Die Philanthropie-Maschine

Dazu baut er nicht nur ein neuartiges Gerät, sondern setzt auch auf ein neues Modell der Wohltätigkeit: Kontakte, Zeit, Einfluss und Know-How kommen vom Spender - das Geld aus der Steuerkasse.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Surowiecki

Die vor zwei Jahren auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erstmals präsentierte Idee von Nicholas Negroponte, Mitgründer und ehemaliger Präsident des MIT Media Lab, erfolgreicher Wagniskapitalgeber und Autor, klingt simpel : Alle Kinder in Entwicklungsländern sollen einen eigenen Laptop bekommen. Damit müsste sich das, was gewöhnlich als „digitale Kluft“ bezeichnet wird, in den Griff bekommen lassen, sagt Negroponte: Die Laptops würden Kinder rund um die Welt in die Lage versetzen, vom Internet zu profitieren und auf neuen Wegen gemeinsam zu lernen.

Negropontes gemeinnützige Organisation OLPC hat den Welt-Computer entworfen und einen Produzenten dafür gefunden. Kaufen aber wird sie ihn nicht: Das sollen die Regierungen übernehmen. Laut Negroponte wird es keine Produktion des Laptops geben, bevor er nicht fünf Millionen verbindliche Bestellungen erhalten hat. Die ersten 800 Geräte wurden zwar in diesem Herbst tatsächlich produziert. Aber jetzt müssen sie erst einmal eine Test-Tortur in fünf Ländern hinter sich bringen, um zu zeigen, was sie wirklich können.

Um sein ehrgeiziges Vorhaben zu finanzieren, belebt Negroponte ein Modell neu, das einst in den USA selbst zum Aufbau eines nahezu flächendeckenden Netzes öffentlicher Bibliotheken geführt hat: Andrew Carnegie, als Kind einer armen schottischen Einwandererfamilie, der in der Stahlindustrie ein Vermögen gemacht hatte so etwas wie die Verkörperung des amerikanischen Traums, gründete öffentliche Bibliotheken: Doch statt einfach alles selbst zu stiften, bot er den Städten eine großzügige Startfinanzierung unter der Bedingung an, dass sie später selbst für den Betrieb aufkommt. Daraus entstand die „Carnegie- Formel“, nach der sich der Beschenkte auf ein jährliches Budget für Dinge wie neue Bücher, Instandhaltung und Personal verpflichten musste, das einem Zehntel von Carnegies Spende entsprach. Auf diese Weise entstanden Bibliotheken, die nicht allein vom Großmut eines Spenders abhingen, sondern von der Bereitschaft der Gemeinden, den Zugang ihrer Bürger zu Wissen zu unterstützen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1919 hatte Carnegie 350 Millionen Dollar gespendet; 60 Millionen davon flossen in die Errichtung von etwa 2800 Büchereien, davon 2000 in den USA und 700 in Großbritannien.

Das Modell, auch als „Philanthropie mit hohem Engagement“ bezeichnet – analog zu Wagniskapitalgebern, die nicht nur Geld zur Verfügung stellen, sondern auch später direkten Einfluss auf das Vorgehen der Finanzierten nehmen - findet zunehmend Nachahmer. Negropontes OLPC-Projekt ist Teil dieser größeren Bewegung. Statt selbst zu spenden, gehört es zwar zu den Empfängern – Geld kommt unter anderem von Google und der News Corp. von Rupert Murdoch. Aber es ist ein hervorragendes Beispiel für die Anwendung von Geschäftslogik auf soziale Probleme. In bestimmter Hinsicht ähnelt OLPC sogar eher einem Unternehmen als einer Wohltätigkeitsorganisation: Es entwirft und vermarktet einen Laptop und überlässt seine Produktion Unternehmen, die damit Gewinn machen wollen.

Doch das Modell hat gleichzeitig einen immanenten Nachteil: In einer idealen Welt mit unendlich hohen Budgets wäre ein Laptop für jedes Kind eine feine Sache. Aber in der gar nicht so idealen Realität der Entwicklungsländer sind Millionen- oder gar Milliarden-Ausgaben für Computer ein Luxus, den sich keine Regierung leisten kann. Brasilien zum Beispiel hat ungefähr 45 Millionen Kinder im Schulalter; jedem einen Laptop zu kaufen würde 6,3 Milliarden Dollar kosten. Ist das Geld gut angelegt, wenn man bedenkt, dass viele Brasilianer in verzweifelter Armut leben? Als der indische Bildungsminister seinen ablehnenden Brief schrieb, argumentierte er genau so: „Dringender als schicke Werkzeuge brauchen wir Klassenzimmer und Lehrer“.

Doch das historische Beispiel zeigt: In den Nachkriegs-USA hätte Carnegie mit seinem Geld alles Mögliche anstellen können – in manchen Städten beschwerten sich tatsächlich Leute, dass ihr Steuergeld für Wichtigeres ausgegeben werden solle. Langfristig betrachtet aber wäre es schwer zu behaupten, dass Carnegie oder die Steuerzahler das Bibliotheken-Geld verschwendet hätten. Dafür sind die Vorteile von weit verbreitetem Wissen einfach zu groß. Ebenso könnte es ein Fehler sein anzunehmen, dass sich nur reiche Länder Technologie leisten können und dass ärmere sich lieber auf Grundlegendes wie Gesundheit und Wasser konzentrieren sollen. (wst)