Fernsehen 2.0?

Der neue Internet-TV-Dienst Joost will möglichst schnell zu einer wichtigen Online-Vertriebsplattform für Fernsehprogramme werden. Zuvor gilt es allerdings, einige praktische Probleme zu lösen.

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Von
  • Brendan Borrell

Die Skype-Gründer Niklas Zennström und Janus Friis haben eine neue Aufgabe gefunden: Nach dem weltweiten Erfolg mit der Internet-Telefonie-Software und dem anschließenden Verkauf an eBay wollen sie nun das Netz zu einer globalen TV-Vertriebsplattform machen, bei der die Zuschauer ähnlich schnell zwischen den angebotenen Sendungen wechseln können, wie sie dies von einem ganz normalen Fernseher her kennen. Die neue Video-Plattform namens Joost, die zuvor unter dem Projektnamen "Venice" lief, befindet sich derzeit im geschlossenen Beta-Test und soll in einigen Monaten der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

"Was wir hier machen, ist der nächste logische Schritt im TV-Markt", glaubt Joost-Technikchef Dirk-Willem van Gulik. Joost kombiniere das Beste aus der unvernetzten Fernsehwelt mit den "On-Demand"-Vorteilen des Internet. Der Dienst sei mehr als nur ein neuer Weg, Videos online auszutauschen.

Stattdessen sollen die Nutzer dank Joost künftig verzögerungsfreie Vollbild-Sendungen ansehen können, statt die Briefmarken-Ruckelbilder der Konkurrenz zu ertragen. Ebenfalls integriert sind eine Suche und eine Empfehlungsfunktion. Zudem setzen die Joost-Macher laut van Gulik auf die Hilfe der Internet-Gemeinde: Diese soll auch eigene Plug-In-Programme für die Plattform entwickeln können. Der Joost-Dienst selbst soll kostenlos sein, allerdings pro Stunde mindestens eine Minute zielgerichtete Werbung enthalten.

Internet-Fernsehen (IPTV) interessiert viele Entwickler bereits seit den Anfangstagen des Web - obwohl es erst jetzt richtig los zu gehen scheint. Im vergangenen März zog der Webcast einer bekannten US-Sportveranstaltung beim Sender CBS fast 250.000 gleichzeitige Zuschauer an. Allerdings mussten zwischenzeitlich 140.000 Interessierte in einem digitalen "Warteraum" Platz nehmen, weil die Bandbreite nicht ausreichte.

Damit solche Probleme nicht mehr auftreten können, setzte Joost auf ein hybrides Peer-to-Peer-Modell (P2P). Dieses wurde von Zennström und Friis bereits bei Skype und zuvor bei ihrer Musikbörse Kazaa verwendet (wenn auch in vereinfachter Form). Bei Joost kommen die Inhalte zunächst von zentralen Servern, die in Luxemburg stehen. Je mehr Nutzer zuschalten und die gleichen Inhalte abfragen, desto stärker verlagert sich die Inhalteauslieferung auf die Joost-Verwender, die die Sendungen dann mittels P2P-Verfahren untereinander weiterreichen.

Die Effizienz dieses Systems steigert sich, je mehr Nutzer mitmachen. Im Gegensatz zu P2P-Netzen wie BitTorrent, bei denen man zunächst auf langwierige Downloads warten muss, bietet Joost "instant gratification": Egal wo man auf der Welt auch seinen Breitbandanschluss hat - es soll immer weniger als fünf Sekunden dauern, bis ein Kanal gewechselt ist.

"Wir haben unser P2P-System so fein abgestimmt, dass es Videos enorm effizient ausliefern kann - nahezu in Echtzeit", erklärt van Gulik. Zuvor wird das Signal allerdings im H.264-Format stark komprimiert - bis zu 10 Stunden dauert dies für eine einzige Stunde Video.

Ben Zhao, Computerwissenschaftler an der University of California in Santa Barbara, hat auf eine solche Technologie schon lange gewartet: "Wir wussten, dass sie kommt." In Forscherkreisen habe man solche Systeme bereits vor fünf oder sechs Jahren skizziert: "Was uns aber fehlte, war die praktische Umsetzung des Ganzen - von einem schwer zu benutzenden Forschungsprojekt hin zu einer leicht bedienbaren Oberfläche für alle." Bis zu 90 Prozent des Codes in Joost stammt denn auch aus dem Open-Source-Bereich. Es seien jedoch die letzten proprietären 10 Prozent, die "den wirklichen Unterschied ausmachen", wie van Gulik meint.

Joost versteht sich bewusst als ein Dienst der neuen Generation. Auch Skype sei nicht das erste Voice-over-IP-Produkt gewesen. "Aber damals fehlte einfach etwas. Alles, was Skype tat, war bestehende Technologien ordentlich zu verpacken und sie leicht verwendbar zu machen", sagt van Gulik. Das gleiche solle nun auch für Joost gelten: "Was wir tun, ist nichts wirklich Besonderes. Wir machen die Sache nur enorm einfach."

Josst konkurriert mit den bereits zahlreich im Netz vertretenen Video-Diensten. Das beginnt beim Branchenprimus YouTube mit seinen zahlreichen Kurzfilmen und endet noch lange nicht bei Online-Videotheken wie Netflix, die in den USA zunehmend populärer werden und inzwischen auch Filme zum direkten Download anbieten. Gleichzeitig interessieren sich auch die ersten Internet-Provider für diesen Markt - beispielsweise Kabel-TV-Netzbetreiber wie Time Warner in den USA oder die Deutsche Telekom mit T-Home in Deutschland.

Damit Joost ein Erfolg wird, müssen noch einige praktische Probleme gelöst werden - technische wie wirtschaftliche. So sind P2P-Dienste vielen Providern schon länger ein Dorn im Auge, weil sie die Bandbreitenausnutzung deutlich erhöhen und "Flatrate"-Modelle, die vor allem mit Wenignutzern Geld verdienen, auf den Kopf stellen. Andererseits könnten Joost-Fans wiederum das Verlangen nach insgesamt mehr Bandbreite spüren, was sie dann womöglich zu teureren DSL-Tarifen treibt.

Zu klären ist außerdem das Piraterieproblem. Joost muss den Medienkonzernen erst beweisen, dass es sich um eine sichere Plattform handelt, die Raubkopien verhindert. Immerhin hat Joost ein Standardproblem von YouTube und Co. nicht: Die Plattform bietet keine Möglichkeiten für die Nutzer, eigene Inhalte hochzuladen - mittels P2P verteilen sie nur ein von Joost vorgegebenes (und verschlüsseltes) Videosignal.

Die Medienkonzerne fürchten nun unter anderem, dass es Joost-Nutzern gelingen könnte, die Plattform so zu "hacken", dass sie eigene Dateien anbieten könnten. Ein anderes Problem: Joost muss verhindern, dass das eigene Programm illegal mitgeschnitten und weitergegeben wird. Aktuell sieht Joost nämlich keine Aufnahmen vor: Die Nutzer können Inhalte zwar "on demand" betrachten, sie aber nicht auf ihrem PC speichern. Da Joost aber sowieso kostenlos ist, wird das Umgehen dieses Speicherverbots aber womöglich nur wenige interessieren.

Aktuell hängt die Zukunft von Joost vor allem davon ab, welche Inhalte die Firma lizenzieren kann und ob diese für Werbetreibende auch attraktiv sind. Die bekanntesten aktuellen Partner sind der Dokumentationskanal National Geographic und der Gameshow- und TV-Formate-Spezialist Endemol. Daneben wollen auch IndieFlix, Indy Racing League, Gamestar, North One und September Films Inhalte liefern.

Man habe sich viel vorgenommen, gibt van Gulik zu: "Wir versuchen hier nicht jeweils einzeln, Inhalte, Werbeverkauf und Finanzierung anzugehen. Stattdessen kommt alles gleichzeitig auf uns zu." Spielgeld genug hat Joost allerdings: Das stammt zum Teil aus dem Skype-Verkauf. (nbo)