Elektronik aus Viren

Nanofasern, die mit Hilfe von Viren erstellt werden, könnten in einigen Jahren ganz neue Anwendungen ermöglichen - beispielsweise Batterien oder Sonnenkollektoren, die direkt in unsere Kleidung eingewebt sind.

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Von
  • Kevin Bullis

Angela Belcher lehnt sich nach vorne, um einer Maschine dabei zuzusehen, wie sie langsam auf eine Spritze drückt und damit Milliarden harmloser Viren in eine klare Flüssigkeit injiziert. Statt sich in der Lösung zu verteilen, bleiben die Viren auch in der Flüssigkeit beieinander und bilden eine büschelartige, weiße Faser, die mehrere Zentimeter lang ist – und so stark wie ein Nylonfaden. Belchers wissenschaftlicher Mitarbeiter Chung-Yi Chiang fischt die Faser mit einer Pinzette heraus und hält sie gegen ein ultraviolettes Licht - und plötzlich leuchtet sie hell rot.

Mit der Produktion dieser neuartigen Faser demonstrieren die Forscher einen vollkommen neuen Weg, Nanomaterialien herzustellen - mit Viren als mikroskopischen Bausteinen. Belcher, Professorin für Materialwissenschaften und Bioingenieurwesen am MIT, sieht zwei Hauptvorteile bei dem Ansatz. Erstens tendieren die Viren in hohen Konzentrationen dazu, sich selbst zu organisieren, sich nebeneinander anzuordnen und ein geordnetes Muster zu bilden. Zweitens lassen sich die Viren so genetisch verändert herstellen, dass sie sich an anorganischen Materialien anbinden und an ihnen ausrichten - eines Tages sogar in Form von Batterieelektroden, Transistoren und Solarzellen. Die so "programmierten" Viren beschichten sich selbst mit dem gewünschten Material und bilden dann durch die Ausrichtung an ihren Geschwistern eine kristalline Struktur, die sich für die Produktion von Hochleistungskomponenten eignet.

Der Ansatz lohnt sich aber nicht nur als alternative Produktionsmethode für bestehende Elektronik, sondern könnte auch ganz neue Erfindungen ermöglichen. Belcher hat bereits Dünnfilm-Komponenten für Akkus mit Viren hergestellt. Das Faserverfahren lässt sie nun über fadenartige Batterien und andere Elektronik nachdenken, die sich direkt in Kleidungsstücke einweben lassen. Es gäbe bislang noch nichts vergleichbares, meint die MIT-Professorin: "Es geht hier darum, Fasern eine ganz neue Funktionalität mitzugeben."

Die aus Viren gewonnenen Fasern interessieren schon die Forscher bei der US-Armee. Sie hoffen, die Technologie eines Tages in Uniformen nutzen zu können - dann wären sie genauso eingewebt wie andere Schutzmaterialien. Ein so ausgerüstetes Kleidungsstück könnte chemische und biologische Waffen erkennen, Sonnenenergie speichern und tragbare Komponenten antreiben - etwa Nachtsichtgeräte. Charlene Mello, Makromolekular-Forscherin am Natick Soldier Research Center in Massachusetts, sieht solche Technologien zwar erst in einigen Jahrzehnten auf dem Markt, hält Belcher aber zugute, dass sie diese mit ihrem Ansatz erst möglich gemacht habe.

Die MIT-Wissenschaftlerin nutzt mehrere Methoden, um verschiedene Fasern aus den Viren zu ziehen. Um die leuchtende Variante zu erzeugen, werden zunächst konventionelle Gentech-Methoden verwendet. Damit können die Viren-DNA so verändert werden, dass eines der Proteine, die ihre Hülle bilden, zusätzliche Kopien bestimmter Aminosäuren an einem der beiden Körperenden ausbildet. Gleichzeitig synthetisieren die Forscher Quantenpunkte, also Halbleiter-Nanokristalle, die intensives Licht auf bestimmten Wellenlängen erzeugen. Diese besitzen wiederum auf der Oberfläche Aminogruppen, die sich an die überproduzierte Aminosäure der veränderten Viren anlagern können. Ergebnis: Hunderte von Quantenpunkten kleben an jedem Virus, die dann kombiniert mit ähnlichen Virenpartikeln eine Faser erzeugen, die Licht abgibt.

Oft ist es allerdings nicht ganz so einfach, Viren an anorganische Materialien anzubinden - etwa bei Goldpartikeln. In dieser Situation setzt Belcher dann auf eine Methode, die sich "Directed Evolution", zielgerichtete Evolution, nennt. Diese erlaubt es, Viren schnell zu modifizieren, damit sie mit diversen Materialien kompatibel werden.

Das beginnt dann mit einer kleinen Ampulle, die Chiang aus einem Kühlschrank zieht. Darin befindet sich eine klare Flüssigkeit mit einer Milliarde Viren, die nahezu identisch sind - mit dem Unterschied, dass jeder Virenstamm eine kleine genetische Variation enthält, die die Forscher eingefügt haben. Die Variationen sind zum Teil zufällig - die Wissenschaftler ergänzen dann eine nach dem Zufallsprinzip generierte DNA-Sequenz bei jedem Virus. Da es so viele Variationen der Viren in der Ampulle gibt, müssten einige von ihnen schon aus diesem Zufall heraus Hüllenproteine besitzen, die sich an nützliche anorganische Materialien anhaften. Die Forscher schütten dann einfach den Inhalt der Ampulle auf das Zielmaterial - etwa ein kleines Goldquadrat - und geben den Viren die Möglichkeit, sich anzubinden. Danach wird das Material gewaschen. Nach mehreren Wiederholungen verbleiben nur noch die Viren, die sich besonders stark binden. Dieser Prozess macht es möglich, recht schnell Viren zu erzeugen, die sich an ein bestimmtes Material anbinden, ohne dass die Aminosäuresequenz vorher bekannt sein muss.

Sobald die richtigen Viren hergestellt wurden, ist es recht einfach, sie in Faserform zu bringen. Als erstes werden die Viren konzentriert, so dass ihre Form und ihre chemischen Eigenschaften dazu führen, dass sie sich eng aneinander lagern - in einem kristallinen Muster. Dann werden die Viren durch eine Nadel in eine Lösung gezwungen - ein konventioneller Prozess, der sich "Spinnen" nennt und der den Durchmesser der Faser festlegt. Wenn die Viren die Nadel verlassen, halten die eng beieinander liegenden Geschwister zusammen. Um die Faser noch stärker zu machen, wird ein chemischer Verbundstoff in die Lösung gegeben, der nebeneinander liegende Viren zusätzlich aneinander kettet. Das erwünschte anorganische Material kann entweder vor oder nach dem Spinnprozess ergänzt werden.

Nach dem Erfolg mit den leuchtenden Quantenpunkt-Fasern hoffen Belcher und ihre Kollegen nun, weitere Materialien zu erzeugen, die dann beispielsweise zu Sensoren, Solarzellen oder Batterien werden könnten. Geplant sind etwa zwei Arten Virenfasern, von denen die eine die negative Batterieelektrode und die andere die positive Batterieelektrode bildet. Diese Fasern könnten dann miteinander verdreht werden - inklusive eines Elektrolyt-Polymers zwischen beiden, um Akkus zu erzeugen, die sich dann in Kleidung einnähen ließe.

Bis zur praktischen Anwendung gilt es allerdings noch, einige Hürden zu überwinden – Fasern, die rot leuchten, sind nur der erste Schritt. Belchers Methode macht es allerdings recht einfach, verschiedene Materialien und neuartige Designs auszuprobieren. Einfache Viren gäben ihr sehr viel Flexibilität: "Das ist einfach eine wundervolle Einheit. Die Natur gibt uns das perfekte Ausgangsmaterial." (bsc)