Der indische Weg zum Mond

Spätestens im Jahr 2020 soll ein indischer Raumfahrer auf dem Mond landen.

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Von
  • Keno Verseck

Indiens Raumfahrtwissenschaftler haben seit Jahren hochehrgeizige Pläne. Sie träumen von einem eigenen indischen Satellitennavigationssystem, von bemannter Raumfahrt in Eigenregie und sogar davon, indische Astronauten auf den Mond zu bringen – kurz: davon, es den USA oder zumindest Russland und China gleich zu tun.

Vergangene Woche war es wieder einmal so weit: Der Chef der indischen Raumfahrtagentur ISRO, Madhavan Nair, verteidigte vor der Presse den Wunsch seiner Behörde nach einem bemannte Raumfahrtprogramm. Indien könne schon 2014 Astronauten in eine Erdumlaufbahn schicken, so Nair, 2020 könne eine zwei- bis vierwöchige Mission eines Astronautenteams zum Mond folgen. "Wenn Menschen sich nicht ins All wagen, wird die Zukunft trübe sein", sagte Nair. "Indien kann bei diesem Rennen nicht zurückbleiben. Wir müssen an vorderster Front dabei sein."

Diese Woche nun will Nair auf einer ISRO-Wissenschaftskonferenz weitere Einzelheiten bekannt geben. Bei der inidschen Regierung sprach Nair bereits Mitte Oktober vor. "Die Möglichkeit eines bemannten Raumfahrtprogrammes wird diskutiert", hieß es daraufhin am 18. Oktober in einer kurzen Pressemitteilung aus dem Amt des indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh. Die ISRO hofft, dass eine Entscheidung darüber in den nächsten drei bis sechs Monaten fallen wird.

Tatsächlich ist Indien nach den USA, Russland, China und Europa die Raumfahrtnation Nummer fünf in der Welt. Ungeachtet seiner sozioökonomischen Probleme hat das Land in den letzten drei Jahrzehnten Milliardensummen in sein Raumfahrtprogramm investiert und einen riesigen Raumfahrtsektor aufgebaut. Allein bei der staatlichen Raumfahrtorganisation ISRO arbeiten etwa 16.000 Menschen (NASA: 18.000, ESA: 2.000). Der technologische Abstand zu den USA und Russland, selbst zu China und Europa ist jedoch beträchtlich, sowohl in der Raketen- als auch der Satellitentechnologie.

Für Satellitenstarts in niedrige Erdumlaufbahnen verwendet die ISRO seit Anfang der Neunzigerjahre erfolgreich das Polar Satellite Launche Vehicle (PSLV), eine vierstufige Feststoff-Trägerrakete. Von bisher neun Starts schlug nur der erste fehl. Die neueste Version der Trägerrakete, das PSLV-C6, kann 1,5 Tonnen Nutzlast in eine 600 Kilometer hohe Umlaufbahn befördern.

Weniger verlässlich und ausgereift ist bisher die dreistufige Schwerlastrakete GSLV (Geostationary Satellite Launch Vehicle) der ISRO, die geostationäre Kommunikationssatelliten von bis zu 2,5 Tonnen in einen geosynchronen Transferorbit bringen kann. Das GSLV kombiniert Feststoff- und Flüssigkeitsantrieb. Drei Testflüge seit 2001 verliefen reibungslos, beim ersten regulären Flug im Juli dieses Jahres explodierte die Rakete wenige Minuten nach dem Start, nachdem eine der vier Boosterraketen versagt hatte. In der dritten GSLV-Stufe wird ein kryogenisches (Tieftemperatur-)Triebwerk (Treibstoff: Flüssigwasserstoff/-sauerstoff) russischer Produktion verwendet. An der Entwicklung eines eigenen kryogenischen Triebwerks, das für schubstarke Schwerlastraketen gebraucht wird, arbeitet Indien derzeit noch. Wann es einsatzfähig sein wird, ist unklar.

Seit 1980 hat Indien 48 Satelliten gestartet, darunter die Hälfte auf eigenen Trägerraketen. Viele dieser Satelliten dienten dazu, die Funktionsfähigkeit der Raumfahrtsysteme zu demonstrieren. Dabei musste Indien alle typischen Rückschläge einer jungen Raumfahrtnation hinnehmen: Die meisten Satelliten landeten in falschen Umlaufbahnen, bei anderen traten Funktionsprobleme auf. Mit den Satelliten der frühen Neunzigerjahre unternahm die indische Raumfahrtagentur ISRO auch wissenschaftliche Experimente, so etwa röntgenastronomische Beobachtungen. Sie blieben allerdings weit unter dem Niveau ähnlicher Forschungsvorhaben anderer Länder.

Ein Durchbruch in der Raumfahrt gelang Indien im Mai 1999, als es mit einer eigenen Rakete erstmals zwei ausländische Satelliten ins All beförderte, darunter den deutschen DLR-Tubsat. Ein zweiter derartiger Start fand im Oktober 2001 statt, als Indien einen weiteren deutschen und einen belgischen Satelliten in eine Erdumlaufbahn brachte. Indien will sich so auf dem Weltmarkt als attraktiver und vergleichsweise billiger Anbieter für Starts leichter und mittelschwerer Satelliten etablieren.

Seine schweren Kommunikationssatelliten der Insat-Serie konnte das Land bisher nur von europäischen oder US-amerikanischen Raketen bzw. dem Spaceshuttle ins All befördern lassen. Beim gescheiterten Flug der GSLV-Trägerrakete im Juli dieses Jahres befand sich der Insat-4C-Kommunikationsatellit an Bord. Indiens Bestreben, auf dem Weltmarkt auch Starts schwerer Satelliten anzubieten, hat damit vorerst einen Rückschlag erlitten.

Fraglich ist auch, ob Indien die technologischen und finanziellen Möglichkeiten hat, weitere ehrgeizige Pläne zu verwirklichen. Am ehesten realisierbar scheint die für 2008 geplante Monderkundungsmission Chandrayaan mit einem 500 Kilogramm schweren Satelliten, der – möglicherweise mit wissenschaftlichen Instrumenten aus den USA und Europa – einen Beitrag zur mineralogischen Erforschung des Mondes liefern soll. Starten soll den Satelliten eine erweiterte PSLV-Trägerrakete.

Bereits nächstes Jahr will die ISRO ein Experiment durchführen, bei dem eine unbemannte 600-Kilogramm-Raumkapsel nach einwöchiger Erdumkreisung sicher zur Erde zurückgebracht wird. Gedacht ist dies als Probelauf für die Entwicklung einer Raumkapsel, die auch Astronauten befördern könnte. Über den Entwicklungsstand der unbemannten Kapsel schweigt die ISRO. Möglicherweise hat Indien nicht einmal das Design-Stadium überschritten.

Überhaupt wird das Thema bemannte Raumfahrt nicht nur in der indischen Öffentlichkeit, sondern selbst innerhalb der ISRO kontrovers diskutiert. So hatte sich der Vorgänger des ISRO-Chefs Madhavan Nair, der im August 2003 zurückgetretene Krishnaswamy Kasturirangan, verschiedentlich gegen ein bemanntes indisches Raumfahrtprogramm ausgesprochen. Madhavan Nair versucht jedoch eine klare Linie durchzusetzen: "Kein Roboter oder Instrument kann das menschliche Gehirn ersetzen", so die Ansicht des ISRO-Chefs.

Es ist jedoch fraglich, ob die indische Politik ein milliardenschweres bemanntes Raumfahrtprogramm ohne weiteres absegnen wird. Das Motiv für die bisherige Förderung des Raumfahrtsektors im Land war jedenfalls weniger die Ambition, zur Raumfahrtgroßmacht aufzusteigen, sondern hatte vielmehr militärische Gründe: Die Atommacht Indien entwickelt seit zweieinhalb Jahrzehnten Raketen, die ihre Atomsprengköpfe tragen können. Das Land profitierte dabei von seinem Raumfahrtprogramm, das offiziell ausschließlich friedlichen Zwecken dient, tatsächlich aber eng mit dem militärischen Raketensektor verknüpft ist. So baute Indien in den Achtzigerjahren die erste Stufe der zuvor erfolgreich gestarteten kleinen Satelliten-Trägerrakete SLV-3 zur ersten Stufe einer ballistischen Mittelstreckenrakete um. Diese frühe Version der Agni-Rakete wurde erstmals 1989 getestet. In den letzten Jahren testete Indien dutzendweise konventionelle Abwehr- und atomwaffentaugliche ballistische Raketen und verfügt nun über Raketen für fast alle Entfernungen, einschließlich einer U-Boot-tauglichen Kurzstreckenrakete. Mit der Entwicklung einer Interkontinentalrakete, die Indien in seinem Waffenarsenal noch fehlt, hat das Land begonnen. Auch hierbei spielt die zivile Raumfahrt eine Vorreiterrolle: Die GSLV-Trägerrakete könnte als Grundlage einer Interkontinentalrakete dienen.

Auch in den exklusiven Klub der Mächte, die über Spionagesatelliten verfügen, ist Indien aufgestiegen: Im Oktober 2001 startete es seinen ersten Spionagesatelliten, den Technologie-Experimental-Satelliten TES, dessen Kamera Bilder mit einer Auflösung von unter einem Meter liefert. Dazu sind sonst nur noch amerikanische und vermutlich russische Spionagesatelliten sowie die privaten kommerziellen Ikonos-Satelliten in der Lage. Offiziell heißt es bei der indischen Raumfahrtagentur ISRO, er werde zivil genutzt. Die Regierung ordnete jedoch an, TES-Aufnahmen aus strategischen Gründen geheimzuhalten. Und indische Militärs gaben bereits kurz vor dem Start inoffiziell zu, dass die TES-Kamera vor allem die Grenzen zu Pakistan und China überwacht. (wst)