"Embryonale Stammzellen ohne Embryonen"

Der Bioethiker William Hurlbut spricht im TR-Interview über die Alternativen, die die Stammzellenforschung hat, wenn sie die Zerstörung von Embryonen vermeiden will.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Michael Fitzgerald

Der Arzt und Ethiker William Hurlbut ist in Amerika vor allem wegen seiner Mitgliedschaft im Bioethik-Ausschuss des US-Präsidenten bekannt. Der Stanford-Forscher gehört zu den Gegnern des Embryonenverbrauchs in der Wissenschaft, spricht sich aber dennoch für die Forschung mit Stammzellen aus. Dieses Paradoxon soll eine Technologie auflösen, die Hurlbut "Altered Nuclear Transfer", kurz ANT, nennt – der Zellkern wird dabei vor dem Einbringen in die Eizelle verändert. Das Ziel: Embryonale Stammzellen sollen entstehen, ohne dass menschliche Embryonen zerstört werden müssen.

Eine der interessantesten Methoden, embryonale Stammzellen zu erzeugen, ist das Klonen: Der Kern einer Spenderinnen-Eizelle wird dabei durch den Kern einer Erwachsenenzelle ersetzt – in einem Prozess, der sich somatischer Zellkerntransfer nennt. Anschließend wird die Eizelle dann zur Teilung animiert. Die Stammzellen, die aus dem sich dadurch entwickelnden Embryo hervorgehen, sind pluripotent, können sich also in jede Form von Körpergewebe entwickeln. Das Ernten dieser Stammzellen zerstört allerdings auch den Embryo – was ethisch äußerst umstritten ist.

Beim ANT-Verfahren, das zumindest bereits bei Mäusen funktionieren soll, werden hingegen vor dem Zellkerntransfer wichtige Gene abgeschaltet – im somatischen Zellkern, aber auch manchmal im Cytoplasma der Eizelle. Dies würde zu einer Zellmasse führen, aus der sich kein Embryo entwickeln kann, meint Hurlbut. Technology Review sprach mit dem Forscher über ANT und seine Realisierbarkeit.

Technology Review: Herr Hurlbut, was brachte Sie dazu, sich das ANT-Verfahren auszudenken?

William Hurlbut: Als sich der Bioethik-Ausschuss des Präsidenten 2002 traf, um die Ethik der Stammzellforschung zu debattieren, war schnell klar, dass beide Seiten wichtige, positive Dinge erreichen wollten – auf der einen Seite die Menschenwürde in ihrem frühesten Stadium zu schützen, auf der anderen Seite, wichtige Fortschritte in Wissenschaft und Medizin zu erreichen. Als ich damals dabeisaß und mir diese Diskussion anhörte, dachte ich schnell: "Warum gibt es keine Antwort auf dieses Dilemma? Gibt es keine dritte Option, einen Weg, der beide Ziele erreichbar macht?"

Ich erinnerte mich dann an die Dermoidzysten, jene gutartigen Eierstocktumore, die alle Arten von Zellen, Geweben und Teilorganen des menschlichen Körpers produzieren können. Etwas Ähnliches wie embryonale Stammzellen würde darin ganz bestimmt produziert. Ich dachte mir: Wenn die Natur das kann, können wir das auch. Es musste also einfache technologische Neuerungen geben, die wir in Verbindung mit einem Zellkerntransfer einsetzen könnten, sodass wir embryonalartige, pluripotente Stammzellen produzieren. Und zwar ohne jenen einheitlichen Organismus herstellen zu müssen, den das menschliche Embryo darstellt.

TR: Produziert ANT denn tatsächlich pluripotente Stammzellen?

Hurlbut: Rudy Jaenisch vom MIT erhielt sie. Er injizierte einige dieser Zellen lebenden Mäusen, und sie bildeten dann Tumore, die alle Gewebearten enthielten. Sprich: Ja, es funktioniert. Der nächste Schritt wäre nun, ANT auch bei Primaten, konkret bei Rhesusaffen, zu untersuchen. Wenn es dort klappt, dann können wir mit gutem Gewissen und der gegebenen Vorsicht mit der Arbeit an menschlichen Zellen weitermachen.

TR: Wie lässt sich das Problem lösen, wenn hier nur ein Embryo mutiert wird, das dann kein echtes Embryo mehr ist?

Hurlbut: Das ist genau die falsche Art, zu umschreiben, was hier getan wird. Die Vorstellung, dass wir hier ein Embryo mutieren, ist eine ungenaue und irreführende Darstellung. Ziel des Projektes ist, dass erst gar kein Embryo geschaffen wird. Es geht hier nicht um ein Fehlbildung bei Embryonen, sondern um eine Insuffizienz in der Ausgangskomponente, die wir ausnutzen. So entsteht erst gar kein lebendiges Wesen.

TR: Shinya Yamanaka und anderen ist es gelungen, erwachsene Hautzellen zu embryonalen Stammzellen umzuprogrammieren. Warum sollten wir mit ANT noch weitermachen?

Hurlbut: Yamanakas Zellen sind sehr, sehr interessant und könnten das Problem lösen, wie wir an Stammzellen des embryonalen Typus gelangen können. ANT bringt die Dinge jedoch ganz zum Anfang zurück, ins Stadium einzelner Zellen. Wir würden so die ethischen Grundlagen und technologischen Werkzeuge erhalten, die frühe Entwicklung des Menschen genau zu untersuchen, ohne dass wir Embryonen schaffen und zerstören müssen.

TR: Gibt es Umstände, unter denen Sie die Forschung an embryonalen Stammzellen dulden würden?

Hurlbut: Ich bin keineswegs ein Gegner der grundsätzlichen Forschung an embryonalen Stammzellen. Ich habe ein moralisches Problem damit, wie sie gewonnen werden, nicht aber mit der Verwendung der Zellen an sich. Ich bin dagegen, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu zerstören.

TR: Was sind die ethischen und moralischen Probleme, denen die Forschung in den Neurowissenschaften gegenübersteht?

Hurlbut: Eine der wichtigsten Fragen dabei ist, wie wir die neurologische Entwicklung während der Embryonalphase mit moralischen Werten in Beziehung setzen. Es gibt ja einige Leute, die sagen, dass wir es nicht mit einem bewussten Wesen, ja, einem seiner selbst bewussten Wesen zu tun haben. Wir wissen aber selbst nicht genau, was Bewusstsein ist. Die meisten Neurophysiologen glauben aber, dass es frühestens ab der 18. oder 20. Woche vorhanden ist.

Sprich: Ohne starke moralische Prinzipien könnte sich so die Diskussion darum, wie lange Stammzellforschung vertretbar ist, weiter nach hinten verschieben – von den jetzt erlaubten Forschungen im Alter von bis zu 14 Tagen zu späteren Stadien. Was die Finanzierung dieser Studien mit US-Bundesmitteln anbetrifft, sollten wir aber die Prinzipien der Verteidigung menschlichen Lebens beibehalten – und zwar von seinem frühesten Ausgangspunkt in einer einzelnen Zelle an. (bsc)