Stratosphärenballon statt Handymasten

Ein Schweizer Unternehmen will mit extrem hoch fliegenden Ballons und leistungsfähigen Antennen die Mobilfunkwelt auf den Kopf stellen.

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Von
  • Jens Frantzen

Handymasten haben ausgedient. Zumindest, wenn es nach Kamal Alavi geht, dem Chef des Schweizer Unternehmens StratXX. Der wuchernde Wald von Landschaft und Architektur nicht gerade verschönernden Metallmonstern könnte in ein paar Jahren ersatzlos abgeholzt werden. Die unzähligen terrestrischen Antennen will er durch nur einige wenige fliegende ersetzen. Hoch fliegende. Die so genannten X-Stations sind Kombinationen aus Ballons und unbemannten Flugzeugen und steigen bis in die Stratosphäre auf. Einsatzhöhe: 21.000 Meter. Von so hoch oben besteht zu jedem Punkt in einem maximalen Einzugsbereich von 1000 Kilometern Durchmesser eine direkte Sichtverbindung. Funkübertragungen sind daher mit erheblich schwächeren Sendeleistungen möglich als bei terrestrischen Netzen und Geräten, die darauf ausgelegt sind, viele Gebäude durchdringen zu müssen. Die Strahlungsbelastung der Bevölkerung ließe sich so um ein Vielfaches reduzieren. „Eine X-Station reicht für die Versorgung von 1000 Funkzellen aus“, so Alavi. Die gesamte Schweiz könnte – je nach Netzplanung und Verwendung der Kapazität – mit einer einzigen fliegenden Einheit versorgt werden.

Die Idee dazu ist nicht neu. „Schon einige japanische und amerikanische Firmen haben es mit Luftschiff-Designs versucht“, sagt der im Iran geborene Raumfahrtingenieur. Doch die Materialien erwiesen sich als zu schwer, bei Hightech-Zeppelinen kommt man auf 300 Gramm pro Quadratmeter. Alavis Idee war eine zur Gewichtsoptimierung: Die Kombination von bekannter High-Altitude-Ballontechnologie, wie sie schon seit den 60er-Jahren etwa für meteorologische Forschungsballons angewandt wird, mit einem darunter montierten unbemannten Kleinflugzeug. Der mit Helium gefüllte und mit Solarzellen gespickte Ballon steigt auf 21 Kilometer Höhe, das angekoppelte Flugzeug sorgt mit einem solargetriebenen Propeller dafür, dass das Gesamtsystem X-Station geostationär – also über einem definierten Punkt auf der Erdoberfläche – bleibt. Dafür muss es keine Schwerstarbeit leisten, die Windgeschwindigkeiten in der Stratosphäre sind relativ niedrig und die Windkraft aufgrund wesentlich geringerer Luftdichte auch entsprechend schwächer. Das Fluggewicht lässt sich durch die Ballon-Flugzeug-Lösung auf 20 bis 30 Gramm pro Quadratmeter verringern, ein praktikabler Wert für den Alltagsgebrauch. Und wenn die Technik an Bord des Flugzeugs kaputt ist, wird es einfach abgekoppelt und zur Reparatur gelandet.

Die Gesamtkosten für eine X-Station beziffert ihr Erfinder Alavi auf rund 20 bis 25 Millionen Euro, nur ein Bruchteil dessen, was vergleichsweise ein Satellit kosten würde. „Außerdem kann eine X-Station mit nur geringem zeitlichen Vorlauf und von einem fast beliebigen Punkt aus gestartet werden“, so Kamal Alavi, „während Sie bei Satelliten das 30- bis 40-Fache bezahlen und oft jahrelang auf den Start warten müssen.“ Auch Mobilfunkmasten sind – bei einem von Alavi gerechneten Stückpreis von rund 200.000 Euro – in der Summe weitaus teurer.

Mobilfunkbetreiber, aber auch Radiosender oder Fernsehstationen, sollen sich später für die X-Stations interessieren, die mit einer von der Ecole Polytechnique Fédérale (EPF) in Lausanne entwickelten so genannten Spotbeam-Antenne ausgerüstet werden. Sie teilt ihr Sendegebiet in einzelne Bereiche (Spots) auf und erlaubt eine regionale Kapazitätsanpassung, je nachdem wie viel Datentransfer im betreffenden Funkspot benötigt wird. Als nächster Entwicklungsschritt der X-Station wird ein verkleinerter Prototyp konstruiert und im Sommer 2007 gestartet. Er soll schon Antennen für den WiMAX-Standard (Worldwide Interoperability for Microwave Access) an Bord haben, der breitbandige Internetanwendungen via Funk ermöglicht. So überbrücken die Daten aus der Stratosphäre wirkungsvoll die umkämpfte „letzte Meile“ und lassen den Ballon zur DSL-Konkurrenz werden. Auch die Testübertragung eines digitalen Fernsehsignals ist geplant. Verläuft dieser Versuch ebenso erfolgreich wie der Start eines Testballons im September dieses Jahres, kann das Team von StratXX an die Konstruktion der ersten, nicht gerade kleinen X-Station gehen: In vollem Maßstab soll der Ballon 90 Meter lang und 45 Meter hoch sein, wobei er seine endgültige Zigarrenform erst bei den Druckverhältnissen in 21 Kilometern Höhe erhält.

Voraussetzung für den Bau ist natürlich, dass sich zahlungskräftige Investoren oder Endkunden finden. An namhafter technischer Schützenhilfe mangelt es zurzeit nicht, neben mehreren Universitäten unterstützt auch das eidgenössische Bundesamt für Kommunikation das Projekt, wie auch die RUAG Aerospace, der ehemalige staatliche Schweizer Rüstungsbetrieb. Als flächenmäßig kleines Land eignet sich die Alpenrepublik gut für die ersten Schritte in Richtung Stratosphäre, wenn später größere Gebiete versorgt werden sollen, könnte es auch in anderen Ländern ganze Netzwerke miteinander kommunizierender X-Stations geben. Alavi: „Das wäre dann endlich wieder ein Hightech-Export aus der Schweiz“. (wst)