Tuning-Test fürs Gehirn
Zwecks Steigerung seines Denkvermögens hat sich unser Reporter mit Strom und Medikamenten behandeln lassen. Schlauer ist er dadurch nicht geworden.
- David Ewing Duncan
Ich bin weder fit noch besonders gut gelaunt – mir steckt noch der Jetlag von einer Reise nach London und dem Rückflug nach Kalifornien am Tag zuvor in den Knochen. Jetzt sitze ich in der Abteilung für Gehirnstimulation des National Institute of Neurological Disorders and Stroke im US-Bundesstaat Maryland und habe zwei Elektroden auf der Stirn kleben. In wenigen Augenblicken wird ein Forscher elektrischen Strom durch meinen Frontallappen schicken, der für das Gefühlsleben und das höhere logische Denken zuständig ist. 40 Minuten lang soll das entstehende elektrische Feld meine Nervenzellen dazu anregen, bessere Arbeit zu leisten.
Das Experiment ist Teil eines Selbstversuchs, der zeigen soll, ob neue Technologien und Medikamente wirklich die Leistung des Gehirns steigern. Laborleiter Eric Wassermann hat mir schon erklärt, dass ich sicher kein neuer Einstein werde. Aber er hofft, dass seine Stimulation bei Menschen mit Verletzungen oder Erkrankungen des Gehirns zu Verbesserungen führt. "Wir testen erst einmal mit gesunden Personen, um Anhaltspunkte für die Wirkung zu bekommen", erklärt der Neurologe.
Als eine studentische Hilfskraft den Strom aufdreht, spüre ich ein leichtes Kribbeln und das Bedürfnis, meine Kopfhaut zu kratzen. Die Stromstärke von 2,5 Milliampere ist nicht viel, reicht aber für einen leichten Elektroschock. Das Verfahren trägt den wissenschaftlichen Namen transkranielle Gleichstrompolarisierung; dabei wird im Hirngewebe um die Elektroden positive oder negative Ladung erzeugt. Studien im Reagenzglas haben gezeigt, dass ein schwacher Strom die Feuerrate einer Nervenzelle beeinflussen kann – ob sie steigt oder sinkt, hängt von der Ausrichtung des elektrischen Feldes ab. Dabei scheinen häufiger feuernde Nervenzellen bestimmte Gehirnfunktionen zu verbessern, während eine geringere Feuerrate das Gegenteil auslöst.
In früheren Experimenten mit gesunden Probanden haben Wassermann und andere Forscher herausgefunden, dass die Prozedur die Motorik und die Merkfähigkeit verbessern kann. Derzeit prüfen sie, welchen Einfluss elektrische Felder mit verschiedenen Stärken und Polarisationen auf die Denkleistung, das Gedächtnis und das Gefühlsleben haben.
Die Methode, Gehirne unter Strom zu setzen, ist nicht neu. Bereits in den 1960er-Jahren wurden schwache Gleichströme zur Behandlung von Geisteskrankheiten eingesetzt. Das Interesse daran schwand, als medikamentöse Behandlungen populärer wurden. Neuerdings aber erlebt das Forschungsfeld wieder einen Aufschwung, weil die Wissenschaftler nach Möglichkeiten suchen, die Gehirnaktivität punktgenau ohne große Nebenwirkungen zu steigern. Wassermann glaubt sogar, dass man eines Tages ein kleines Gerät kaufen kann, das man an einer Mütze oder einem Schweißband trägt und aktiviert, wenn man mal einen Hirn-Turbo braucht.
Nach der Elektro-Stimulation verspüre ich eine leichte Erregung, als hätte ich einen mittelstarken Kaffee getrunken. Meine Müdigkeit lässt nach, ich fühle mich aber nicht wirklich schlauer. Dann gibt es einige Tests zu Wahrnehmung und Gefühlslage. Zum Beispiel bekomme ich am Computer vier Stapel mit Spielkarten präsentiert, die ich per Mausklick einzeln aufdecken kann; je nach Kartenwert gewinne oder verliere ich. Zuerst kommt mir die Mischung zufällig vor, dann entdecke ich Muster. Doch nach ein paar Minuten verschwindet mein anfänglicher Schwung, und ich verspiele die Gewinne wieder. Als ich am nächsten Morgen ausgeschlafen ins Labor zurückkomme, gewinne ich beim gleichen Spiel gänzlich unstimuliert eine kleine Summe.
Am selben Tag lässt Wassermanns Mitarbeiter Michael Koenig statt einer negativen eine positive Ladung in meinem Gehirn entstehen. Ich fühle mich plötzlich deutlich entspannter, bin zugleich beim Spielen viel weniger motiviert – gewinne aber trotzdem ordentlich. Außerdem tritt ein merkwürdiger Effekt auf: Ich beginne zu sprechen und habe dann keine Lust mehr, die Sätze zu Ende zu führen. Laut Koenig soll das Experiment genau das beweisen: Dass sich die Gehirnleistung mit verschiedenen Polarisationen unterschiedlich beeinflussen lässt. Ich selbst würde die unterschiedlichen Spielergebnisse eher auf meinen variierenden Erschöpfungszustand schieben – aber dass die Elektrobehandlung in meinem Gehirn irgendeine Wirkung hatte, steht außer Frage.
Am nächsten Tag treffe ich in New York den Arzt Steven Lamm, der Patienten mit Schlafstörungen, Dauermüdigkeit und Jetlag seit längerem die Einnahme von Provigil (Produktname in Deutschland: Vigil) empfiehlt. Der Hauptwirkstoff Modafinil beeinflusst laut dem Hersteller Cephalon nur die Wachheit – während andere Stimulanzien wie Kaffee und Amphetamine das ganze Gehirn aufputschen. Lamm untersucht mich, fragt meine Krankengeschichte ab, klärt mich über die Wirkung auf und verschreibt mir fünf 200-Milligramm-Tabletten.
Als Mittel gegen Schlafstörungen wurde Provigil intensiv untersucht, aber die Datenlage über seine Wirkung als Gehirn-Doping ist dünn. Im britischen Cambridge fand man immerhin bereits heraus, dass der Wirkstoff das Kurzzeitgedächtnis und das Planungsvermögen von männlichen Testpersonen steigerte. Andere Forscher gaben das Medikament völlig übermüdeten Probanden, die dann in einem Hubschraubersimulator sehr gute Leistungen zeigten.
Ich schlucke die erste Pille um 14 Uhr. Dann laufe ich die Fifth Avenue in New York hinunter und bemerke erst mal gar nichts. Mein Mobiltelefon klingelt, ich spreche mit dem Anrufer – und fühle mich dabei so schläfrig wie an jedem Nachmittag. Später steige ich ins Flugzeug zurück nach San Francisco und schlafe gegen 17 Uhr ein. Wieder zu Hause, nehme ich die nächste Provigil zusammen mit dem Morgenkaffee. Dieses Mal empfinde ich eine Wachheit, die Kaffee allein normalerweise nicht auslöst. Über die nächsten drei Stunden nimmt sie wieder ab, aber es stellt sich ein leichtes allgemeines Hochgefühl ein. Ich stürze mich auf die Arbeit und fühle mich enorm klug und effizient dabei. Einen Moment lang wird mir das fast zu viel – als wenn mein Gehirn auf schnellen Vorlauf geschaltet hätte, ohne dass ich das ändern könnte.
Im weiteren Verlauf des Tages beginnt mich die ständige Aktiviertheit sogar zu stören. Ich bin nicht nervös, aber mir wird klar, dass ich normalerweise anders funktioniere: Ohne Medikamente erlebe ich beim Schreiben eine komplizierte Abfolge von kurzen hellen Momenten, unterbrochen von leichter Ausgebranntheit, während der sich mein Gehirn ausruhen kann. Das medikamentöse Dauerhoch gefällt mir nicht.
Trotzdem wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis wir Getränke mit Modafinil oder anderen milden Stimulanzien kaufen können, die weniger Nebenwirkungen haben als Kaffee. Ebenso werden wir vielleicht wirklich bald kleine Elektroschocker auf unsere Köpfe setzen und sie anschalten, wenn wir dösig werden. Keiner dieser Tricks allerdings wird mir dabei helfen, die Quantenmechanik besser zu verstehen oder eine Symphonie zu schreiben. Ich werde mich also noch eine Weile als ich selbst durchschlagen müssen. (bsc)