Polymorph statt Polymer

Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat einen Kunststoff mit dreifachem "Formengedächtnis" entwickelt - ideal etwa für Gefäßprothesen oder Verschlüsse von Industrieanlagen.

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Von
  • Kevin Bullis

Ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftlerteam hat eine wandlungsfähige Polymer-Mischung entwickelt, die drei verschiedene Formen annehmen kann, je nachdem, welchen Temperaturen sie ausgesetzt wird.

Der verwendete Kunststoff hat dabei ein so genanntes Formengedächtnis: ein Material, das von einer Form in eine andere wechselt, wenn sich die Umgebungsbedingungen verändern - normalerweise sind dies jedoch nur zwei Formen. Eine Gruppe aus US-Forschern am MIT und ihren deutschen Kollegen am GKSS Research Center in Teltow schuf nun aber ein Material, das ein drittes Stadium beherrscht: "Das ist das erste Mal, dass man einen solchem Stoff von Form A nach Form B zu Form C bringen kann", erklärt Robert Langer, Professor für Chemieingenieurwesen am MIT, der an der Studie beteiligt war. In den vergangenen Jahren entwickelte sein Team bereits Wundnähte, die sich unter Lichteinfluss selbst schließen können.

In den "Proceedings of the National Academy of Science" beschreiben Langer und sein Team nun zwei Prototyp-Strukturen, die das neue Material verwenden. Der erste Prototyp ist eine flache Kunststoffröhre, die sich bei Erhitzung erweitert - sie hält dieses Stadiums sogar dann, wenn sie wieder abgekühlt wird. Bei nochmals höheren Temperaturen schrumpft die Röhre wieder schrittweise im Umfang. Eine mögliche Anwendung wäre eine Gefäßprothese, die sich öffnen lässt, wenn sie im Körper des Patienten sitzt - etwa in einer Arterie. Wird die Prothese nicht mehr benötigt, ließe sie sich erneut erwärmen, bis sie klein genug ist, um sich leicht entfernen zu lassen.

Der zweite Prototyp faltet sich auf und gibt dann zwei Ärmchen frei, die sich dann an Ort und Stelle verschließen. Dieses Design könnte sich etwa in der Fabrikation von Industrieanlagen dazu eignen, schwer erreichbare Bauteile miteinander zu verbinden, wie Studien-Coautor Andreas Lendlein, Chef des Instituts für Polymerforschung am GKSS Research Center in Teltow, erklärt.

Der Trick dabei klingt relativ einfach: Die Forscher nutzten zwei verschiedene Polymere mit eindeutigen Schmelzpunkten. Bei Raumtemperatur hält das Material seine erste Form. Wird es über eine bestimmte Temperatur hinaus erhitzt, werden Bereiche innerhalb des Materials weicher - die Zwischenform entsteht. Bei einer noch höheren Temperatur wird auch der Rest des Materials weich, so dass sich die endgültige letzte Form ergibt.

Obwohl das Entwicklerteam die Polymer-Mischung spezifisch für dieses Projekt entwickelt hat, glaubt Lendlein, dass sich das Grundprinzip für diverse andere Polymere eigne. "Für bestimmte Anwendungen muss man andere Materialien verwenden, die sich beispielsweise für die Verwendung im Körper eignen. Auch spielen die Kosten eine Rolle", sagt Lendlein. Der Wissenschaftler arbeitet nun mit dem Aachener Unternehmen mNemoscience zusammen, um die Technologie zu kommerzialisieren (mNemoscience ist ein Spin-off von MIT und RWTH Aachen).

Richard Vaia, ein Forscher in den amerikanischen Air Force Research Labs, sieht in der Arbeit ein Beispiel für einen neuen Trend zu immer komplexeren und leistungsfähigeren Materialien mit Formengedächtnis. Man sei von der einfachen Shrink-Wrap-Verpackung einen weiten Weg gekommen. Heute würden Nanopartikel verwendet, um die Kraftwirkung der Materialien zu erhöhen, wenn sie ihre Formen änderten. Forscher arbeiteten zudem an neuen Methoden, die Veränderungen einzuleiten - etwa Magnetfelder.

Der nächste Schritt bei alledem: Materialien, die sich nicht nur einmal verändern, sondern dies gleich mehrfach tun, also wieder in ihre alte Form zurückkehren können. Soweit sind Lendlein und Langer aber noch nicht.

Ăśbersetzung: Ben Schwan. (nbo)