leute in die Schlangen beim Verkaufsstart einreihten, die nicht einmal einen PC besaßen.

Die ersten Screenshots noch vor dem Start der Beta-Phase zeigten schon deutlich, wo die Reise hingehen sollte.

Am PC interessiertes Publikum hatte zu dem Zeitpunkt schon genug über Windows 95 gehört. In c't 11/1993 erschien der erste Bericht über die Entwicklung unter der Überschrift "Windows auf Mac getrimmt". Noch bevor der Beta-Test unter dem Codenamen "Chicago" angelaufen war, hatte einer der frühen Test-Teilnehmer geplaudert. Die ersten Ansätze für einen Desktop, für eine Dateisuche und den Taskbar waren zu erkennen. Es folgte ein größer angelegter Beta-Test über viele Runden.

Schon vor der CeBIT 1995 hatte Microsoft eine Vorab-Probierversion von Windows 95 angeboten. Die war weltweit mit 400.000 Exemplaren geplant und binnen kurzer Zeit vergriffen - die CD wurden damals per Post verschickt! Auf der CeBIT schließlich war Bill Gates zu Gast, recycelte dort aber eher lustlos ein bereits für die Comdex produziertes Filmchen und bekam die Quittung per Transparent, das einige Besucher entrollten. Alt-F4 stand in großen Lettern darauf.

Seinen ersten Datenschutzskandal hatte Windows 9x erst Mitte 1999. Es war aufgefallen, dass Microsoft die Kunden heimlich nummeriert. Egal ob man der Registrierung zustimmte oder nicht, sendete es einen Globally Unique Identifier (GUID) an Microsoft. Der enthielt die weltweit eindeutige MAC-Adresse der Netzwerkkarte, war also ein weltweit eindeutiges Merkmal. Dieser GUID tauchte in Office-Dokumenten und E-Mail auf und fand sich auch in Web-Cookies wieder – sogar in solchen, die nicht von Microsoft übermittelt wurden. In Redmond erklärte man das alles als Versehen, stellte Werkzeuge zum Tilgen der GUID in Office-Dokumenten bereit und korrigierte die Registrierung.

Die Rezeption von Windows 95 war übrigens zunächst eher verhalten. Ende 1995 war es in sechs Prozent der in den USA mit einem PC ausgestatteten Haushalte auszumachen und die Hälfte aller US-amerikanischen PC-Anwender gab an, Windows 95 weiterhin meiden zu wollen. So c't im Dezember 1995 und berichtete weiter: "Selbst der unverbesserliche Optimist Gates schraubt seine Erwartungen zurück. Im Rahmen einer Veranstaltung äußerte er am 27. November in New York erst wenn Computer weniger als 1000 US-$ kosteten, sie Sprache verstünden, ordentlich Videofilme reproduzieren könnten und die schrecklichen Dateinamen überflüssig geworden wären, könnte man davon ausgehen, dass sie als akzeptiertes Element im trauten Heim eingesetzt würden."

Interessant ist der Vergleich mit Windows 10. "Größtes Upgrade aller Zeiten" war ein Attribut von Windows 95. Anwender konnten von DOS und Windows 3.1 auf 95 aktualisieren. Der Einführungspreis fürs Update lag bei 200 DM (Vollversion 400 DM). Heute kann es sich Microsoft leisten, ein Upgrade auf das aktuelle Windows 10 zu verschenken. Die Umsätze macht das Unternehmen weiterhin durch den Verkauf von Lizenzen für neue PCs und im Geschäft mit Firmenkunden. Die paar Lizenzen und Upgrades, die noch separat im Handel gekauft werden, spielen längst keine tragende Rolle mehr.

Mit Windows 95 versuchte Microsoft auch, die Käufer an die eigens aufgeschienten Dienstleistungen zu binden: Das Internet nahm gerade Fahrt auf, CompuServe erfreute sich großer Beliebtheit, wenn man so will als Vorläufer heutiger Foren, und AOL begann, mit seinen CDs Zeitschriften zu fluten. Microsoft probierte mit seinem Microsoft Network (MSN) eine Alternative zum Internet zu schaffen und auf einer Interactive Media Conference auch Content-Schaffende dafür zu begeistern. Das gelang nicht. In Windows 10 sind es die Cloud-Dienste, die der Kunde mit dem Betriebssystem adoptiert und die Microsofts Zukunft sichern sollen. (ps)