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Ein transparentes Kunststoffscheibchen soll Menschen mit zerstörter Hornhaut vor dem Erblinden bewahren.

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Von
  • Anke Brodmerkel

Oft passiert es bei einem Arbeitsunfall: Säuren oder Laugen verätzen die Hornhaut (Kornea) des Auges so schwer, dass der Betroffene zu erblinden droht. Aber auch angeborene Fehlbildungen oder Entzündungen, die beispielsweise auf eine Infektion mit Herpesviren zurückgehen, können die Kornea – den gewölbten vorderen Teil der Augenaußenhaut – so stark beeinträchtigen, dass der Patient ohne die Transplantation einer neuen Hornhaut sein Augenlicht verlieren würde.

Bei einer solchen Operation wird der zentrale Teil der natürlichen Hornhaut kreisförmig entfernt und die neue Kornea eingesetzt und vernäht. Die Gefahr einer Abstoßung ist im Vergleich zu einer echten Organtransplantation relativ gering, denn das durchsichtige Gewebe ist nicht durchblutet, sondern wird nur per Diffusion mit Nährstoffen versorgt.

Spenderhornhäute allerdings sind Mangelware; jährlich warten in Deutschland etwa siebentausend Menschen auf das winzige Stück Gewebe. Schon länger versuchen Wissenschaftler daher, künstliche Hornhäute zu entwickeln – bislang mit wenig Erfolg, denn an das Material werden widersprüchliche Anforderungen gestellt. Einerseits soll es am Rand fest in das natürliche Gewebe einwachsen, andererseits dürfen sich in der Mitte des Implantats wiederum keine Zellen absetzen, da sich das Material ansonsten trüben würde.

Nun haben Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung in Golm bei Potsdam gemeinsam mit anderen Forschern eine künstliche Hornhaut entwickelt, die beide Anforderungen zu erfüllen scheint. Das Vorhaben namens "Artificial Cornea Project", an dem sich insgesamt zehn Teams aus vier europäischen Ländern beteiligen, wird von der EU mit mehr als einer Million Euro unterstützt.

"Basis unseres Implantats ist ein wasserabstoßendes Polymer, auf dem sich keine Zellen ablagern können", erklärt Projektleiter Joachim Storsberg. Um welches Material es sich dabei genau handelt, will der Chemiker derzeit noch nicht verraten. Damit die künstliche Kornea trotz ihrer hydrophoben Eigenschaften gut in das verbliebene Gewebe des Patienten einwachsen kann, haben die Forscher sie am Rand mit einer speziellen Beschichtung versehen. "Wir verwenden dazu ein künstlich hergestelltes Protein, das bestimmte Sequenzen eines Wachstumsfaktors enthält", sagt Storsberg. "Die umliegenden Zellen erkennen diese Sequenzen und werden so dazu angeregt, sich zu vermehren und sich auf der Oberfläche des Hornhautrandes anzusiedeln."

Anders als der natürliche Wachstumsfaktor, der sogenannte "Epidermal Growth Factor", ist das künstliche Protein aufgrund seiner speziellen Form hitzestabil. "Das ist wichtig, damit die Hornhaut die spätere Sterilisation, die für eine Transplantation notwendig ist, unbeschadet übersteht", erläutert Storsberg. Um sicherzustellen, dass das Protein zudem fest mit dem Material der künstlichen Kornea verbunden ist, haben die Forscher das Implantat am Rand mit einer Art Primer versehen. Dabei handelt es sich um ein ionisches Polymer, das eine andere Ladung als das aufzubringende Protein besitzt und dieses daher anzieht.

Schließlich muss die künstliche Hornhaut noch eine weitere Anforderung erfüllen: "Auf ihrer Vorderseite darf sie nicht wasserabstoßend sein, da sie ansonsten nicht vom Tränenfilm geschützt würde und der Tragekomfort außerdem sehr gering wäre", sagt Storsberg. Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler ihr Implantat auf einer Seite mit einer ultradünnen, wasseranziehenden Schicht versehen.

"Das allerdings war ähnlich schwierig wie der Versuch, Wasser und Öl dauerhaft miteinander zu vermischen", sagt Storsberg. Er und seine Kollegen mussten sich daher eines Tricks bedienen: Sie ließen eine Substanz in das Material des Implantats diffundieren, deren Einzelmoleküle sich erst unter UV-Bestrahlung zu einem wasseranziehenden Riesenmolekül – dem eigentlichen Polymer – zusammenlagern. "Auf diese Weise konnten wir die beiden Schichten chemisch fest miteinander verbinden", erklärt Storsberg.

Im Labor haben Forscher um Karin Kobuch von der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Regensburg die künstliche Hornhaut bereits überprüft. "Hornhautzellen, die wir Schweineaugen entnommen haben, sind am Rand der künstlichen Hornhaut sehr gut angewachsen und haben ihr Wachstum dort gestoppt, wo die Beschichtung aufhört", sagt Kobuch. Das optische Zentrum des Implantats sei dadurch klar geblieben.

Als nächstes wollen die Medizinerin und ihre Kollegen die künstliche Hornhaut in präparierten Schweineaugen testen. "So können wir zum einen schon einmal die Operationstechnik üben und zum anderen überprüfen, ob das Implantat in vitro gut einwächst", erklärt Kobuch. Bereits jetzt werden die Implantate auch in vivo, also an lebenden Tieren, getestet. An den Universitätskliniken Regensburg und Halle-Wittenberg laufen derzeit Studien an Kaninchen, bei denen speziell das Design der künstlichen Hornhäute überprüft wird. Mit den Ergebnissen der Untersuchungen rechnet Georg Langstrof, Geschäftsführer der Krefelder Firma Rhine-Tec und einer der beiden Koordinatoren des Cornea-Projekts, Mitte November.

"Frühere Studien mit einem anderen Design haben bereits gezeigt, dass die Kaninchen die künstliche Kornea gut vertragen", sagt Langstrof. Nun ginge es vor allem darum, das Design weiter zu optimieren. Langstrof rechnet damit, dass die neuen Hornhäute vom kommenden Frühjahr an auch an Menschen getestet werden können. Wenn sich die Technik bewährt, könnte sie künftig das Augenlicht von Patienten retten, die für eine Spenderhornhaut nicht infrage kommen – oder bisher vergeblich auf eine gewartet haben. (bsc)