Kampf gegen den Horror-Wurm

Die so genannte Elefantenkrankheit befällt Millionen von Menschen in den Tropen. Die Betroffenen erleiden nicht selten schlimme Entstellungen. Eine Erbgutanalyse des auslösenden Parasiten soll nun neue Erkenntnisse zur Bekämpfung der Krankheit liefern.

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Von
  • Edda Grabar

Es gibt Dinge, die vermutet man nur in Horrorfilmen: Würmer etwa, die auf mysteriöse Art und Weise in den Körper kriechen und dort wachsen und wachsen – bis sie ihr Opfer schließlich deformieren. Wie so häufig liegen hier Fantasie und Wirklichkeit gar nicht so weit auseinander – und irgendwo muss sich Hollywood ja seiner Ideen bedienen.

Die so genannte lymphatische Filariasis, bekannter unter dem Namen "Elefantenkrankheit", liefert die ideale Vorlage – nur ist sie weniger schaurig-schön, sondern bringt Leid, Schmerzen und Isolation für die Betroffenen mit sich. Denn tatsächlich dringt ein Parasit, ein Wurm, in den Menschen ein, reift dort aus und verursacht mitunter grausige Entstellungen. Beine, Brüste oder Genitalien schwellen klumpenartig zu monströsen Verformungen an, entzünden sich immer wieder und lassen Menschen als geächtete Außenseiter der Gesellschaft zurück.

Nur zwei fadenartige Wurmarten, Wuchereria bancrofti und Brugia malayi, sind in der Lage, dieses Unheil im Körper anzurichten. Doch sie bedrohen mehr als eine Milliarde Menschen in 80 Nationen – hauptsächlich in den südamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Tropengebieten. Nun haben Wissenschaftler rund um den Globus, darunter auch Mario Stanke von der Abteilung für Bioinformatik der Universität Göttingen, das Erbgut von Brugia malayi entschlüsselt und einen ersten Einblick in dessen Struktur gewonnen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie heute im Fachmagazin "Science". "Die Erbinformationen lassen uns besser verstehen, welche Gene für den Lebenszyklus des Parasiten wichtig sind", hofft Elodie Ghedin, Expertin für Infektionskrankheiten an der University of Pittsburgh School of Medicine und Erstautorin der Publikation.

Auf bessere Therapien warten nach Informationen der Weltgesundheitsorganisaton (WHO) über 120 Millionen Menschen, die bereits infiziert sind – 40 Million von ihnen wurden ernsthaft geschädigt und entstellt. Ein Drittel der Infizierten lebe in Indien, ein Drittel in Afrika, der Rest verteile sich zu größten Teilen auf Südasien, Südamerika und den südpazifischen Raum. In Gebieten, wo sich die Parasiten bereits verbreitet haben, steige die Zahl der Infektionen kontinuierlich, warnt die WHO. Die Hauptursache vermuten die Experten in den schnell und unkontrolliert wachsenden Städten, wo sich Moskitos, die Überträger der Wurmlarven, massenhaft vermehren.

Auch die Insekten nehmen den Parasiten unfreiwillig auf. Sie infizieren sich selbst beim Stechen bereits befallener Menschen. Die ausgewachsenen Würmer produzieren nämlich im Menschen Millionen von Miniwürmchen, so genannten Mikrofilarien, die sich aber erst weiterentwickeln, wenn sie von einer weiblichen Moskitomücke aufgenommen wurden. Dort befreien sie sich von ihrer Haut, wandern in die Flugmuskulatur und wachsen weiter zu etwa vier Millimeter großen Larven heran. Erst dann setzten sie ihren Weg in den Mundbereich der Moskitos fort, wo sie auf ihre zweite Lebensphase warten.

Die beginnt mit dem nächsten Biss der Mücke. Gewöhnlich sind es Kinder, die infiziert werden. Die Larven wandern über die Blutbahn zu den Lymphknoten, wo sie zu Fadenwürmern von bis zu zehn Zentimetern Länge heranreifen. Während die Männchen etwa fünf Jahre alt werden, können Weibchen bis zu acht Jahren im menschlichen Körper hausen. Wie sie das bewältigen, ist den Medizinern und Wissenschaftlern noch weitgehend unklar. Dass sie ausgerechnet das Lymphsystem zu ihrem Lebenraum auserkoren haben, macht die Sache noch schlimmer: Gerade die Lymphflüssigkeit ist es, die Bakterien, Viren und andere Fremdstoffe gewöhnlich abtransportiert – und wo der Körper seine Abwehrzellen hortet.

In dieser Höhle des Löwen lösen sie massive Entzündungen aus. "Nur dass die sich eben nicht gegen die Würmer, sondern gegen das umliegende Gewebe richten", sagt Achim Hoerauf von der Uniklinik Bonn, deutscher Experte für lymphatische Filariasis. Früher nahm man an, dass die Würmer das Immunsystem blockieren und die Lymphgefäße verstopfen. Heute aber wisse man, dass nicht der Wurm die Deformierung des Menschen macht, sondern dessen eigenes Abwehrsystem, das der Wurm auslöst. Dabei bedient er sich kleiner Helfer, den Endosymbionten Wolbachia.

"Sowohl Brugia malayi als auch der sehr viel verbreitetere Parasitenwurm Wuchereria bancrofti brauchen sie zum Überleben", sagt Hoerauf. Sie aber aktivieren wiederum die Fresszellen des menschlichen Abwehrsystems. Wozu die Würmer ihre kleinen Mitbewohner brauchen, war bislang unklar. Hoerauf und seine Kollegen nahmen an, dass die Würmer ihnen Bausteine für lebenswichtige Aminosäuren zur Verfügung stellen. "Im Gegenzug erhalten die Würmer Materialien für ihre Zellteilung", vermutete der Experte. Vor etwa drei Jahren machte er sich weltweit einen Namen, als er das Antibiotikum Doxycyclin gegen eben diese Endosymbionten einsetzte und den Würmern so die Lebensgrundlage nahm. Hoerauf und seine Mitarbeiter stellten fest, dass zunächst die Weibchen unfruchtbar wurden und keine neuen Microfilarien ins Blut abgaben, dann erst sterben sie ab. "Das zeigt, dass zunächst die Funktionen gestört wurden, in denen sich Zellen ganz oft teilen", so Hoerauf.

Seine Vermutung scheint sich nun zu bestätigen. Die Wissenschaftler um Elodie Ghedin verglichen das Erbgut des Wurmes mit dem seines Helfers und fanden heraus, dass neun von zehn Enzymen, die einen Bausteine für das Erbgut liefern, dem Fadenwurm fehlen. Zudem konnten sie Gene, die bei der Kollagenbildung und Häutung eine wichtige Rolle spielen, identifizieren – Ziele, die sich Mediziner als Angriffspunkte für neue Medikamente wünschen. An Häutungen sind Proteine und Gene beteiligt, die beim Menschen nicht vorkommen. "Wenn man Mittel findet, die genau diese Prozesse behindern, dürften auch Nebenwirkungen ausbleiben oder wenigstens nur schwach ausfallen", hofft Achim Hoerauf. Denn die meisten Medikamente gegen diese Art Wurmbefall können lebensgefährdende Folgen für den Patienten haben. Sie bekämpfen vorwiegend die Wurmnachkommen. Sterben die Millionen von Mikrofilarien zu schnell, geben sie Unmengen von Proteinen und von anderen Stoffen ab. Das menschliche Abwehrsystem kann damit nicht umgehen, und die Menschen erleiden häufig genug einen allergischen Schock.

Die Forscher, die zu der Entschlüsselung des Wurmerbguts beigetragen haben, hoffen aber noch auf ganz andere Erkenntnisse. "Parasitäre Würmer sind wie fremdes Gewebe, das transplantiert wurde – aber anders als bei Affenherzen oder Schweinenieren, die das Immunsystem rasch erkennt, kann der Wurm über Jahre überleben", sagt Alan Scott von der Bloomberg School of Public Health an der Johns Hopkins University. Deshalb hoffen die Wissenschaftler, dass von den Erkenntnissen, die sie aus dem Erbgut des Wurmes gewinnen, eines Tages auch Transplantationspatienten profitieren könnten. (bsc)