Ein Land von Bit-Bastlern
Eine vom Bundesforschungsministerium beauftragte Studie bescheinigt deutschen Software-Unternehmen Planlosigkeit beim Hervorbringen von Innovationen und mangelnde Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
- Christiane Schulzki-Haddouti
Die vom Bundesforschungsministerium beauftragte Studie „Innovationsverhalten deutscher Software- Entwicklungs-Unternehmen“ stellt der deutschen Softwareindustrie ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Diese sei weit davon entfernt, „in einem nachweisbaren Umfang echte Innovationen über einen einigermaßen gezielten Prozess entwickeln zu können.“ Die von der Schüngel/Holl Projektentwicklung GbR durchgeführte Studie untersuchte Innovationsverhalten und -kultur, die Erschließung neuer Produktsegmente, den Einfluss von Software-Engineering-Kompetenz auf die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Produkten sowie den Einfluss von Freier/Open-Source-Software auf Innovationsaktivitäten. Dafür wertete sie eine Umfrage unter rund 500 Unternehmen aus dem Herbst 2005 aus.
Das ernüchternde Fazit: Deutsche Softwareunternehmen bringen zwar zahlreiche Innovationen hervor, doch dies geschieht überwiegend zufällig und organisatorisch kaum flankiert. Außerdem werden diese nicht durch herkömmliche Formen von Marketing und Vertrieb begleitet. Traditionelle Unternehmen seien vergleichsweise sogar innovativer, insofern Software-Entwicklungfirmen Innovationen eher „geschehen“ lassen als dass sie versuchen, sie in einem geplanten und strukturierten Prozess herauszuarbeiten oder zumindest zu befördern. Der Weg der Forschung in die Software-Entwicklungs-Unternehmen scheint trotz aller Bemühungen von Technologietransferstellen nicht in die richtige Richtung gegangen zu sein. Die Autoren der Studie stellen fest: „Eine wirkungsvolle Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist hier nach unserer Erhebung in keinster Weise gelungen.“
90 Prozent der Softwareproduzenten in Deutschland kommen aus kleinen Unternehmen mit weniger als 10 Personen. Fast 50 Prozent der Unternehmen bestehen nur aus einer Person. In den kleinen Unternehmen fehlt das Innovationsmanagement, Entwicklungsprozesse seien wenig ingenieurmäßig und das Qualitätsempfinden und -bewusstsein sei mangelhaft. Qualitätsmanagement spielt nur in 30 Prozent der Unternehmen eine Rolle. Die Mehrheit begnügt sich damit, dass ihre Software funktionell soweit wie möglich richtig arbeitet und die notwendigen Berechnungen korrekt durchführt. In Unternehmen ab 20 Beschäftigten werden Qualitätsprozesse meist durch entsprechende, modulare Strukturen unterstützt. In großen Teilen fand die Studie eine ausschließliche Einprodukt-Landschaft vor. Nur etwas mehr als 40 Prozent der Unternehmen wollen als strategisches Ziel ihr Produktportfolio erweitern.
Informatiker werden in den Unternehmen eher nachrangig beschäftigt. Die Qualifikation der Mitarbeiter entstammt eher den Anwendungsbranchen. Die Software-Entwicklungskompetenz der Beschäftigten beruht daher oft nicht auf einer fundierten formalen Ausbildung. Nur große Unternehmen betreiben Weiterbildungsmaßnahmen in nennenswerter Weise. Zwar stimmen die Befragten zu 85 Prozent einem notwendigen Einsatz von Software-Engineering zu, doch die praktische Umsetzung wird in den meisten Fällen nur sehr begrenzt damit in Verbindung gebracht.
Bei der Dokumentation der Quellcodes etwa, einer der Grundlagen jedes Software-Engineering, stellte die Studie fest, dass so genannte „persönliche Standards“ zu fast 40 Prozent Verwendung finden. Damit kann zum einen jeder im Prinzip die Dokumentation so umsetzen wie er möchte, zum anderen kann eine Qualitätsprüfung oder ein codebasierter Test eigentlich nicht stattfinden.
Die Autoren folgern daraus: „Solange Qualität in der Software-Entwicklungsbranche kein Produkt eines gezielten ingenieurmäßigen und betriebswirtschaftlichen Prozesses ist und Kunden dies als gegeben hinnehmen, bleibt der „Zwang“, sich auf die Bedingungen des Software- Engineering einzulassen, relativ „begrenzt“.“
In einer Metastudie zeigt die Untersuchung, dass die Open-Source-Bewegung häufig überschätzt wird. Dafür wertete sie über 800 relevante Arbeiten aus. Erst in den letzten Jahren konnte Open Source eine echte Alternative zu kommerziellen Entwicklungen bieten. Auch künftig wird sie den Softwaremarkt nicht allein abdecken können, so etwa im Bereich Unternehmenssoftware.
Die traditionell herausgestellten Vorteile wie Sicherheit, geringere Fehleranfälligkeit oder Anpassbarkeit sind nur bei wenigen Produkten wie etwa LINUX mit einer großen Community realisierbar. Gleichwohl haben die sich daraus entwickelnden veränderten Marketingstrukturen erhebliche Relevanz für die Unternehmen. Wesentlich sind die organisatorischen Strukturen von Open-Source-Projekten.
Die Software-Entwicklungsbranche steht aufgrund ihrer Struktur vor einem Dilemma: So müssen auf einem hoch dynamischen Markt auch die kleinen und kleinsten Unternehmen mittelfristig innovative Erneuerungen schaffen. Sie können aber selbst für eine Anpassungsentwicklung oder ein grundsätzliches Re-Engineering vielfach nicht über die notwendigen internen Ressourcen verfügen. „Zumindest längerfristig wird diese Situation zu einer Marktbereinigung führen“, folgern die Autoren der Studie. Dies dürfte jedoch die meisten Unternehmen nicht irritieren. So ist ihre Unternehmenspolitik meist nicht auf einen dauerhaften Erhalt der Unternehmen am Markt ausgerichtet, sondern zielt mittelfristig auf den Verkauf der Firma.