Digg kontra Schummler

Das "Social Media"-Angebot Digg hat immer häufiger mit Nutzern zu tun, die versuchen, ihre eigenen Inhalte trickreich ganz vorne auf die Homepage zu bringen. Die Trickser bekämpft die Seite inzwischen mit erstaunlich fortschrittlichen Methoden.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kate Greene

Erfolg bringt manchmal auch Probleme. Diese Lektion muss inzwischen auch das populäre "Social Media"-Nachrichtenangebot Digg lernen, wo sich regelmäßig rund 850.000 registrierte Nutzer tummeln. Diese schicken Links zu Neuigkeiten an die Seite, bewerten ("diggen") und kommentieren sie – nicht nur aus dem Bereich Technologie, sondern inzwischen zu nahezu jedem Themengebiet. Ist ein Link beliebt, schafft er es auch auf die Homepage des Angebots – und die entsprechende Seite bekommt dadurch jede Menge neue Leser.

Die Herausforderung dabei: Unerwünschte Inhalte wie Spam sollen möglichst vermieden werden und der Bewertungsprozess demokratisch ablaufen. Es gibt allerdings inzwischen immer mehr Digg-Nutzer, die versuchen, das System auszutricksen: Sie nutzen eigentlich verbotene Methoden, um ihre eigenen Seiten auf die Digg-Homepage zu holen. Die Motivation variiert dabei: Einigen Schummlern geht es nur um "Berühmtheit" im Netz, andere wollen wiederum einfach Geld durch viele Besucher verdienen. Denn: Ein Artikel, der es auf die Digg-Homepage schafft, erhält normalerweise zahlreiche Seitenabrufe, was sich mit Werbung (zumindest theoretisch) profitabel ausnutzen lässt.

Die Digg-Trickser nutzen dabei verschiedene Methoden. Einige Nutzer erstellen zahlreiche gefälschte Accounts und setzen dann auf spezielle Roboter-Software, die Artikel automatisch "diggen". Eher amateurhaft klingt hingegen eine andere Methode, die bereits öfter vorkam: Neue Digg-Nutzer setzen ein erlogenes Interview mit einer berühmten Persönlichkeit auf ihre frisch gestartete Seite und hofften, mit einem Digg-Link Besuchernachfrage zu generieren.

Um die Schummeleien zu verhindern, bietet Digg seinen Usern die Möglichkeit, das Verhalten anderer Nutzer zu beobachten – so kann man nachsehen, wer welchen Link eingereicht und "gediggt" hat. Erhält eine Geschichte besonders viele "Diggs" von Personen mit frisch angelegten Accounts, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass hier jemand unfair spielt. Sieht ein Nutzer so etwas, kann er einen Artikel "begraben" ("bury") – tun das genügend Digg-User, verschwindet er von der Startseite.

Verdächtige Aktivitäten werden aber auch von der Seite selbst ermittelt. Sie kann dabei auf ein umfangreiches Archiv älterer Nutzungsdaten zurückgreifen, aus der sich Verhaltensmuster herauslesen lassen. "Wir haben jetzt mehr als zwei Jahre Erfahrung mit dem Dienst und können eine statistische Analyse betreiben, was legitime Inhalte sind und was nicht", erklärt Digg-Gründer Kevin Rose. Insgesamt 1,2 Millionen Links sind in diesem Zeitraum eingegangen – bei 50 Millionen "Diggs". Laut Rose besitzt die Seite so ein gutes Verständnis dafür, wie die Dinge normalerweise ablaufen.

Doch das Erkennen von Mustern in einer gigantischen Menge an Nutzerdaten ist nicht gerade einfach. Werkzeuge zur Visualisierung müssen her, um verdächtige Aktivitäten schneller zu erkennen. "Wir repräsentieren die Nutzung einfach grafisch. So lassen sich Muster sehen, die man auf anderen Wegen gar nicht erkannt hätte", erklärt Eric Rodenbeck, Gründer von Stamen. Die Firma erstellt die speziellen Werkzeuge, die Digg in den so genannten "Digg Labs" bereitstellt – aktuell sind dies "Digg Stack" und "Digg Swarm". Diese Tools zeigen das Nutzerverhalten in Echtzeit grafisch an und helfen den Usern gleichzeitig, interessante Links auf neue Weise zu entdecken.

Digg Swarm sei ein gutes Beispiel dafür, wie diese Visualisierung funktioniere, sagt Rodenbeck. "Die Visualisierung zeigt einem zwar nie wirklich alles, kann aber Muster darstellen, die einem Hinweise darauf geben, wo man weitersuchen sollte."

Die visuelle Karte, die bei Stamen entwickelt wurde, biete so eine neue Perspektive auf das Verhalten der Digg-Nutzer. Auf der horizontalen Achse sind die Digg-Benutzer dargestellt, die neuesten Mitgliedern ganz rechts, die ältesten ganz links. Einzelne Artikel werden auf der Vertikalen dargestellt, die neuesten unten, die ältesten oben. Jeder Punkt auf der Karte repräsentiert dann einen einzelnen "Digg", rote Punkte den jeweils ersten.

Daraus lassen sich schnell bestimmte Verhaltensmuster erkennen. Eine unterbrochene horizontale weiße Linie zeigt beispielsweise einen Artikel an, der auf der Homepage stand und einige "Diggs" von einigen Nutzern erhielt. Eine unterbrochene vertikale weiße Linie kann aber auf Schummeleien hindeuten: Sie zeigt, dass ein einzelner Nutzer eine große Anzahl von Geschichten "diggt" – sowohl neu eingestellte als auch alte, und zwar in schneller Folge. Es sei unmöglich, dass eine Einzelperson derart viele "Diggs" für derart viele Geschichten vornehme, glaubt Rodenbeck. Daher sei wesentlich wahrscheinlicher, dass diese Diggs von Software-Robotern stammten, die künstlich bestimmte Geschichten nach vorne bringen sollten.

Dargestellt werde allerdings immer nur ein Teilaspekt, erklärt Rodenbeck. Deshalb würden der Karte künftig weitere Parameter hinzugefügt. Darstellen lassen sich die Daten dann auch mit den jüngsten Aktivitäten einzelner Nutzer, ihrer Anzahl an "Freunden" und anderen Faktoren. Auch so ergeben sich interessante Muster. "Dadurch erhalten wir nicht nur ein tieferes Verständnis dafür, was derzeit im Digg-Ökosystem passiert. Es ergeben sich ganz neue Fragestellungen", glaubt Rodenbeck.

Bislang hat die Kombination aus Nutzerkontrolle und Daten-Visualisierung recht gut geklappt – die Schummler sind bei Digg noch immer in der Minderheit. Obwohl es keine entsprechenden Statistiken gibt, glaubt Rose nicht, dass es Außenstehenden gelungen sei, die Seite erfolgreich zu kontrollieren. Wird ein Nutzer beim Schummeln erwischt, erhält er zunächst eine Warn-E-Mail. Erfolgt ein zweiter Fehltritt, wird er ausgeschlossen.

Rodenbeck meint, dass eine clevere Visualisierung auch künftig beim Auffinden von Schummlern helfen kann. "Das Problem wird damit zwar nicht vollständig gelöst werden. Aber immerhin können wir Trickser so schneller erkennen. Darin liegt der Wert."

Übersetzung: Ben Schwan. (wst)