Der Ursprung der Angst
Je näher eine Gefahr kommt, umso reflexhafter arbeitet das Gehirn. Britische Forscher fanden nun mit Hilfe eines simplen Computerspiels heraus, welche Hirnregionen auf verschiedene Bedrohungssituationen ansprechen.
- Edda Grabar
Die Welt steckt voller Gefahren. Die Tiere in der Natur wissen das. Selbst im Schlaf leben sie in ständiger ängstlicher Bereitschaft, um bei drohender Gefahr zu flüchten. Auch der Mensch hat diese Urinstinkte nicht abgelegt, wenn seine Bedrohungen auch weit weniger wild romantisch daher kommen. Aber auch für ihn ist es wichtig, ziemlich schnell vor einem heranrasenden Auto zu flüchten – oder neuerdings den Feind im Computerspiel strategisch auszuspielen. Letzteres brachte die Forscher um Dean Mobbs am Wellcome Trust Center for Neuroimaging in London auf die Idee, per Kernspintomografie die Angst vor dem Feind im Kopf zu beobachten. Dabei kamen sie zu einer interessanten Entdeckung, die sie nun in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science veröffentlicht haben. „Das Gehirn unterscheidet, wie nah die Bedrohung ist – und nutzt je nach Entfernung unterschiedliche Hirnbereiche, um damit umzugehen“, erklärt Mobbs.
Natürlich griffen die Wissenschaftler dafür nicht auf herkömmliche Ballerspiele zurück. Sie entwickelten vielmehr ein eigenes kleines, „Pac Man“-ähnliches virtuelles Labyrinth, in dem ein Punkt den Feind und ein Dreieck den Spieler symbolisierte. Die Aufgabe der 19 Versuchspersonen war es, dem Feind zu entkommen. Allerdings verschärften die Wissenschaftler die Spielregeln für die Daddler empfindlich: Siegte der Computer, wurden sie über die Tastatur mit kleinen Elektroschocks bestraft. Um herauszufinden, ob auch die Art der „Bedrohung“ unterschiedliche Aktionen im Gehirn hervorruft, stuften sie das System ab: In der neutralen Phase ruhte der Gegner als grauer Punkt, sobald er angriff, blinkte er für zwei Sekunden rot. Sofort danach wurden die Spieler informiert, ob sie mit keinem, einem oder drei Stromstößen traktiert wurden.
Während der virtuellen Jagd schauten die Forscher mittels Kernspintomografie in den Kopf ihrer Probanden. Sie stellten fest, dass, solange der Gegner in sicherer Entfernung verharrte, das Stirnhirn direkt hinter den Augenbrauen, der so genannte ventromediale präfrontale Cortex, intensiv arbeitete. Sobald sich der Angreifer aber näherte, wechselte das Gehirn im übertragenen Sinne die Seiten, und die Aktivität verlagerte sich in einen evolutionär viel älteren Bereich im Zentrum des Hirns, das periaquäduktale oder auch zentrale Grau. Das befindet sich direkt bei Kleinhirn und Hirnstamm.
„Dort sitzt die primitive Angst“, sagt Borwin Bandelow, der wohl bekannteste deutsche Angstforscher von der Uniklinik Göttingen. Die kleine graue Masse kennen die Neurowissenschaftler als den Ort, wo der Fluchtreflex und die Freisetzung körpereigener Schmerzmittel, der endogenen Opiate, ausgelöst werden. Diese instinktive Angst bringt den Menschen seinen tierischen Wurzeln näher. So wie das Zebra bei plötzlichen Bewegungen in seiner Umgebung wegspringt, zucken etwa auch Nordeuropäer vor Spinnen zurück, „ohne darüber nachzudenken, was für eine Art von Spinne dort sitzt“, sagt Bandelow – obwohl es recht unwahrscheinlich sei, in unseren Gefilden auf eine giftige Art zu stoßen. Die Angst ist aber angeboren.
Dean Mobbs geht mit seiner Interpretation sogar noch weiter. Je näher die Gefahr auf einen zukomme, „desto weniger freien Willen hat man, darauf zu reagieren“. Gleichzeitig bereitet sich der Körper darauf vor, dass es bald schmerzhaft werden könnte. Sogar die Schreckstarre wird von diesem Hirnbereich verursacht, was durchaus einen Sinn ergibt: Viele Fressfeinde reagieren auf Bewegungen. Bleibt das Beutetier für Sekunden still, kann sich mitunter seine Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen.
Im Gegenzug dazu liegt direkt hinter der Stirn der phylogenetisch jüngste Bereich unserer geistigen Leitstelle, der den Namen Denkorgan wirklich verdient. „Dort vermutet man das tatsächliche Denken“, sagt Borwin Bandelow und schätzt, dass die britischen Wissenschaftler nun die theoretischen Annahmen experimentell nachweisen konnten. Das Stirnhirn, sagt Bandelow, sei der Bereich, der den Menschen vom Tier am stärksten unterscheidet. Es gebe ihm die Fähigkeit, vorausschauend zu denken – und Gefahren abzuschätzen.
Stephen Maren, Neurowissenschaftler am Department of Pschology and Neuroscience Programm an der University of Michigan weist in seinem Science-Kommentar darauf hin, dass diese Region dafür bekannt ist, bei Angst aktiv zu werden, und hilft, Strategien zu entwickeln, wie man Gefahren begegnen könnte. „Das allerdings hat auch seinen Nachteil: Der Mensch neigt zu Depressionen, weil er Unheil vorhersehen kann“, erklärt der Göttinger seine Theorie. Mehr noch: Nordeuropäer hält er für depressiver, weil sie kulturgeschichtlich weit größeren Gefahren ausgesetzt gewesen seien. „Im Süden haben Winter und Hungersnöte keine so große Rolle gespielt wie etwa in Schweden oder England“, sagt er.
Doch an dem Prozess sind nicht nur die beiden genannten Hirnbereiche beteiligt. Eine wichtige Aufgabe, negative Empfindungen und vor allem Angst zu verarbeiten, liegt im so genannten Mandelkern (Amygdala). Von dessen Mitte aus laufen Verschaltungen zu allen möglichen Funktionen unseres Körpers: zum Locus coeruleus, dem blauen Ort, der den Herzschlag erhöht; zum Hypothalamus, der das sympathische Nervensystem aktiviert und auf die Flucht vorbereitet; aber eben auch in das zentrale Grau, um den Schrecken zu vermitteln.
Der etwas untere Teil der Amygdala hingegen steht mit der Stirnregion in Kontakt. In ihrem Experiment stellten die Forscher fest, dass die instinktive Angst dann am stärksten ausgeprägt war, wenn der Angreifer nah und die Bestrafung durch Elektrostöße hoch war. Je geringer die Folgen ausfielen, desto weniger war das zentrale Grau an den Prozessen beteiligt, und umso mehr übernahm der präfrontale Cortex die Aufgaben.
Mobbs und seine Mitarbeiter gehen daher davon aus, dass sie es mit zwei Kreisläufen zu tun haben, die sich gegenseitig beeinflussen. Sie vermuten, dass bei Menschen mit zwanghaften Angststörungen oder schweren Depressionen genau dieses System gestört ist. „Obwohl Hirnuntersuchungen wie unsere keine direkte Hilfe für solche psychiatrischen Erkrankungen sind, helfen sie doch zu verstehen, wie das emotionale System funktioniert, und sind ein erster Schritt, Menschen mit Angst-bezogenen Störungen zu helfen“, hofft Mobbs.
Dass das Gehirn mit Rückkopplungsmechanismen arbeitet, hält auch Borwin Bandelow für wahrscheinlich. Bei der Interpretation der Versuche lässt er jedoch Vorsicht walten. „Bislang“, sagt er, „versteht noch niemand, wie Depressionen und Angstzustände entstehen – und sicherlich steckt mehr dahinter als nur eine fehlerhafte Verschaltung im Gehirn.“ (nbo)