Atomkraft ohne Kernschmelz-Risiko?

Im Rahmen eines EU-Projekts testen Forscher eine neue Technologie für Kernkraftwerke, die inhärent sicher sein sollen. Bis zu einer Kommerzialisierung solcher Flüssigsalzreaktoren ist es jedoch noch ein weiter Weg.

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Von
  • Richard Martin

Im Rahmen eines EU-Projekts testen Forscher eine neue Technologie für Kernkraftwerke, die inhärent sicher sein sollen. Bis zu einer Kommerzialisierung solcher Flüssigsalzreaktoren ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Seit einigen Jahren sprechen manche Wissenschaftler von einer Rückkehr der Flüssigsalzreaktoren. Betrieben mit flüssigen Brennstoffen statt festen Brennstäben, sollen sie zu einer lang erwarteten "Renaissance der Kernkraft" beitragen. Die jüngsten Entwicklungen sprechen dafür, dass diese alternative Kernkraft-Technologie tatsächlich zumindest langsame Fortschritte in Richtung Kommerzialisierung macht.

Im August hat ein vierjähriges Forschungsprogramm der EU-Kommission namens "Safety Assessment of the Molten Salt Fast Reactor" (Samofar) begonnen, an dem Forschungsinstitute und Universitäten beteiligt sind, darunter die Technische Universität Delft in den Niederlanden, das französische Centre National de la Recherche Scientifique und das Brüsseler Joint Research Centre der Kommission selbst. Ziel des Programms ist, die Sicherheitsvorteile von Flüssigsalzreaktoren zu belegen. Wenn alles läuft wie geplant, könnte Anfang des nächsten Jahrzehnts ein Prototyp gebaut werden.

Erstmals wurden Flüssigsalzreaktoren in den 1960er Jahren am Oak Ridge National Laboratory in den USA gebaut und getestet. Wenn die Technologie irgendwann tatsächlich auf den Markt kommt, wäre das die erste echte Neuerung bei Kernkraft seit drei Jahrzehnten. Bei ihr kommt eine radioaktive Lösung zum Einsatz, in der Nuklearbrennstoffe mit flüssigem Salz vermischt sind. Dafür lässt sich Uran verwenden, ebenso gut aber Thorium, das sauberer, sicherer und reichlicher verfügbar ist als Uran.

Außerdem haben Flüssigsalzreaktoren bauartbedingte Sicherheitsvorteile: Weil ihr Brennstoff flüssig ist, nimmt sein Volumen bei Erhitzung zu, so dass die Kernreaktion verlangsamt wird – ein Mechanismus der Selbstregulierung. Darüber hinaus sind diese Reaktoren angelegt wie Badewannen: mit einem Abfluss am Boden, der von einem Pfropfen verschlossen ist. Wenn irgendetwas schief geht, schmilzt dieser Pfropfen, und der Kernbrennstoff läuft in ein abgeschirmtes Behältnis unter der Erde. Derartige Reaktoren lassen sich als Wärmekraftwerk einsetzen oder als "Verbrenner" von Atommüll aus konventionellen Reaktoren.

Damit könnten Flüssigsalzreaktoren im Wesentlichen zwei Probleme lösen, die der Kernkraftbranche seit Langem zu schaffen machen: Sicherheit und Entsorgung.

Die theoretischen Vorteile sind seit einiger Zeit bekannt. Trotzdem befinden sich Flüssigsalzreaktoren noch im Entwicklungsstadium, denn die niedrigen Gaspreise und die Fukushima-Katastrophe machten es schwierig, Investoren für alternative Nukleartechnologien zu gewinnen. In den USA kann es allein mehr als ein Jahrzehnt dauern und Hunderte Millionen Dollar kosten, der Nuclear Regulatory Commission ein neues Reaktordesign zur Genehmigung vorzulegen.

Der Fokus bei Samofar liegt auf schnellen Reaktoren, die effizienter sind als konventionelle Leichtwasserreaktoren und spaltbare Elemente aus Atommüll erbrüten können. Die EU-Forscher wollen nun Laboranlagen nach diesem Prinzip bauen, um die Geometrie des Pfropfens, die Korrosionsprofile von Behälter- und Rohrmaterialien, das Verhalten des flüssigen Brennstoffs im Kreislauf und beim Abfließen sowie andere Sicherheitsaspekte zu testen. Ein tatsächlich funktionierender Reaktor soll vorläufig nicht entstehen.

Das Projekt ist "der erste Schritt in Richtung einer Validierung und Demonstration der Technologie im großen Maßstab", sagt Jan-Leen Kloosterman, Professor für Kernphysik an der TU Delft und leitender Forscher im Samofar-Projekt. "Hoffentlich werden die Ergebnisse auch zu deutlich mehr Beteiligung der Kernkraftbranche selbst führen."

Diese Beteiligung zu bekommen, ist nicht leicht. Ein Bericht der Londoner Marktforschungsfirma Energy Process Developments, finanziert von der britischen Regierung, nennt allerdings Technologien von sechs potenziellen Entwicklern von Flüssigsalzreaktoren – Flibe Energy, Moltex Energy, ThorCon Power, Seaborg Technologies, Terrestrial Energy und Transatomic Power – und sieht ermutigende Signale für eine Weiterentwicklung in den nächsten zehn Jahren. Nach einem Jahrzehnt Arbeit seien die Unternehmen "jetzt bereit für Vorschläge zum nächsten Schritt der Einführung".

Das am weitesten fortgeschrittene Programm für Thorium-Reaktoren mit flüssigen Brennstoffen ist jedoch in China angesiedelt. Nach Berichten soll das Shanghai Institute of Applied Physics vorhaben, schon in den nächsten Jahren einen Prototypen zu bauen. Bei diesem Programm gibt es eine Kooperation mit dem Oak Ridge National Laboratory, wo die Technologie der Flüssigsalzreaktoren entstanden ist.

(sma)