Die Suche nach dem richtigen Dreh

Die Spintronik gilt als eine der Alternativen, die die heutige Halbleiterelektronik ablösen könnten. Zwei neue Forschungsarbeiten liefern nun wichtige Hinweise für den Bau eines künftigen Spin-Transistors.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Auch die größten Erfolgsgeschichten haben ein Ende. Da ist die Prozessortechnik keine Ausnahme: Die seit den sechziger Jahren anhaltende Miniaturisierung von heutigen Silizium-Transistoren steuert unaufhaltsam auf physikalische und technische Grenzen zu. Mit einigen Kniffen kann die Halbleiterindustrie den Tag X zwar hinauszögern, doch irgendwann müssen grundlegend neue Technologien her, um die Leistungsfähigkeit von Chips weiter steigern zu können wie bisher. Während etwa die noch junge Nanoelektronik Schaltkreise auf der Basis von Molekülen anpeilt, setzt ein anderer Ansatz darauf, die Elektronen in Silizium-Transistoren geschickter zu nutzen: Nicht ihre Ladung, sondern die quantenmechanische Eigenschaft des Spins soll Träger des Informationsflusses werden.

Diese so genannte Spintronik hätte den Vorteil, dass im Wesentlichen ähnliche Bauelemente wie heute genutzt, deren Energieverbrauch und Wärmeabgabe aber deutlich reduziert werden könnten. Noch steht die Spintronik allerdings am Anfang. „Drei Probleme müssen gelöst werden", sagt Gian Salis, Physiker und Spintronik-Experte am IBM-Forschungslabor Rüschlikon. „Wie injiziert man spinpolarisierte Elektronen in den Transistor, wie manipuliert man die Ausrichtung der Spins, und wie liest man die Ausrichtung der Spins wieder aus?" Zwei Arbeiten, die das Wissenschaftsjournal Nature Physics publiziert hat – darunter eine von Salis und Kollegen bei IBM sowie an der ETH Zürich –, liefern für die ersten beiden Fragen nun viel versprechende Hinweise.

Die „Spinpolarisierung" ist das grundlegende Phänomen, auf dem die Spintronik aufbaut. Der Spin eines Elektrons – oder eines anderen Elementarteilchens – kann nach den Gesetzen der Quantenmechanik zwei verschiedene Zustände einnehmen: Er kann wie ein imaginärer Pfeil nach „unten" oder nach „oben" zeigen, wie es im physikalischen Jargon heißt (diese Bezeichnung ist allerdings nicht mehr als der Versuch, die seltsame Welt der Elektronen etwas anschaulicher zu beschreiben). Diese Spinausrichtung ist für die Stoffeigenschaft des Magnetismus verantwortlich. Zeigen alle Spins in dieselbe Richtung – sind sie polarisiert –, ist ein Material magnetisch.

Spinpolarisierten elektrischen Strom kann man sich am Bild einer marschierenden Militärkolonne verdeutlichen, in der alle Soldaten zunächst nach rechts schauen. So, wie auf Befehl eines Offiziers alle gleichzeitig den Blick nach links wenden, weil dort der General grüßt, kehrt sich die Spinpolarisierung des Stroms schlagartig um, wenn ein gegenläufiges äußeres Magnetfeld angelegt wird. Die Elektronenspins klappen kollektiv in dessen Richtung um. Diesen Effekt könnte man auch in einem Transistor erzielen, durch den ein spinpolarisierter Strom fließt: mit Hilfe der so genannten Spin-Bahn-Kopplung. Die ist eine Folge der Relativitätstheorie und führt dazu, dass sich schnell bewegende Elektronen ein elektrisches Feld als ein magnetisches wahrnehmen.

Liegt an der Gatterelektrode eines Transistors ein elektrisches Feld an, fließen die Elektronen darunter entweder weiter oder werden blockiert, je nach Spannungsrichtung. Die Gatterelektrode ist also üblicherweise ein Schalter für „Strom ein" oder „Strom aus". Dasselbe Feld könnte wegen der Spin-Bahn-Kopplung aber auch bewirken, dass die Spinpolarisierung der Elektronen umklappt. Dann hinge es von deren Ausrichtung ab, ob der Strom aus dem Transistor hinausfließen kann und nicht von der Tatsache, ob überhaupt Strom fließt. So könnte die Spin-Bahn-Kopplung zur Informationsverarbeitung in einem Schaltkreis beitragen.

In der Praxis hat man die Spinpolarisierung bislang nur mit Hilfe von Magnetfeldern verändert – doch nun ist es dem Forscherteam um Gian Salis erstmals gelungen, den Effekt der Spin-Bahn-Kopplung detailliert zu messen. Damit sind sie dem elektrisch induziertes Umklappen der Spinpolarisierung einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Die Versuchsanordnung besteht aus einer 21 Nanometer dicken Schicht aus den Halbleitern Gallium-Arsenid und Indien-Gallium-Arsenid. Die Elektronenspins werden zunächst mit einem 3 Picosekunden (Billionstel Sekunden) langen Laserpuls polarisiert, so dass deren Ausrichtung mehr oder weniger senkrecht aus der Schicht weist. Vier Elektroden an den Rändern der Schicht legen nun ein oszillierendes elektrisches Feld durch die Schicht. Das bringt die Elektronen in Bewegung, und aufgrund der Spin-Bahn-Kopplung nehmen die Spins ein magnetisches Feld wahr, das in der Schichtebene schwingt. Die Folge: Alle 3600 Picosekunden klappt die Spinpolarisierung in die entgegengesetzt Richtung um. Das Umklappen lässt sich mit Hilfe eines zweiten Laserpulses, der dem ersten in kurzem Abstand folgt, nachweisen. „Der nächste Schritt ist nun zu zeigen, wie man diesen Effekt gezielt für einen neuartigen Transistor nutzen kann", sagt Gian Salis.

In dem Experiment der Zürcher Wissenschaftler wurde die Anfangspolarisierung durch einen Laserpuls hergestellt. Für eine Anwendung in einem spintronischen Transistor wäre es jedoch wünschenswert, wenn bereits spinpolarisierte Elektronen durch die Siliziumschicht des Transistors fließen könnten. Bislang ließ sich solch ein Spin-Strom nur mit dem Halbleiter Gallium-Arsenid relativ einfach realisieren. Silizium gilt aber als Wunschkandidat für spintronische Transistoren, weil seine Materialeigenschaften besser sind und seine industrielle Verarbeitung ausgereift ist.