Lobby-Kampf um die EU-Datenschutzreform kommt ins Kino

Dokumentarfilmer David Bernet hat zweieinhalb Jahre die Auseinandersetzung um die geplante europäische Datenschutzverordnung verfolgt und bringt seine Einblicke in den Brüsseler Machtapparat nun auf die große Leinwand.

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EU Justiz
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Von den "Wölfen" spricht Jan Philipp Albrecht, Berichterstatter für die langsam Gestalt annehmende EU-Datenschutz-Grundverordnung, im Dokumentarfilm "Democracy ­ Im Rausch der Daten". Gemeint sind damit vor allem die Lobbyisten, die seine Initiative in die Mangel nähmen.

Kurz zuvor hatte der grüne EU-Abgeordnete Anfang 2013 seinen Vorschlag für die Position der Volksvertreter zu dem Gesetzesdossier präsentiert. Auch seinem Mitarbeiter Ralf Bendrath schwant: "Jetzt kommen wir langsam in den Kriegsmodus." Der ein oder andere "schmutzige Deal" stehe wohl an.

Jan Philipp Albrecht, Europa-Abgeordneter der Grünen, befürchtet, dass die "Rückabwicklung der Privatsphäre" in vollem Gang ist.

(Bild: Jan Philipp Albrecht, Fotograf: Fritz Schumann )

Albrecht hat zu diesem Zeitpunkt schon viele Gespräche mit Lobbyisten geführt, die vor allem aus der Wirtschaft kommen. "Sie klopfen alle an meiner Tür", sagt der Netzpolitiker, den die Kamera in dem Streifen hauptsächlich begleitet, halb genervt, halb stolz. Aufgabe des "jungen Wilden" ist es schließlich, die Perspektive möglichst vieler Interessensvertreter sowie der Vertreter der anderen Fraktionen im Parlament in sein Papier mit einzuweben.

Im Januar 2012 hatte die damalige Justizkommissarin Viviane Reding die umfassende Datenschutzreform auf den Weg gebracht. Die konservative Luxemburgerin und der Norddeutsche sind sich trotz ihrer unterschiedlichen politischen Lager einig, dass die informationelle Selbstbestimmung gerade im digitalen Zeitalter mit seiner Datenflut gestärkt werden muss. Anfangs sieht man die beiden im Film über die Treppen und Flure der großen Bunker des Brüsseler Machtapparats stolpern auf der Suche nach dem richtigen Besprechungsraum. Nachdem sie sich aufeinander eingespielt haben, begrüßen sie sich mit Umarmungen und Küsschen.

Albrecht und sein Team müssen ihre Rolle selbst erst finden, wie der Schweizer Regisseur David Bernet in dem 100-Minuten-Streifen deutlich macht. Für den Innenexperten der Grünen ist es eine "Horrorvorstellung", wenn Firmen oder Behörden zu viele persönliche Informationen zu Profilen verdichten und die Betroffenen so quasi "ständig mit einer Nummer auf der Stirn" herumlaufen müssen. Vorbehalte gegen die "Werbe-Tracking-Pest" hat auch Bendrath. Schnell merken sie beim Lesen des ursprünglichen Kommissionsentwurfs und erster Kommentare anderer Abgeordneter, "dass alle Leute hier nur mit Wasser kochen" und sie eigene Akzente setzen können.

Der grüne Verhandlungsführer weiß, dass es in der einsetzenden Lobbyschlacht nicht nur um sehr viel Geld, sondern auch um die Freiheitsrechte und die Vision einer vernetzten Gesellschaft geht. "Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist Datenschutz der neue Umweltschutz", twittert er aus einer Parlamentssitzung. Albrecht will die digitale Welt vor den Gefahren von Big Data und Massenüberwachung schützen. Vergleichsweise bürger- und grundrechtsfreundlich sieht sein Berichtsentwurf daher aus, der zugleich hohe Sanktionen gegen Datenschutzsünder vorsieht.

Doch von da an geht das Hauen und Stechen erst richtig los. Von der Industrie entsandte Heerscharen von Meinungsmachern und Juristen treten auf den Plan, die dem Berichterstatter ob seiner standfesten Erläuterungen am Rande von Ausschussbesprechungen am liebsten einen Dolch in den Rücken bohren würden. Ihnen gegenüber stehen in David-gegen-Goliath-Manier nur zwei Aktivisten der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi). Ein sich neutral gebender italienischer Anwalt taucht noch auf, der aber an der Demokratie zu verzweifeln scheint, als der Prozess ins Stocken gerät.

Rund 4000 Änderungsanträge reichen Abgeordnete binnen zweier Monate zum Vorstoß Albrechts ein. Ein Teil davon übernimmt Eins zu Eins Wünsche von Lobbyisten. Dazu kommen grundlegende Bedenken der Mitgliedsstaaten: Großbritannien fürchtet den Verlust von Arbeitsplätzen statt den von Daten, Deutschland meint anderthalb Jahre nach dem Aufschlag Redings, dass es für eine Einigung noch zu früh sei. Die Kommissarin und der Unterhändler des Parlaments sorgen sich, dass ihr Prestigeprojekt scheitern könnte.

Mit den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 erhält das Reformvorhaben dann doch noch den dringend benötigten Rückenwind. Datenschutz ist auf einmal en vogue, um der überbordenden Überwachung des industriemilitärischen Komplexes wenigstens Steine in den Weg zu legen. Die Gespräche mit den sogenannten "Schattenberichterstattern" auch der großen Fraktionen laufen nun überaus geschmeidig, mit ungeahntem Tempo werden Kompromissvorschläge festgezurrt und im Oktober binnen weniger Minuten im federführenden Innenausschuss abgesegnet.

Hier endet die Dokumentation mit Sekt und Sandwiches, wie Albrecht überhaupt in fast jeder halbwegs privaten Szene beim Löffeln von Joghurt oder Knabbern von Müslistangen gezeigt wird. Zum Essen bleibt in dem "Kampfeinsatz" sonst offenbar wenig Zeit. Dieser geht freilich weiter: im Juni hat der EU-Rat doch noch seine Linie abgesteckt, mit der er aber mehrere essenzielle Datenschutzprinzipien aushebelte. Derzeit versuchen die Verhandlungsführer des Ministergremiums, des Parlaments und der Kommission, sich auf einen gemeinsamen Ansatz zu einigen und das Vorhaben bis Jahresende unter Dach und Fach zu bringen.

Gut gelingt es Bernet, dem die EU-Gremien erstmals erstaunlich offen über einen längeren Zeitraum einen Blick hinter die Kulissen gewährten, durch die Nähe zu den Protagonisten den Zuschauer in den sonst recht undurchsichtigen Politbetrieb in Brüssel und Straßburg einzubeziehen. Es wird erkennbar, wie dort Gesetze gemacht werden und was die unterschiedlichen Interessenvertreter antreibt. Man kann auch miterleben, unter welchen Unwegsamkeiten auf europäischer Ebene die Entscheidung über eine bedeutende Zukunftsfrage gefällt wird. Albrecht selbst malt das Bild eines "Riesentankers", der nur durch Gewichtsverlagerungen zu lenken sei.

Mit den monochrom gehaltenen Bildern will der Regisseur nach eigenen Angaben die Handlung nicht schwarzweiß malen, sondern die übliche EU-Fernsehästhetik der bunten Flaggen und Wimpel bei Limousinenvorfahrten konterkarieren. Auf Dauer wirkt die offenbar beabsichtigte Werbung für den Datenschutz so aber doch recht trist. Genauere Beobachter dürften zudem inhaltliche Tiefe vermissen, da es nur am Rande etwa um die Frage der Einwilligung in die Verarbeitung persönlicher Informationen geht und Grundsätze wie Zweckbindung und Datensparsamkeit außen vor bleiben. Wer sich im Kino in den von SWR und NDR koproduzierten Rausch der Bits und Bytes ziehen lassen will, muss noch bis 12. November warten. (jk)