Große Teilchen mit großer Zukunft

Wenn der Laptop-Akku schlapp macht, dann liegt das an den falschen Anionen in der Batterie. Das könnte sich bald ändern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sascha Karberg

Die Idee lag seit mindestens 30 Jahren auf der Hand. Doch erst im Chemiker-Hirn von Ingo Krossing zündete der Gedankenblitz und setzte eine kleine Revolution in der Chemie in Gang, die Grundlagenforscher die Chemie-Lehrbücher neu schreiben und Anwender von besseren Akkus und Katalysatoren träumen lässt. Der 38-jährigen Freiburger Professor kann schon mal vom Nobelpreis träumen, denn seine Idee brachte ihm jetzt den mit 50.000 Euro dotierten Otto-Klung-Weberbank-Preis ein – den vor ihm schon fünf spätere Nobelpreisträger bekommen hatten.

Dabei begann alles damit, dass Krossing keine Lust mehr hatte, seine kostbare Laborzeit mit sinnlosen Vorarbeiten zu vertrödeln. Der Chemiker hatte Ende der Neunziger eine ganze Liste interessanter Experimente abzuarbeiten, für die er jedoch jedes Mal bestimmte Anionen brauchte, kleine negativ geladene Teilchen. Mühsam konnte er in wochenlanger Arbeit höchstens fünf Gramm davon herstellen. „Da habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, was eigentlich ein gutes Anion wäre“, sagt Krossing. Faulheit als Triebkraft für den Fortschritt? „Ja, dazu stehe ich! Die besten Ideen der Wissenschaft sind so entstanden.“ Als Krossing mit Denken fertig ist, hat er neuartige Anionen entwickelt, mit denen sich unzählige bisher unmögliche Reaktionen verwirklichen lassen.

Viele Kollegen werden sich ärgern, dass sie nicht selbst drauf gekommen sind, denn Krossings Idee ist eigentlich ganz einfach: Der Chemiker hat die Anionen nur ein Stück weit vergrößert: 21-mal so groß wie ein Chlorid-Anion, das man aus dem Speisesalz, dem Natriumchlorid, kennt. Das ändert die chemischen Eigenschaften des Anions, vor allem die Anziehungskräfte zum positiv geladenen Pendant des Anions, dem Kation. Denn ein großes Anion hält das Kation auf Distanz. „Je größer der Abstand zwischen den Ionen ist, umso weniger ziehen sie sich an“, sagt Krossing. „Wir können die Anziehung zwischen den Ionen so weit reduzieren, wie man sie sonst nur in einem Gas oder Vakuum realisieren kann.“ Für die Leitfähigkeit von Batterien ist das ein großer Vorteil, denn in der Elektrolytflüssigkeit der Batterien müssen die Ionen möglichst ungehindert zwischen den Polen wandern können. Aber wenn Anionen und Kationen aneinander vorbeikommen, dann ziehen sie sich an und behindern sich so gegenseitig auf ihrem Weg. „Wenn die Anionen jedoch so groß sind, dass die gegenseitige Anziehung reduziert ist, dann erhöht sich die Leitfähigkeit der Batterie“, erklärt Krossing.

Entscheidend dabei ist, dass Krossing einen (patentierten) Weg gefunden hat, die großen Anionen in kurzer Zeit in großen Mengen zu produzieren: Im Labor braucht Krossing zwei Tage für 100 Gramm, im industriellen Maßstab lässt sich das fast unbegrenzt beschleunigen. Doch Krossings Anionen sind nicht nur groß, sondern auch besonders widerstandsfähig, weil sie außen mit einer Teflonschicht überzogen sind. Dadurch sind die Anionen elektrochemisch stabiler, gehen also bei Hitze keine chemischen Verbindungen mit anderen Substanzen ein oder zerfallen gar. Ein durchaus anwendungsrelevantes Detail: „Batterien mit solchen Anionen können eine Woche lang bei 80 Grad im Ofen liegen und funktionieren immer noch“, so Krossing, der die Freiburger Firma IoLiTec berät. Und auch gegen das Überladen von Akkus bieten Krossings Anionen besseren Schutz. „ Der Elektrolyt in der Batterie wird normalerweise bei einer Überladung von 4,6 Volt zerstört“, sagt Krossing. „Unsere Elektrolyte halten bis zu 5,5 Volt Überladung aus.“

Darüber hinaus können Krossings Anionen in vielen Herstellungsprozessen in der chemischen Industrie eingesetzt werden, denn sie machen Katalysatoren effizienter. Katalysatoren sind Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen können. Im menschlichen Körper übernehmen beispielsweise Enzyme diese Rolle, wenn eine Substanz zu einer anderen verarbeitet werden muss. Damit das funktioniert, muss die so genannte Koordinationsstelle, das chemisch aktive Zentrum des Katalysators, erst frei von Ionen sein, damit die betreffende Substanz dort andocken und bearbeitet werden kann. Handelt es sich um kleine Anionen, dann ist die Anziehungskraft meist recht stark, und es dauert insgesamt recht lange, bis die Reaktion vollzogen ist. „Ein großes Anion hingegen geht leichter aus der Koordinationsstelle raus“, sagt Krossing.

Zukunftsmarkt ionische Flüssigkeiten

Krossing und IoLiTec denken auch über einen Einsatz der Anionen in Superkondensatoren nach, die „essentieller Bestandteil“ von Hybridautos sind. Damit solche Autos per Batterie flott vorankommen können, müssten die Batterien die Energie schneller als bisher zur Verfügung stellen können. „Dazu braucht es Energiespeichermedien, die die Energie schnell freigeben und zigtausend-mal geladen und entladen werden können“, so Krossing. In solchen Hochleistungselektrolyten dürften seine großen Anionen hilfreich sein.

Auf die Frage, wann mit neuen Batterien zu rechnen ist, die seine Anionen verwenden, kann Krossing allerdings nur mit den Schultern zucken. „Der Feind jedes neuen Verfahrens ist der bestehende abgeschriebene Prozess“, so Krossing, der auch mit BASF, Merck oder dem Batteriehersteller HPL zusammenarbeitet. Es könne fünf aber auch zehn Jahre dauern, bis neue Produktionsanlagen etabliert sind, die neue Verfahren mit seinen Anionen verwenden.

In Zukunft will sich Krossing ionischen Flüssigkeiten aus Kationen und Anionen widmen, aus denen beispielsweise die BASF Zellulose spinnt, weil sich der Stoff darin besser löst als in konventionellen Lösungsmitteln. „Theoretisch kann man 10 hoch 18 verschiedene ionische Flüssigkeiten machen“, sagt Krossing. Er will Werkzeuge entwickeln, mit denen sich vorhersagen lässt, welche Eigenschaften eine bestimmte ionische Flüssigkeit haben wird. „Das würde das Leben einfacher machen.“

So anwendungsrelevant Krossings Idee sein mag, der Grund für den Preis sei das nicht gewesen, sagt Hans-Ulrich Reißig, Chemiker an der Freien Universität Berlin und Vorsitzender der Auswahlkommission. „Krossings Anionen sind vor allem auch für die Grundlagenforschung eine wichtige Entwicklung.“ Sie ermöglichen chemische Synthesen, die vorher nicht oder nur mit großem Aufwand möglich gewesen wären. Beispielsweise können jetzt Verbindungen stabil hergestellt werden, die bisher nur für extrem kurze Zeit existieren konnten, bevor sie sich wieder zersetzten. Krossings Anionen sind also ein Werkzeug, mit dem neue Entdeckungen überhaupt erst möglich werden. „Wir haben diese Anionen aus reiner Neugier an der Stabilisierung von ungewöhnlichen Teilchen entwickelt“, sagt Grundlagenforscher Krossing. Nun zeige sich, dass sie für viele Anwendungen wie Katalyse, Elektrochemie, Elektrolyte, Batterien und Kondensatoren sehr gut geeignet sind. „Doch es war die Grundlagenforschung, die diese Innovationen angestoßen hat“, betont der Forscher. Echte Forschung sei ein offener Prozess. „Wer ausschließlich anwendungsorientiert forscht, wird nur das weiterentwickeln, was ohnehin schon bekannt ist.“ Aus wirklich neuem Wissen entwickle sich die Anwendung schon ganz von allein. „Wer will den nicht wissen, ob die von ihm entwickelten Ideen auch im rauen kommerziellen Alltag Bestand haben?“ (wst)