Maschinenraupen
US-Forscher entwickeln eine neue Generation von Robotern, die sich an biologischen Vorbildern orientieren. Mit elastischen HĂĽllen und Muskeln aus Polymeren sollen sie flexiber und belastbarer sein als heutige Roboter.
- Denis Dilba
Sie könnten sich durch Schlüssellöcher pressen, unter verschlossenen Türen von Raum zu Raum kriechen - oder einfach die senkrechte Hauswand hochklettern und sich dann durch einen Fensterspalt winden. Kaum ein Weg bliebe solchen Spionen versperrt. Ohne steife Gelenke und Metallverbindungen sei eine Miniatur-Version seiner Roboter auch für den medizinischen Einsatz innerhalb des menschlichen Körpers prädestiniert, sagt Barry Trimmer. Was der Biologe an der Tufts University in Boston, erzählt, hört an sich wie krude Science Fiction. Doch so lange werden diese Szenarien nicht mehr auf sich warten lassen, ist der Wissenschaftler überzeugt, der zusammen mit seinem Kollegen David Kaplan das Biomimetic Technologies for Soft Bodied Robots Project leitet.
"Konventionelle Roboter können zwar äußerst schnell, stark und leis-tungsfähig sein, sind aber vor allem durch ihre steife Bauweise und ihre Unflexibilität in ihren Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt", sagt Trimmer. Die grundlegenden Bausteine eines lebenden Systems hingegen seien weich und elastisch, auch wenn sie zuweilen harte Elemente, wie Knochen oder Horn, aufweisen. Das sei ein ideales Konzept: Mit der Effizienz der Bewegung eines Tieres durch unwegsames Gelände kann sich bisher noch keine Technologie messen. "Weichere, flexiblere Materialien sind der Schlüssel zu neuen leistungsfähigeren Robotern", so Trimmer.
Vorbild für diese neue Roboter-Generation ist die Raupe des Tabakschwärmers (Manduca sexta). Bereits seit mehr als zehn Jahren untersucht Trimmer die Larve dieses Insekts. Aber erst in den letzten drei Jahren konnte er entschlüsseln, wie die Raupe ihre rund 2000 Muskeln beim Kriechen und Klettern koordiniert: Einzelne Zellen im Gehirn sind für je eine bestimmte Fortbewegungsform verantwortlich. "Das Tier hat keine Knochen oder Gelenke und kann seinen Körper stauchen, biegen und in jede Richtung drehen", sagt Trimmer. "Und das, obwohl das Gehirn nicht sehr kompliziert aufgebaut ist und sehr wenige Neuronen aufweist."
Die Steuerung eines Roboters, der ähnlich aufgebaut ist wie eine solche Raupe, sei trotzdem eine enorme Herausforderung. Man arbeite zusammen mit Auke Ijspeert von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, einem Experten auf dem Gebiet der Bewegungskoordination von Robotern, so Kaplan. In ihre Soft Bodied Robots soll ein System eingebaut werden, dass aus gekoppelten nichtlinearen Oszillatoren besteht, die künstliche Muskeln aus Formgedächtnislegierungen anregen.
"Die Mechanik ist zwar vergleichsweise komplex", sagt Ijspeert, "aber erste Experimente haben gezeigt, dass ein einzelner elektronischer Impuls ausreicht, um eine kontinuierliche Wellenbewegung zu erzeugen." Jetzt arbeite er daran, Impulsmuster zu finden, die komplexere Bewegungen erzeugen können.
Die Außenhülle des aktuellen Prototyps besteht aus so genannter "Dragon Skin", einem extrem widerstandfähigen Silikonelastomer, der normalerweise nur für schusssichere Westen eingesetzt wird. Um diese Hülle weiter zu optimieren, erforscht Kaplan wie Spinnen oder Sei-denraupen ihre Netze und Kokons aus flexiblen, aber äußerst belastbaren Fäden knüpfen. "Das Prinzip wollen wir dann auch für unsere Roboter an-wenden", sagt der Experte für Biopolymere.
Einige der Roboter-Raupen kriechen schon durch die Laborräume der beiden Wissenschaftler. Damit die Forscher noch schneller vorankommen und gleichzeitig mehr Prototypen mit verschiedenen Materialien und Antriebsprinzipien testen können, setzen sie seit einigen Wochen einen Rapid Prototyper ein. Diese Maschine produziert Elastomerhüllen mit unterschiedlichen Materialspezifikationen, indem es das Material Schicht für Schicht übereinander aufträgt bis die gewünschte 3D-Struktur erzeugt ist.
"Neben dieser Hardware setzen wir natürlich ein Simulationsmodell ein", sagt Barry Trimmer. "So können wir schon im Voraus die viel-versprechendsten Ansätze herauspicken und nach diesen dann die Prototypen bauen."
Das nächste Ziel sei jetzt eine Roboter-Raupe zu bauen, die sich auf ebenen Untergrund problemlos fortbewegen und einen Ast erklimmen kann. Das wäre ein bemerkenswerter Schritt für uns, sagt Trimmer. Vor 2008 sei damit allerdings nicht zu rechnen. In Zukunft, so hoffen die Wissenschaftler, werde man ihre Entwicklung in den unterschiedlichsten Größenabstufungen sehen.
Wegen ihrer guten Klettereigenschaften könnten die Soft-Bots zur Reparatur von Raumstationen eingesetzt werden – vor allem aber dort, wo es für den Menschen zu gefährlich wird, etwa in Kernkraftwerken. "In 20 bis 30 Jahren werden solche Roboter eine Schlüsselrolle spielen", schätzt auch Antonia Kesel, Leiterin des Studiengangs Bionik an der Hochschule Bremen. Die Entwicklung solcher flexiblen, steuerbaren Materialien werde dann auch den Aufbau von gewöhnlichen Robotern verändern.
Was für Trimmers Vision spricht: Die künstlichen Raupen können schon jetzt vergleichsweise günstig produziert werden. "Man könnte sie sogar recyclebar machen", sagt Trimmer. Aber bis zur Serienproduktion, werden noch einige Jahre Entwicklungsarbeit erforderlich sein. "Wenn man bedenkt, dass die Natur 300 Millionen Jahre Zeit zum Optimieren hatte", sagt Trimmer, "stehen wir nach drei Jahren schon extrem gut da." (nbo)