Fake-Accounts: Wikipedia enttarnt Sockenpuppen-Netzwerke

In der englischen Wikipedia wurden 381 Accounts gesperrt, die Artikel auf Bestellung schrieben. Deutsche Wikipedianer fanden ein ähnliches Netzwerk.

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(Bild: wikipedia.org)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Ein Wikipedia-Eintrag ist für viele das ultimative Mittel zur Selbstdarstellung. Er vermittelt Seriosität – zudem übernehmen viele Nutzer die Angaben aus der Online-Enzyklopädie, ohne sie zu hinterfragen. Daher müssen sich die freiwilligen Wikipedia-Mitarbeiter mit einem ständigen Strom von Möchtegern-Prominenten und -Branchengrößen herumschlagen, die Artikel über sich verfassen oder sich selbst als Experten in anderen Artikeln zitieren wollen.

Das nun entdeckte Orangemoody getaufte Netzwerk hat sich offenbar auf Selbstdarsteller spezialisiert, die bereits an den Relevanzkriterien oder dem neutralen Benutzerstandpunkt der Wikipedianer gescheitert waren. Eine Gruppe von Wikipedianern hat das Vorgehen über Wochen untersucht und ein Muster ausgemacht: Die Schreiber des Netzwerkes überarbeiteten zunächst abgelehnte Entwürfe, um sie zumindest auf den ersten Blick wie legitime Wikipedia-Artikel wirken zu lassen. Daraufhin kontaktierten sie die Personen, die sie hinter dem ursprünglichen Entwurf vermuteten.

Diesen machten sie ein Angebot: Gegen Zahlung einer Gebühr könne der Artikel dauerhaft in die Wikipedia aufgenommen werden. Die bisher unbekannten Täter gaben sich demnach als erfahrene Wikipedia-Autoren oder gar als Administratoren aus. Die hatten jedoch nichts mit dem Geschäft zu tun. Wenn der Artikel im normalen Artikelraum aufgenommen worden war, verlangten die Hintermänner zusätzliche Gebühren für den Schutz und die Pflege des Artikels.

Die Personen hinter Orangemoody hatten offenbar viel Erfahrung mit Wikipedia. So haben sie über die benutzten Accounts erst einmal irrelevante Änderungen gesammelt, um als vollwertige Wikipedia-Autoren zu gelten. Somit konnten die Accounts ihre Änderungen auch gegenseitig verifizieren und damit eine Schwelle unterlaufen, die Wikipedia gegen Spammer und Trolle errichtet hatte. Das Treiben wurde erst bekannt, als sich Kunden beschwerten, dass ihre Artikel trotz Bezahlung gelöscht oder geändert wurden. Auch die Wikimedia Foundation schaltete sich ein. Eine Checkuser-Abfrage, bei der unter anderem die IP-Adressen der benutzten Accounts abgefragt wurden, brachte den Wikipedianern Gewissheit, dass sie es mit einem organisierten Netzwerk zu tun hatten.

Um das Geschäftsmodell zu zerstören, haben die Wikipedia-Autoren über 200 Artikel gelöscht – den Auftraggebern soll klar gemacht werden, dass sie sich keine Wikipedia-Artikel kaufen können. Hierbei soll es sich aber nur um einen Teil der Aktivitäten des Orangemoody-Netzes gehandelt zu haben. Wikipedia-Autoren sind nun aufgerufen, die Beiträge der mutmaßlich bezahlten Accounts zu durchforsten und werbliche Inhalte zu entfernen. Für Hinweise auf die Verantwortlichen und Nachfragen haben die Wikipedianer eine E-Mail-Adresse eingerichtet.

Im Juli wurden in der deutschen Wikipedia ebenfalls ein Netzwerk entdeckt, das offenbar dazu benutzt wurde, Links auf bestimmte Webseiten in Wikipedia-Artikeln unterzubringen. Zwar hatte auch dieses Netzwerk über Tarn-Accounts gearbeitet, war aber deutlich weniger ausgefeilt als das Orangemoody-Netzwerk.

Bezahlte Schreiber sind in der Wikipedia schon seit langem verpönt. Ende 2013 eskalierte der Streit mit der Firma Wiki-PR, die ebenfalls Fake-Accounts – oder Sockenpuppen – eingesetzt haben soll, um Artikel für ihre Klienten zu schreiben. Die Wikimedia-Foundation verbot der Firma daraufhin, in der Online-Enzyklopädie tätig zu sein und drohte mit rechtlichen Schritten. Bezahlte Mitarbeit an Wikipedia-Artikeln ist nicht generell verboten, aber an enge Voraussetzungen gebunden. So müssen die Autoren ihren Interessenkonflikt deutlich machen. Vor einem Jahr hatten sich große PR- Firmen dazu verpflichten, die Transparenzpflichten auf der Wikipedia zu erfüllen. Es finden sich aber immer wieder insbesondere kleine Agenturen, die gegen diese Regeln verstoßen. (anw)