Runter vom Holzweg

Trotz Digital-Zeitalter wird weltweit immer mehr Papier verbraucht. Israelische Forscher präsentierten nun eine holzfreie Papier-Alternative mit genetisch getunten Malvengewächsen.

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Von
  • Jens Frantzen

Das papierlose Büro? Bislang Fehlanzeige. Was in den Achtziger- und Neunzigerjahren noch wie eine logische Konsequenz aus dem Aufkommen der elektronischen Datenverarbeitung und Kommunikation schien, hat sich nicht durchgesetzt. Es wird immer noch gefaxt, gedruckt, kopiert, was das Zeug hält. Laut Greenpeace hat sich der bundesdeutsche Papierverbrauch pro Kopf in den letzten 50 Jahren fast verachtfacht. In Anbetracht schwindender Wälder und belasteter Umwelt sind Taten gefordert. Neben strikter Sparsamkeit und konsequenter Nutzung von Recyclingpapier gibt es jetzt eine weitere Idee zur Entlastung der weltweiten Wälder.

Ihr persischer Name lautet Kenaf, ihr lateinischer Hibiscus Cannabinus L., und einen deutschen hat sie nicht. Kenaf ist ein Malvengewächs, das mit der Baumwolle verwandt ist. Mit dem namensgebenden Cannabis hat es nur die fingerförmigen Blätter gemein. Und was das im afro-asiatischen Raum weit verbreitete Gewächs besonders auszeichnet, ist sein relativ hoher Anteil an Fasern. Im Stängel finden sie sich, 1,5 bis 6 mm sind sie lang und bestens für die Produktion von Papier geeignet. Und was besonders wichtig ist: Kenaf wächst extrem schnell. Forscher um Professor Roni Aloni, Botaniker an der Tel Aviv University, haben sich schon lange mit Kenaf und seiner potenziellen Nutzung beschäftigt. "Eine Fläche von Kenaf-Pflanzen produziert in einem Jahr die gleiche Menge von Zellstoff-Fasern wie eine identische Fläche mit Bäumen in 20 Jahren."

Auch die Herstellung von Papier aus der Pflanze bietet Vorteile, denn einerseits verfügen Kenaf-Fasern über einen geringeren Gehalt von Lignin – dem Stoff, der die Zellulose in der Pflanze bindet. Daher müssen weniger Chemikalien aufgewendet werden, die diese Bindung lösen. Andererseits ist Kenaf-Papier von Natur aus heller als das aus Holz, es wird also weniger Bleichmittel benötigt. Chlor, eine der giftigsten Substanzen in der Papierherstellung und in konventionellen Papierfabriken zum Bleichen eingesetzt, wird bei der Produktion von Kenaf-Papier überhaupt nicht gebraucht.

Jedoch – und wie so häufig der Haken an der Geschichte – ist die Herstellung von Kenaf-Papier bislang teurer als die von holzbasiertem. Die umweltfreundliche Alternative braucht zunächst einen wirtschaftlichen oder technologischen Anschub. Und genau der kommt nun von Professor Aloni und seinem Team. "Wir wollten die Menge der Fasern, ihre Länge und die der Stängel der Pflanze erhöhen", erklärt er. Dafür nutzten sie ein so genanntes Gibberelin, ein natürlich in der Pflanze vorkommendes Wachstumshormon, das im normalen Wachstumszyklus des Kenaf an einem bestimmten Punkt gehemmt wird. Mittels Sequenzierung fanden Alonis Mitarbeiter das hemmende Gen und deaktivierten es dann. Das Resultat sind bis zu 50 Prozent mehr Fasern pro Ernte, auch die Länge und Qualität der Fasern ist höher. "Damit wird Kenaf zu einem echten Cash Crop – einer wirtschaftlich sinnvollen Alternative für die Landwirte", so Aloni.

Dank der Modifikation rückt Kenaf ertragsmäßig etwa in die Größenordnung der Hanfpflanze, die zwischen 100 und 120 Dezitonnen pro Hektar bei einem Faseranteil von 25 bis 30 Prozent liefert. Ob Kenaf sich aber auch für Landwirte oder Papierproduzenten hierzulande als lohnenswert erweist, bleibt abzuwarten. Ralf Pecenka ist Experte für Faserpflanzen am Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim. "Grundsätzlich ist es schon spektakulär, dass die Forscher es geschafft haben, mittels Genmanipulation den Faseranteil so beträchtlich zu erhöhen", sagt er. "Auf einem anderen Blatt steht natürlich der Imagekonflikt von Kenaf als umweltfreundlicher Alternative und der Gentechnik auf der anderen Seite", so Pecenka. Und einer Nutzung der Pflanze in Mitteleuropa stünden außerdem die klimatischen Bedingungen im Weg. Denn allein zum Keimen braucht Kenaf eine Mindesttemperatur von über 16 Grad Celsius, später Frühjahrs- und früher Herbstfrost sind tödlich für sie. Da sich die Pflanze normalerweise durch eine abgeworfene Samenkapsel – die ebenfalls keinen Frost verträgt – fortpflanzt, bleibt Kenaf also auf jeden Fall einjährig.

Trotzdem hat Botaniker Aloni schon höchstinteressierte Anfragen aus wärmeren Ländern bekommen. "Eine brasilianische Firma will aus den längeren Fasern Papier, aus den kurzen Innenfasern Bioethanol als Treibstoff herstellen", erzählt er. "Und eine italienische Firma fragte nach noch längeren Fasern, ebenfalls für die Papier- aber auch für die Bekleidungsindustrie." Seine Zukunftsvision für das vielseitige Kenaf: "Die Menschen wollen weniger Bäume fällen. Und wenn sie es doch tun, dann für Holzprodukte, nicht für Papier. Und hier kommt Kenaf ins Spiel." Das wäre zumindest für die Papierindustrie das Ende eines langen Holzwegs. (bsc)