Strom auf neuen Wegen

Der Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromproduktion inDeutschland soll bis 2020 auf 20 Prozent steigen.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken
  • Kevin Bullis

Eine frische Brise weht von der nahen Nordsee über die dünn besiedelte Geestlandschaft in Schleswig-Holstein. Olaf Coermann blickt auf die drehenden Rotoren seiner beiden Windräder, die unter Volllast seit Herbst 2003 eine Leistung von rund 3,5 Megawatt bringen. Doch die einfache Formel „Je stärker der Wind bläst, desto lukrativer ein Windpark“ gilt im nördlichsten Bundesland nicht mehr. Gerade wenn Böen die Nordseewellen aufpeitschen, die Windräder antreiben und so viel Strom produzieren, mischt sich ein Computer aus der regionalen Leitstelle des Netzbetreibers E.on Netz GmbH in Rendsburg ein: Via Funkmodem erhalten die Windräder den elektronischen Befehl: „Anlage drosseln“. Daraufhin wird das Windrad gebremst, und der Generator speist nur noch 70 oder 50 Prozent des erzeugten Stroms ins Netz ein. Oder die automatische Steuerung dreht die Rotoren ganz aus dem Wind, bis sie zum Stillstand kommen.

Laut E.on ist diese Regelung von außen unumgänglich, um die Leitungen vor Überhitzung zu schützen – Windmüller Coermann kann ihr nur kopfschüttelnd zusehen. „Wenn das so weitergeht, bin ich bald pleite“, sagt er. Allein in den ersten sechs Monaten 2006 hätten sich seine Einbußen auf rund 53 000 Euro summiert. Schon im Vorjahr musste der Windbauer auf rund 28 000 Euro für 317 000 Kilowattstunden Windstrom verzichten. Und Coermann ist nicht allein: In der gesamten Region klagen Windparkbetreiber über ähnliche Vorfälle. 2005 wurden die Windräder an etwa 40 windreichen Tagen für mehrere Stunden von E.on vom Netz genommen. „Dieses Jahr bewegen wir uns bereits auf einen Ausfall von 15 Prozent hin“, sagt Hermann Albers, Vizepräsident des Bundesverbands Windenergie (BWE).

Es sei höchste Zeit, dass E.on, Vattenfall und Co. ihre Stromnetze ausbauen, fordert der Bundesverband. Zu diesem Ergebnis kam im vergangenen Jahr auch die Deutsche Energie- Agentur (dena), das deutsche Kompetenzzentrum für Energieeffizienz und regenerative Energien mit der Bundesrepublik Deutschland und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Gesellschafter. In einer Studie schlug die Agentur bis zum Jahr 2015 zusätzliche 850 Leitungskilometer für das Höchstspannungsübertragungsnetz (siehe Grafik rechts) vor. Nur so könne das Netz den zu erwartenden Zuwachs bei Windstrom verkraften, der durch neue Anlagen und die Aufrüstung von älteren entsteht. Für eine genauere Abschätzung arbeitet die dena bereits an einer zweiten Stromnetz-Studie, deren Ergebnisse 2008 vorliegen werden.

Dazu kommt: Die Windbauern sind längst nicht mehr die einzigen alternativen Anbieter, die eigenen Strom ins Netz leiten wollen, anstatt ihn brav nur daraus zu beziehen. Mittlerweile kommen etwa zehn Prozent des deutschen Stroms nicht mehr aus Großkraftwerken, sondern von Windrädern, Wasserkraft, Biomasse, Solarzellen oder Geothermieanlagen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll dieser Wert bis 2020 auf mindestens 20 Prozent steigen. All diese neuen Quellen konnte das alte Stromnetz bislang, wenn man vom aktuellen Ärger an der Küste absieht, relativ gut verdauen. Doch wenn die Verbreitung von alternativen Energien weitergehen soll, müssen die Netzbetreiber kräftig investieren – nicht nur in mehr Kapazität, sondern auch in weitaus mehr Intelligenz, als bislang in ihrer Infrastruktur steckt.

NEID AUF DAS DEUTSCHE NETZ

„Wir kommen an immer mehr Stellen im Netz an die Grenze“, bestätigt Konstantin Staschus, Geschäftsführer des Verbandes der Netzbetreiber (VDN). Er muss es wissen, denn sein Verband vertritt die Mehrheit der Netzbetreiber von den vier Gebietsmonopolisten E.on, Vattenfall, RWE und EnBW bis zu den Gemeinde- und Stadtwerken auf regionaler Ebene. Und der Umbau wird teuer: „Die deutschen Netzbetreiber werden bis 2020 etwa 40 Milliarden Euro in Ausbau und Modernisierung des Stromnetzes investieren“, sagt Staschus. Nach Aussage von EU-Forschungskommissar Janez Potocnik schätzen Experten die nötigen weltweiten Investitionen sogar auf bis zu fünf Billionen Euro über die nächsten 20 bis 30 Jahre.

Noch wird Deutschland weltweit um die Zuverlässigkeit seiner Stromversorgung beneidet: 2004 musste jeder Kunde nur durchschnittlich 22,9 Minuten auf Strom verzichten; Frankreich kam auf 59 Minuten, Italien auf 91 und die USA auf über drei Ausfallstunden. Für den Rekordwert in der Bundesrepublik sorgt ein engmaschiges Netz aus rund 1,6 Millionen Kilometern Leitungen, 566 000 Transformatoren in großen und kleinen Umspannwerken und Hunderten von Leitstellen zur Kontrolle von Spannungs- oder Frequenzschwankungen. Weite Strecken überbrückt das Netzwerk mit Leitungen auf Höchst- (380/220 Kilovolt) und Hochspannung (110 kV). Großindustrie und die Deutsche Bahn koppeln direkt an das Hochspannungsnetz an und spannen den 110-kVStrom in Eigenregie auf ihre Bedürfnisse herunter. Parallel wandeln regionale Umspannwerke mit haushohen Transformatoren auf Mittelspannung (1 bis 60 kV) um. An diesem Punkt verschwinden in Deutschland die meisten Leitungen unter der Erde. In lokalen Trafostationen folgt der Übergang auf Niederspannung (230/400 Volt), bis der Strom schließlich aus der Steckdose zu Hause fließt.

LÜCKEN STOPFEN IM NETZVERBUND

Dieses Netzwerk ist so eng geknüpft, dass auch durch Sturm, Schnee und Eis oder gar Sabotage geschädigte Leitungen binnen weniger Minuten abgeschaltet und umgangen werden können – wenn auch nicht immer, wie der mehrtägige Stromausfall durch umgeknickte Masten im November 2005 in Nordrhein-Westfalen gezeigt hat. Kaum eine Verbindung erstreckt sich länger als 100 Kilometer, ohne dass in einem Umspannwerk die aktuelle Spannung und die für Mitteleuropa möglichst konstante Frequenz von 50 Hertz des Stroms gemessen wird. Selbst der Ausfall von zwei Kernkraftwerken mit bis zu 3000 MW Leistung kann so binnen Sekunden von den Technikern in den Leitstellen erkannt und mit der sogenannten Primärreserve, die von einer sonst ungenutzten Überproduktion ausgewählter Kraftwerke bereitgestellt wird, ausgeglichen werden. Diese hilft für etwa 30 Sekunden, dann wird sie von der Sekundärreserve von schnell anlaufenden Kraftwerken wie Gasturbinen oder Pumpspeichern abgelöst.

Denn eines ist unumgänglich im Stromnetz: Es muss immer exakt so viel Energie eingespeist werden wie gerade entnommen wird – sonst kommt es zu nicht mehr regelbaren Frequenz- und Spannungsschwankungen. Die automatisierte Trennung von Verbrauchern oder einspeisenden Kraftwerken wären die Folge. Dabei ist im Prinzip ganz Deutschland, ja sogar fast ganz Europa, in den ständigen Ausgleich von Stromeinspeisung und -verbrauch einbezogen: Um etwaige Versorgungslücken zu stopfen, hilft der Anschluss an den europäischen Netzverbund UCTE, die Union for the Coordination of Transmission of Electricity. Insgesamt versorgt er rund 430 Millionen Verbraucher in 23 Staaten Mittel- und Südeuropas. Allein im Januar 2006 wurden so insgesamt 25 713 Gigawattstunden über die Staatsgrenzen innerhalb der UCTE geleitet.

Doch die bewährte Technik kommt in die Jahre. Wie durch eine Einbahnstraße leiteten die Netzbetreiber den Strom bisher von oben nach unten bis zu jeder einzelnen Steckdose. Private Einspeisungen etwa durch eine Solarstrom-Anlage auf dem Dach fielen da bislang gar nicht groß auf: „Dem Netz ist vollkommen egal, in welche Richtung die Energie fließt“, sagt Malte Thoma vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, „da ändert sich nur die Energieflussrichtung.“ Für das Netz hat eine solche Klein-Einspeisung also die gleiche Bedeutung wie das Ausschalten einer stromschluckenden Maschine. Lokal ist die Dichte von derlei dezentralen Kraftwerken noch so begrenzt, dass sie sich nicht störend oder gar unkontrollierbar auf die übergeordnete Spannungsebene auswirken. Bisher sind die gut ausgelegten Leitungen im Nieder- und Mittelspannungsbereich schlicht noch nicht voll. „Doch in den nächsten fünf Jahren könnte es Probleme geben“, prognostiziert Thoma. Ähnlich äußert sich Philipp Strauss, Energieforscher am Institut für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) in Kassel: „Das heutige Verteilnetz entwickelt sich durch die dezentrale Stromeinspeisung zu einem Austauschnetz.“

Im Einbahnstraßen-Netz genügte der Blick auf Frequenz und Spannungsverlauf auf den hohen Spannungsebenen. Doch je mehr Kleinsterzeuger mit Solar-, kleinen Wind- und Biomassekraftwerken ans Netz gehen, desto stärker muss auch das Mittel- und Niederspannungsnetz überwacht werden. Hier wird bislang nur punktuell gemessen – einen „Blindflug“ nennt das Fraunhofer-Forscher Thoma.

DAS DOPPELTE STROMNETZ

Der große Gegenentwurf dazu liegt in einer Struktur, in der sich zum Transport auf allen Ebenen eine gehörige Prise Kommunikation gesellt: Durchweg intelligent soll das Stromnetz werden, Verbraucher und Erzeuger sollen sich ständig über Leistungsfähigkeit und Bedarf abstimmen und aufeinander reagieren – das Ganze am liebsten europaweit, aber immer perfekt abgestimmt auf die lokalen Gegebenheiten. Den richtigen Ansatz auf der lokalen Ebene sieht Thoma in virtuellen Kraftwerken. Trotz des Namens sind deren einzelnen Komponenten wie Solarmodule, Windräder, Biomassekraftwerke oder Batteriespeicher durchaus greifbar. „Für diese virtuellen Kraftwerke braucht man eigentlich zwei Netzwerke“, sagt Thoma: eines für den Stromtransport und ein zweites für die Kommunikation zwischen allen Komponenten. Denn an jedem Generator sitzt eine Kommunikationseinheit, die mit einem zentralen Rechner vernetzt ist. Die Datenverbindungen können mit unterschiedlichen Techniken, beispielsweise über eine GPRS/GSM-Mobilfunkverbindung, über WLAN oder verdrahtet über ISDN laufen.

Der Computer kontrolliert Spannung und Frequenz des lokalen Stromnetzes. Zugleich regelt er den Betrieb der einzelnen Teilkraftwerke und vereint sie so zu einem virtuellen größeren. Zusätzlich kann er mit Vorhersagedaten für Wind und Sonne vom Folgetag gefüttert werden. Daraus berechnet er einen aktuellen Betriebsfahrplan für jede Komponente. Fällt aufgrund des Wetters Wind oder Sonne als Energielieferant aus, springt das Biomassekraftwerk ein. Kurzfristige Minutenschwankungen können durch einen Batteriespeicher abgepuffert werden. „Damit können wir Spannungsspitzen sehr schön abfahren und glätten“, sagt Thoma. So miteinander gekoppelt, kann ein virtuelles Kraftwerk auch leicht an das Hauptstromnetz, beispielsweise auf Mittelspannung bei 20 Kilovolt, angeschlossen werden. Und im Unterschied zu jeder einzelnen, je nach Wetter starken Fluktuationen unterworfenen Stromquelle ist die Leistung des gesamten virtuellen Kraftwerks für den Betreiber des übergeordneten Netzes berechenbar.

Dieses Modell für eine kontrollierbare, dezentrale Stromversorgung hat seine erste Bewährungsprobe Ende vergangenen Jahres bereits bestanden. In Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Energieunternehmen MVV Energie bauten Thoma und seine Kollegen in der Nähe von Karlsruhe testweise ein solches Kraftwerk auf, das 101 private Haushalte versorgt. Es umfasst für die Stromerzeugung eine 29-kWPhotovoltaik- Anlage, ein 40-kW-Blockheizkraftwerk und einen Batteriecontainer mit Bleiakkumulatoren, die eine Stunde lang 100 kW Leistung liefern können. Auch die Stadtwerke Unna gewinnen derzeit mit einem vergleichbaren Verbund – inklusive einer Windkraftanlage – erste Erfahrungen.

Derlei Aktivitäten sind zum guten Teil Folge einer kräftigen Förderung durch die EU, die allein in ihrem sechsten Forschungsrahmenprogramm 50 Millionen Euro für das Stromnetz der Zukunft zur Verfügung gestellt hatte. Im ab 2007 laufenden siebten Rahmenprogramm dürfte sich dieser Betrag noch deutlich erhöhen. Doch wer die unterschiedlichen Projekte genauer betrachtet, erkennt schnell: Hier wird das Rad an vielen Orten mehrmals erfunden. Im April dieses Jahres startete Forschungskommissar Potocnik deshalb die Initiative „SmartGrid“. Sie soll Ergebnisse bündeln und bewerten, gleiche Kompetenzen zusammenführen und so mehr Effizienz für den zukünftigen Milliardenmarkt generieren.

EUROPA ALS VORREITER?

„SmartGrid“ hat kein geringeres Ziel, als der europäischen Industrie die Technologieführerschaft in Sachen Stromnetz zu sichern. Kraftwerke und Stromnetzhardware, Regelgeräte zur Stromnetzkontrolle und auch Software-Lösungen sollen zum Exportschlager werden, Unternehmen und Forschungsinstitute aus der EU die Federführung bei der Erarbeitung internationaler Stromnetzstandards übernehmen. Ein Vorbild für diese Vorreiterrolle ist der GSM-Standard für den Mobilfunk, der sich ebenfalls von Europas Entwicklungslabors in viele Teile der Welt ausbreitete.

An vielen dieser EU-Projekte sind die Giganten unter den Anlagenbauern beteiligt. Schon heute bieten Unternehmen wie Siemens und ABB sogenannte FACTS-Systeme (Flexible AC Transmission Systems) an. Über eine intelligente Regelungstechnik können diese Wechselstromsysteme helfen, die Transportkapazitäten vorhandener Netze zu erweitern und so das Risiko von Netzausfällen zu minimieren. Für weite Leitungsstrecken, beispielsweise bei Seekabeln zur besseren europaweiten Verknüpfung von Stromnetzen, konzentrieren sie sich auf die HGÜ-Technologie (Hochspannungsgleichstromübertragung). Anders als bei den dominierenden Dreh- und Wechselstromsystemen lassen sich mit Gleichstrom Freileitungsdistanzen von bis zu 2000 Kilometern mit geringen Verlusten realisieren.

Weiterer Vorteil: Selbst Netze mit unterschiedlichen Frequenzen und Phasenlagen können über HGÜs miteinander gekoppelt werden. Obwohl die HGÜ-Technik seit über 50 Jahren vereinzelt angewendet wird, scheuten die Netzbetreiber lange die höheren Kosten und geringere Belastbarkeit. Doch mit moderner Regelungstechnik und Fortschritten bei den nötigen Gleichrichtern, sogenannten Thyristoren, gewann sie an Attraktivität.

Aktuelles Beispiel für den Trend zur Gleichstromtechnik ist ein gigantisches Seekabel, das sich um halb Europa von Spanien bis in die Ostsee ziehen könnte. Der irische Windparkentwickler Airtricity hat das Konzept gemeinsam mit ABB entworfen. Als neues Rückgrat für die europäische Stromversorgung soll es auch Offshore-Windparks integrieren – und zwar auch dann, wenn der Wind kräftig bläst. Denkbar wäre sogar ein paneuropäisches virtuelles Kraftwerk: Wasserkraft aus Norwegen, Solarenergie aus Marokko oder Spanien und Windstrom von Offshore-Parks in Nord- und Ostsee könnten zu einem intelligent gesteuerten Verbundsystem gekoppelt werden. Die Kosten allerdings wären immens: Allein das von Airtricity vorgeschlagene Seekabel samt Steuerung würde rund 20 Milliarden Euro Investitionen erfordern.

STECKDOSEN MIT PREISINFORMATION

Doch worin besteht der Nutzen des Netzumbaus für den normalen Stromverbraucher? Auf der Hand liegt, dass er in Zukunft seine Waschmaschine oder seinen Heizlüfter mit mehr Strom aus regenerativen Quellen betreiben kann. Aber ein flexibleres Stromnetz erlaubt auch eine bessere Kostenkontrolle: Der süddeutsche Netzbetreiber EnBW etwa entwickelt zusammen mit IBM einen „Strombutler“ – eine Steckdose mit Display, auf dem der jeweils aktuelle Strompreis angezeigt werden kann. So kann jeder leistungsstarke Geräte gezielt in günstigeren Stromzeiten anschalten. Diese intelligente Steckdose könnte aber auch umgekehrt funktionieren. Via Internet gefüttert mit Preisdaten der Strombörse in Leipzig, sieht der Betreiber eines Kleinstkraftwerks, wann sich die Einspeisung für ihn finanziell besonders lohnt.

Nordsee-Windbauer Coermann allerdings will keinesfalls warten, bis die großen Visionen vom schlauen Stromnetz Wirklichkeit werden. Zusammen mit anderen Betroffenen hat er beim Landgericht Itzehoe Schadenersatzklagen gegen E.on eingereicht. Dort allerdings verweist man darauf, dass ein Netzausbau wegen der erforderlichen Genehmigungen bis zu elf Jahre Vorlauf brauche.

Immerhin wird derzeit das gültige Planfeststellungsverfahren geprüft. Bereits im Mai 2005 hat die Bundesregierung den Entwurf für ein „Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben“ beschlossen. Tritt das Gesetz in Kraft, könnte der Zeitraum auf etwa sieben Jahre verkürzt werden. Auch Erdkabel statt Freileitungen – sie stoßen wegen der nicht nötigen Hochspannungsmasten auf größere Akzeptanz der Anwohner und könnten in ein bis zwei Jahren genehmigt werden – sind in der Diskussion. Doch lägen hier die Anfangsinvestitionen sieben- bis zehnmal über denen von Freileitungen, gibt VDN-Vertreter Staschus zu bedenken. Der Wind-Verband BWE dagegen vertritt die Ansicht, dass mit Blick auf die geringeren Betriebskosten Erdkabel bei 110 kV sogar günstiger kommen könnten.

Parallel aber plant E.on für diesen Herbst einen Feldversuch, der das Problem der überhitzten Leitungen mit Hilfe neu entwickelter Technologie angeht. Die Leitungen dürfen laut der Norm DIN/EN 50128 niemals heißer als 80 Grad werden. Daraus ergibt sich ein theoretischer Maximalwert für die Menge an Strom, die durch die Kabel fließen darf. Jetzt aber sollen Thermo-Sensoren kontinuierlich die tatsächliche Temperatur auf den 110-Kilovolt-Freileitungen messen und an die Leitstelle senden – damit ließe sich die Tatsache ausnutzen, dass viel Wind und dadurch viel Strom zugleich auch eine stärkere Kühlung für die Kabel durch den Luftzug bedeutet.

Nach Aussage von Heinrich Brakelmann von der Universität Duisburg-Essen, der im Auftrag des BWE die Möglichkeiten für eine Optimierung bestehender Netze untersucht hat, könnte man auf derart überwachten Leitungen 10 bis 50 Prozent höhere Lasten zulassen; statt strikt nach Normwert müsste man erst dann reagieren, wenn die tatsächlich gemessene Temperatur zu hoch wird. Vielleicht also findet sich auch für den Streit zwischen E.on und den Windstrom-Produzenten noch eine intelligente Lösung. (wst)