Ein Endoskop, das ĂĽberall hinkommt
Forscher haben ein enorm dünnes Endoskop entwickelt, mit dem sich besonders empfindliche Bereiche des Körpers untersuchen lassen sollen – sogar in 3D.
- Susan Nasr
Endoskope sind für einen Arzt wie ein Paar zusätzlicher Augen, mit denen er tief in den Körper hineinsehen kann. Das Problem: Aktuell verfügbare Geräte sind entweder nicht klein genug oder bieten eine zu geringe Bildqualität. Das macht sie in besonders empfindlichen Körperbereichen nicht nutzbar. Forscher am Massachusetts General Hospital (MGH) haben daher nun ein Endoskop entwickelt, das so dünn wie ein menschliches Haar sein soll und Bilder gleichzeitig sogar in 3D liefern kann. Falls es sich im menschlichen Körper bewährt, könnte es die heutige Diagnostik und minimal invasive Chirurgie deutlich verändern.
"Heutige Endoskope leiden unter dem Größe-kontra-Bildqualität- Problem", meint Guillermo Tearney, Professor für Dermatologie an der Harvard Medical School und Leiter des MGH-Entwicklungsteams. Endoskope mit besonders klarer Bildaufnahme setzten zumeist auf eine mindestens millimetergroße Kamera, die zu groß für viele Körperbereiche sei. Sehr dünne Endoskope lieferten hingegen nur schlechte Bilder.
Ärzte, die besonders empfindliche Operationen vornehmen müssen, benötigen jedoch sowohl besonders dünne Endoskope als auch gute Sicht. Wenn Endoskope Körperschichten durchdringen, um etwa in das Gehirn zu gelangen, Föten im Körper einer Schwangeren sichtbar machen oder sich durch kleinste Körperöffnungen bewegen, geht es immer um die Größe - dicke Endoskope können gefährliche Löcher in sensibles Gewebe reißen. Doch gute Bilder sind gleichzeitig notwendig, um durch solche Körperbereiche überhaupt zu navigieren. Kein Endoskop bot bislang beides - kleine Größe und hohe Bildqualität. Ein Arzt konnte sich also nur aussuchen, ob er größere Gewebeschäden oder gröbere Navigationsmöglichkeiten im Körper akzeptieren wollte.
Aus diesem Grund sei das neue Endoskop ein optimaler Kompromiss, meint Tearney - es sei so dünn und nahezu so flexibel wie ein menschliches Haar, könne aber gleichzeitig auch 3D-Bilder des Körpers generieren.
Der Trick bei dem Gerät, das kürzlich in "Nature" (Ausgabe vom 19. Oktober) beschrieben wurde, ist eine bessere Ausnutzung des Lichts. Die dünnsten Endoskope, die heute zum Einsatz kommen, arbeiten quasi wie Periskope und lenken weißes Licht auf ein Bündel Glasfasern. Das Licht wird vom Gewebe reflektiert und kehrt dann zum Auge des Arztes zurück. Das Bild ähnelt dabei einer Fotografie. Das sei zwar okay, aber dennoch nur "suboptimal", meint Tearney.
Bei dem neuen Endoskop scheint weißes Licht durch eine einzelne Glasfaser, bricht sich dann jedoch im Regenbogenfarbenspektrum. Jede der Farben trifft dabei auf einen anderen Gewebebereich. Das farbige Licht wird auf ein Spektrometer zurückgeworfen, das sich außerhalb des Körpers des Patienten befindet. Dieses misst dann zwei Eigenschaften der ankommenden Lichtstrahlen - einerseits ihre Intensität, die im endgültigen Bild die Schemen bildet. Dann wird geprüft, wie die zurückgeworfenen Lichtstrahlen sich im Vergleich zu Strahlen bewegen, die von einem flachen Referenzobjekt reflektiert werden. Daraus ergibt sich dann die Topografie. Ein Computer kombiniert anschließend Schemen und Topografie zu einem 3D-Bild, das wie ein Computermodell des Gewebes aussieht.
Um die Funktionsweise zu demonstrieren, bildeten die Forscher Tumore im Unterleib einer lebenden Maus ab. Dazu wurde die Unterseite der Maus mit einer klitzekleinen Nadel punktiert und das Endoskop dann in den Darm eingeführt. Der ausgegebene 3D-Scan zeigte ganz klar kleine Erhebungen - Tumore auf der Unterleibswand. Laut Tearney und Team ließen sich solche kleinen Geschwüre mit bislang verfügbaren Endoskopen dieser Größe gar nicht erkennen. Könnten Ärzte diese Technik auch beim Menschen verwenden, ließen sich womöglich Brust- und Pankreas-Tumore wesentlich früher entdecken.
Auch ganz neue Eingriffe wären so wahrscheinlich möglich - mit einem derart kleinen, genauen Instrument könnten sich Chirurgen wesentlich tiefer ins Hirn eines Patienten wagen oder Föten im Mutterleib besonders sicher untersuchen. Endoskopische Untersuchungen ließen sich sogar ohne Betäubung vornehmen, weil das Instrument so sanft penetriert.
"Ich halte diese Technik für extrem interessant", meint Wanye Lencer, Gastrologe am Kinderkrankenhaus in Boston. Er kennt die aktuellen Probleme der Endoskopie genau, wenn er etwa den Magen/Darm-Trakt seiner kleinen Patienten untersuchen muss - die Geräte, die gute Bilder liefern, seien zu groß. Ein Endoskop in der Größe eines Haares könnte hingegen sogar die fragilsten Bereiche der Bauchspeicheldrüse erreichen, die derzeit einfach nicht zu greifen seien. Mit 3D-Bildern würden zudem Krankheiten erkannt, die mit den 2D-Bildern heutiger Endoskope nicht aufzuspüren seien.
Allerdings wird das Team um Tearney noch einiges an Zeit brauchen, bis das neue Endoskop den Markt erreicht. Zuerst muss die Sicherheit der Technik bewiesen werden. Zudem wollen die Forscher eine Farbdarstellung und eine höhere Auflösung des 3D-Bildes ermöglichen. Durch eine bessere Optik könnte sich Letztere um das Zehnfache steigern, wie Tearneys Kollege Dvir Yelin meint. Aktuell kommt man bei dem Prototypen nur an die Bildqualität kleiner Endoskope heran. Eine große Herausforderung ist außerdem, das derzeit noch schwer präzise steuerbare Endoskop so zu festigen, dass es sich problemlos durch die Biegungen des Körpers bewegt - und dass es trotzdem nicht dicker wird.
Wenn alles glatt geht, erhalten Ärzte dann ein Endoskopie-Endprodukt, mit dem sie sich sicher und vor allem mit enorm klaren Bildern durch den Körper bewegen können - egal, durch welches Gewebe. "Solche Möglichkeiten gab es bislang einfach noch nicht", meint Tearney.
Ăśbersetzung: Ben Schwan. (wst)