Ungeheure Beschäftigungen

In der Debatte um angeblich gefährliche Computer-Spiele sollten die Politiker sich zurückhalten – so lange, bis die Faktenlage geklärt ist. Eine Analyse.

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Von
  • Sascha Mattke

Es ist fast schon ein Reflex: Wenn verzweifelte junge Menschen eine Bluttat begehen, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die von ihnen bevorzugten Medien. Das war so beim Highschool-Massaker von Columbine im Jahr 1999 (15 Tote), beim Amoklauf des Erfurter Schülers Robert Steinhäuser 2002 (17 Tote) und auch zuletzt in Emsdetten, wo ein waffenvernarrter Schüler sich selbst tötete und fünf andere Menschen schwer verletzte. Dabei geht die entsetzte Öffentlichkeit mit der Zeit: Nach Columbine wurden noch böse Musik (Marilyn Manson), böse Filme (Natural Born Killers) und böse Computerspiele (Doom) als Schuldige ins Feld geführt, drei Jahre später Filme (Fight Club) und Spiele (Half-Life) und beim jüngsten Fall nur noch Computerspiele (Counterstrike).

Bayerns Innenminister Günther Beckstein etwa forderte nach Emsdetten gleich ein schärferes Gesetz gegen die seit dem Erfurter Amoklauf sogenannten „Killerspiele“. Er will zusätzlich zu Herstellung und Vertrieb, wie es schon heute der Fall ist, den bloßen Besitz gewaltverherrlichender Spiele bestrafen. Es könne „überhaupt nicht ernsthaft bestritten werden, dass solche Killerspiele eine gegenüber Gewalt abstumpfende und für bestimmte labile Charaktere auch eine stimulierende Wirkung haben“, ließ er zur Begründung verlauten. Irgendwie, so könnte man meinen, ist den Erwachsenen einfach nicht geheuer, was die jungen Leute so treiben. Und wenn etwas passiert, ist das immer ein willkommener Anlass, die Zulässigkeit dieser Freizeitbeschäftigungen zu hinterfragen.

Wenn es doch nur so einfach wäre. Natürlich disqualifiziert Beckstein sich selbst, wenn er in aller Öffentlichkeit den Stand der Medien-Wirkungsforschung falsch wiedergibt. Eine kurze Recherche hätte dem Juristen zeigen können, dass die von ihm behaupteten Zusammenhänge sehr wohl ernsthaft bestritten werden: Die wissenschaftliche Literatur hält Belege für die volle Bandbreite von Vermutungen bereit – von Aggressionsabbau durch gewalttätige Spiele über das Ausbleiben jeder Veränderung bis hin zu gesteigerter Aggressivität. Und natürlich haben diejenigen Spiele-Verteidiger recht, die darauf hinweisen, dass ein gut betreuter Jugendlicher nicht Amok laufen will, dass er es bei konsequenteren Waffenkontrollen gar nicht könnte und dass die allermeisten Killer-Spieler im echten Leben ganz friedliche Menschen sind.

Trotzdem ist die Idee, dass Kriegsspiele in der Ich-Perspektive („Ego-Shooter“) die Hemmschwelle zum Waffeneinsatz in der echten Welt senken, ja nicht abwegig. Und Beckstein hat recht, wenn er sagt, dass eine Strafbewehrung die Verbreitung dieser Spiele wenn „nicht zu 100 Prozent“, so doch „deutlich“ einschränken dürfte. Wenn sich dadurch auch nur ein einziges Menschenleben retten ließe, wäre eine Gesetzesverschärfung gerechtfertigt. Aber festzustellen, ob ein solcher Zusammenhang wirklich besteht, ist immer noch die Aufgabe von Wissenschaftlern und nicht von Politikern. Statt wilde Behauptungen in die Welt zu setzen, sollten Beckstein und seine Freunde von der Verbieter-Fraktion schleunigst belastbare Studien in Auftrag geben – mit dem klaren Ziel herauszubekommen, welche Art von Spielen wirklich problematisch ist.

Wenn sich der Verdacht erhärten und konkretisieren lässt, dürften selbst die meisten Gamer, die sich derzeit angesichts pauschaler Verurteilungen zu Recht ungerecht behandelt fühlen, mit Verboten einverstanden sein. (nbo)