Meinung: Geo-Blocking – Grenzen für mehr Vielfalt

Die EU-Kommission will auch im Internet einen freien Binnenmarkt schaffen. Doch damit könnte das Angebot eher kleiner werden. Das Geo-Blocking für Filme wäre passé – aber wohl auch die jetzige Vielfalt an Produktionen.

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Von
  • Karsten Schäfer

Die EU-Kommission will auch im Internet einen freien Binnenmarkt schaffen. Doch damit könnte das Angebot eher kleiner werden. Das Geo-Blocking für Filme wäre passé – aber wohl auch die jetzige Vielfalt an Produktionen.

Karsten Schäfer, TR-Redakteur, ist großer Fan von digitalen Medienangeboten, hat aber auch Verständnis für die Zwänge der Produzenten.

Video-on-Demand und Streaming-Dienste sind eigentlich klasse. Es gibt eine große Auswahl, und man kann gucken, wann man will. Lineares Fernsehen nutze ich kaum noch. Die "Tagesschau" ist zwar gesetzt, aber die zeichne ich jeden Tag um 20 Uhr auf, sie steht mir dann also ebenfalls zum Abruf bereit – genauso wie Reportagen und andere interessante Sendungen des linearen Fernseh-programms.

Seit einem guten Jahr hat die "Tagesschau" sogar einen schönen Livestream mit Timeshift-Funktion auf ihrer Website, dessen Wiedergabe sich um bis zu zwei Stunden nach hinten schieben lässt. Das würde mir eigentlich reichen. Allerdings funktioniert es nicht ohne Weiteres auf dem Fernsehbildschirm.

Außerdem gibt es oft Probleme mit den Senderechten. Denn weil die "Tagesschau" im Internet kein Geo-Blocking verwendet – also über die deutschen Grenzen hinaus gese-hen werden kann –, darf sie eingekauftes Bildmaterial im Web oft nicht zeigen. Das bekommen besonders Fußballfans zu spüren, denn oft fallen Sportberichte im "Tagesschau"-Streaming entweder ganz raus, oder statt der Spielszenen erscheint ein blauer Bildschirm mit der Erklärung: "Kurze Unterbrechung (Dieser Beitrag darf im Internet aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden)".

Noch ärgerlicher ist es, wenn man im Urlaub einen schönen Spielfilm aus seiner Online-Videothek sehen möchte. Beim Aufrufen der deutschen Watchever-Seite im spanischen Internet kommt nur der Hinweis: "Leider ist es nicht möglich, sich aus diesem Land bei Watchever anzumelden." Davon bin ich als zahlender Abonnent natürlich überhaupt nicht begeistert. Das will Andrus Ansip – seit November Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmarkt – jetzt ändern. In seinem Papier "A Digital Single Market Strategy for Europe" fordert Ansip "ungerechtfertigtes Geo-Blocking zu verhindern" und einen "modernen und europäischeren Urheberrechtsrahmen".

Man könnte nun meinen, das sei eine gute Nachricht für die Zuschauer. Doch ohne Geo-Blocking wäre das Angebot der Online-Videotheken nicht unbedingt größer – dafür aber das Kino-, DVD- und Fernsehangebot an Spielfilmen und Serien wohl um einiges kleiner. Denn eine ganze Reihe von Produktionen ließe sich nicht mehr finanzieren.

Im Gegensatz zu den Filmen der großen Hollywood-Studios werden große, unabhängige Produktionen nämlich in der Regel nicht vorfinanziert, sondern schon vorab verkauft. So haben die beteiligten Firmen für den 50-Millionen-Euro-Film "Das Parfum" 35 Millionen Euro durch Vorverkäufe in verschiedene Länder eingenommen. Mit diesen Lizenzen – sei es nun zur Vorführung, zum Verkauf, zum Verleih, als Senderecht oder zum Streamen – verkaufen die Produktionsfirmen und Rechtehändler Exklusivität für einen bestimmten Markt und einen bestimmten Zeitraum. Ohne Geo-Blocking aber wäre das nicht mehr möglich.

Denn sobald die englische Version des Films in irgendeiner Online-Videothek auftaucht, die für einen monatlichen Abopreis dann europaweit verfügbar wäre, sind zumindest die DVD- und Fernsehlizenzen kaum noch etwas wert. Die unabhängigen Produktionsfirmen müssten dann künftig versuchen, Lizenzen für ganz Europa zu verkaufen. Nationale Fernsehsender werden aber wohl kaum bereit sein, Rechte für Länder zu erwerben, in denen sie gar nicht ausgestrahlt werden. Auch Kinobetreiber, DVD-Händler und Online-Videotheken sind nach Ländermärkten organisiert. Europalizenzen hätten daher wohl kaum Chancen, kostendeckend verkauft zu werden.

Lohnt sich das wirklich? Nun sind EU-Beamte selbst sicherlich besonders stark vom Geo-Blocking betroffen. Denn viele von ihnen pendeln regelmäßig zwischen Brüssel und ihren Heimatländern. Da könnte auch Kapitel 2.4 des Positionspapiers herrühren, in dem es den Verfassern um eine Verbesserung des grenzüberschreitenden Zugangs zu "rechtmäßig erworbenen Inhalten" geht. Das allerdings ließe sich sehr leicht durch den Nachweis des Wohnortes bewerkstelligen, den auch der Apple iTunes Store über die Kreditkartendaten abprüft.

Die EU schießt in diesem Fall daher über das Ziel hinaus. Diesen Schluss legen auch andere Beispiele von "Verbraucherdiskriminierung" nahe, die im EU-Papier zu finden sind. So sei es nicht akzeptabel, dass sich die Preise für einen Mietwagen am Urlaubsort von einem EU-Land zum anderen stark unterscheiden. Doch dass für das gleiche Produkt unterschiedliche Preise verlangt werden, ist keine Seltenheit und hat gute Gründe. So kostet das gleiche Bier im strukturschwachen Ostfriesland weniger als im wohlhabenden München. Auch bei Reisen, Flug- und sogar Bahntickets sind ständige Preisanpassungen für einen besseren Absatz gang und gäbe.

Die Regelung im Internet ist daher keineswegs so absurd, wie sie auf den ersten Blick scheint. Sie fällt im Web nur besonders auf. Aber letztendlich muss der Verkäufer das Recht behalten, selbst entscheiden zu können, auf welchen Märkten er seine Waren anbietet und an wen er sie verkauft. Anbieter von Spielfilmen und Serien brauchen exklusive Filme und Serien, um Zuschauer zu binden. Sonst schalten sie woanders ein, schlimmstenfalls verschwinden manche Produktionen ganz vom Bildschirm. (bsc)