Computer helfen bei der Antikörper-Forschung
Auf physikalischen Gesetzen basierende Modellierungssysteme könnten künftig die Entwicklung von Medikamenten beschleunigen – direkt im Rechner.
- Brendan Borrell
Eine am MIT entwickelte Software soll die Forschung an Antikörper-basierten Medikamenten künftig deutlich beschleunigen. In den aktuellen Versuchen war es damit möglich, den bestehenden Anti-Krebs-Wirkstoff Cetuximab derart zu verbessern, dass seine Bindungsaffinität im Labortest um den Faktor 10 stieg – dadurch wird eine geringere (und gesündere) Dosierung und verbesserte Wirksamkeit möglich.
"Durch die Erstellung mathematischer Modelle komplexer biologischer Systeme kann man Vorhersagen aufstellen, wie man Wirkstoff-Moleküle auf einem zielgerichteten, vom Forscher gestalteten Weg verbessern kann", erkärt Bruce Tidor, Bioinformatiker am MIT und Leiter der Studie. "In der Medizin geht man so normalerweise nicht vor."
Unser Immunsystem bildet ständig neue Antikörpermoleküle, die dann Fremdpartikel, so genannte Antigene, erkennen und "entwaffnen". Um Erkrankungen von einer einfachen Schuppenflechte bis hin zu Krebs behandeln zu können, nutzen Ärzte das natürliche Abwehrsystem des Körpers, in dem sie Antikörper-basierte Medikamente einsetzen. Beispielsweise binden sich Anti-Krebswirkstoffe wie Cetuximab an die gestörten Rezeptoren an der Oberfläche betroffener Zellen, um den Auslöser unkontrollierten Tumorwachstums zu stoppen.
Allerdings ist die Entwicklung solcher Medikamente komplex und langwierig. Forscher gewinnen neue Antikörper normalerweise aus Mäusen, denen zuvor das Ziel-Antigen injiziert wurde. Dann versuchen sie, diese Moleküle zu optimieren, in dem sie in Hefekulturen herangezüchtet werden – und suchen schließlich nach zufälligen Mutationen, die eine engere Anbindung an das Ziel-Antigen besitzen. Tidor und seine Kollegen wollen diesen Prozess nun verbessern, in dem sie ihn einem Rechner überlassen. "Daraus ergibt sich, dass wir es weniger mit 'Trial and Error' denn mit echtem Molekül-Design zu tun haben. Wir haben eine viel größere Kontrolle darüber, was letztlich dabei heraus kommt."
Das System beginnt mit einem Mustermolekül und tauscht dann jede der 20 Aminosäuren unseres Körpers an 60 verschiedenen Positionen aus. Die Bindungsfähigkeit wird dabei hauptsächlich durch die elektrostatischen Kräfte berechnet, die an den chemischen Komponenten wirken. Mit diesem Ansatz kann das Team wesentlich mehr Sequenzkombinationen gleichzeitig testen, als dies in einem Labor möglich wäre.
Tidor und Master-Student Shaun Lippow, der jetzt bei Codon Devices in Cambridge arbeitet, testeten ihr System an verschiedenen Antikörper-Medikamenten aus und erzeugten so Kandidaten-Moleküle, die dann zusammen mit dem Wissenschaftler Dane Wittrup im Labor getestet wurden. Der Durchbruch kam bei Cetuximab, als das Team mehrere Mutationen entdeckte, die ein Molekül mit der besagten zehn Mal größeren Bindungseffizienz generierten. Obwohl es keine Garantie dafür gibt, dass eine höhere Bindungsaffinität auch zu besseren Medikamente führt, zeigten alle bisherigen Ergebnisse, dass diese engere Anbindung auch der Wirksamkeit diene, meint Tidor.
Forscher auf dem Gebiet sehen in der Studie einen großen Erfolg für die Bioinformatik. "Das Spannende daran ist, dass wir viel Zeit im echten Labor sparen", meint Bruce Donald, Bioinformatiker an der Duke University, der Protein-Strukturen erforscht.
Die Protein-Ingenieurin Katarina Midelfort, die beim Pharmakonzern Pfizer arbeitet, gibt sich von den Mehrfacherfolgen des MIT-Teams beeindruckt. In vielen Fällen sei es für eine Verbesserung der Bindungsaffinität notwendig, dass alle Mutationen in Übereinstimmung seien, doch hier habe sich gezeigt, dass es mehrere Mutationen gäbe, die schrittweise Verbesserungen der Moleküle schufen.
Doch wie kann Tidors Modell Antikörper produzieren, die besser zu sein scheinen als die von Mutter Natur? Tidor erklärt dies mit "evolutionären Stolpersteinen", die es schwierig machten, die verschiedenen Mutationen gleichzeitig weiter zu entwickeln, die für eine Optimierung der Bindungsaffinität notwendig sind. In der MIT-Studie waren bei 10 von 12 entdeckten Mutationen solche evolutionären Sprünge jedoch enthalten.
Noch ist es zu früh, um zu sagen, wann Patienten mit verbesserten Wirkstoffen von dieser Form der Bioinformatik profitieren werden. Tidor und seine Kollegen hoffen jedoch, dass sich der Prozess so einfach wie möglich gestalten lässt. Die Sequenzen ihrer verbesserten Antikörper sind frei zugänglich – und das System, mit dem sie auf sie kamen, soll bald leichter bedienbar und schneller werden. Außerdem plant das Team ähnliche Modelle für die Verbesserung von Wirkstoffen mit kleinen Molekülen. (bsc)