10 Technologien, die verschwinden sollten
Fortschritt geht immer weiter - doch manche Technologien haben es verdient, beschleunigt zu Grabe getragen zu werden.
- Bruce Sterling
Fortschritt geht immer weiter - doch manche Technologien haben es verdient, beschleunigt zu Grabe getragen zu werden. Der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling nennt seine Kandidaten
Technologien kommen, Technologien gehen - oder wann haben Sie zuletzt einen Planwagen gesehen? –, aber selten werden sie gezielt ausgesucht und zum Tode verurteilt. Manche Technologien aber sind so offensichtlich widerwärtig, dass die Menschheit froh sein könnte, wenn es sie nicht gäbe. Eine kluge Gesellschaft würde junge Innovatoren belohnen, wenn sie sich um das Auslöschen von unnützen Technologien bemühen würden, die von früheren, weniger fortschrittlichen Generationen erfunden wurden.
1. ATOMWAFFEN: Es gibt gute Argumente für Kernforschung – medizinische Radioisotopen sind ziemlich nützlich und wirklich weite Reisen durch den Weltraum ohne Atomenergie kaum möglich. Aber es gibt keinen Grund für uns, weiterhin so zu tun, als ob wir halbe Kontinente am Stück plattmachen müssten.
Atomwaffen sind nicht nur technisch gesehen unelegant, sie verraten auch einen unverhohlenen Todeswunsch, der besser zu al-Qaida passt als zu einem zivilisierten Volk. Ein gut organisierter Staat kann heutzutage jedes denkbare Ziel mit GPS-Genauigkeit auslöschen. Konventionelle "daisy cutters" und Streubomben können in jeder vom Militär gewünschten Größe und Durchschlagskraft eingesetzt werden. Damit bleibt für Atombomben nur noch ein einziges Einsatzgebiet: Terrorismus. Sie eignen sich hervorragend für Angriffe von feindlichen Organisationen auf Regierungszentren, sind aber für Regierungen ziemlich nutzlos im Kampf gegen Terroristen.
Warum also bauen wir diese teuren, gefährlichen, leicht zu stehlenden Dinger immer noch? Wenn alle Nuklearwaffen morgen verschwunden wären, würde sich die militärische Lage keinen Deut verändern. Die USA wären immer noch die stärkste Streitmacht der Welt. Aber es wäre deutlich unwahrscheinlicher, dass wir eines Morgens aufwachen und feststellen, dass Paris oder Washington weg ist.
2. KOHLE-ENERGIE: Kohle ist keine einzelne Technologie, vielmehr eine ganze Gruppe - und sämtliche Mitglieder sind schlecht oder ziemlich schlecht. Kohle war der urzeitliche Brennstoff für die industrielle Revolution. Kohle trieb die ersten Dampfmaschinen an, deren Killerapplikation es war, Wasser aus Kohleminen zu pumpen. Kohle trieb auch die Eisenbahnen an, deren Killerapplikation es war, Kohle zu transportieren.
Dummerweise haben wir diese Spielchen jetzt 200 Jahre lang gemacht, und Kohle wird von Tag zu Tag hässlicher. Wenn Ihre Wirtschaftsprüfer so gut sind wie die von Enron, können Sie behaupten, Kohle sei eine billige Energiequelle. Aber wenn Sie sauren Regen, den Klimawandel und medizinische Kosten mit einbeziehen, wird ganz schnell klar, dass Kohle eine Landplage ist. Pro Einheit Energie verschmutzt Kohle die Luft stärker als jeder andere fossile Brennstoff. Die Kohle-Gewinnung zerstört riesige Landstriche. Kohle-Abbau gehört zu den gefährlichsten Jobs der Welt.
Wenn Kohle morgen verschwunden wäre, würden wir sie vermissen: Die USA würden ein Viertel ihrer Energieversorgung verlieren. Nicht schön, aber dieser Ausfall ist nichts im Vergleich zur Aussicht auf einen schwarzen Himmel über China und Meere, die sich aus ihrem Bett erheben. Je früher wir uns von dieser zerstörerischen Sucht lösen, desto weniger werden wir zu bereuen haben.
3. VERBRENNUNGSMOTOREN: Zugegeben: Als früherer Bewohner des 20. Jahrhunderts werde ich das laute, herzerweichende "wrrrooäääää" eines Zweitakter-Motorrads vermissen. Und Liter für Liter, Kalorie für Kalorie, Benzin ist wirklich die Königin der flüssigen Brennstoffe. Aber wenn Sie in einer geschlossenen Garage stehen und irgendein Verbrennungsmotor dabei läuft, sterben Sie. Das ist schlecht. Und sogar die besten dieser Motoren stinken, dass einem die Augen tränen.
Verbrennungsmotoren sind groß und unhandlich. Sie sind schwierig einzustellen, und sie verschwenden eine Menge Energie, nur um ihr eigenes Gewicht zu bewegen. Es gibt ein gut eingeführtes System von Tankstellen für sie, aber trotzdem müssen sie von Wasserstoff und Brennstoffzellen abgelöst werden – die sind einfacher, sicherer und sauberer. Wenn Sie wirklich lauten Macho-Motorenlärm brauchen, warum nehmen Sie ihn nicht einfach auf und hören ihn sich im Autoradio an?
4. GLÜHLAMPEN: Eigentlich müsste man sie eher als "Heizlampen" bezeichnen. Gedacht als Beleuchtungstechnologie, produzieren sie neunmal mehr Hitze als Helligkeit. Na gut, sie machen immer noch schöneres Licht als Neonröhren oder Leuchtdioden. Aber an natürliches Tageslicht reichen sie nicht heran. Der hohe Preis, die Zerbrechlichkeit, das dauernde Auswechseln, die Verschwendung von Energie, Glas und Glühfaden, der alberne Versuch, mit Klimaanlagen gegen ihre Hitze anzukämpfen - sehen wir es ein: Dieses Zeug hat es verdient zu verschwinden.
Es wird von einer überlegenen Technologie ersetzt werden, irgendetwas Billiges, Kühles und genau Gefertigtes, das mit Wellenlängen strahlt, die genau auf das menschliche Auge abgestimmt sind. Und unsere Nachkommen werden unsere vakuumverpackten Drähte ansehen, als wären es Walöl-Laternen.
5. LANDMINEN: Der Planet ist voller gut meinender Nichtregierungsorganisationen, die gegen Landminen protestieren. Ihre Klagen sind völlig berechtigt, wenn man sich klarmacht, dass Landminen vor allem für eines geeignet sind: Friedliche Menschen in die Luft zu jagen, sobald der Krieg vorbei ist.
Während des Krieges sterben nur wenige Soldaten durch Minen, denn gleich dahinter warten meistens Feinde mit Schusswaffen. Und wenn sich die Armeen auflösen – und das tun sie alle früher oder später –, töten die Landminen gar keine Kämpfer mehr. Stattdessen töten sie Tiere, die Aufgeweckteren und Neugierigeren unter den Kindern und die Frauen und Männer, die nach dem Abzug der Soldaten versuchen, das Land wieder bewohnbar zu machen.
Man kann sich für den Einsatz automatisierter Bomben aussprechen, die ohne menschliches Zutun töten. Schließlich sind sie das Ergebnis eines langen technischen Trends, der fortgeschrittenen Gesellschaften mit Ingenieuren einen Vorteil verschafft gegenüber solchen, die nur mit Hacken und Äxten operieren. Aber es ist dumm, tödliche Waffen herzustellen und zu verstreuen, die nicht merken, dass der Krieg zu Ende ist.
6. BEMANNTE RAUMFAHRT: Man mag diese schillernde Technologie nicht gern gehen sehen, aber wenn man die Romantik aus dem Spiel lässt, bleibt nicht viel übrig. Nach jahrzehntelanger Forschung ist jetzt klar, dass es nicht gesund ist, im Sonnensystem herumzufliegen. Ohne die Belastung durch die Schwerkraft bauen menschliche Knochen ebenso ab wie bei anhaltender Bettruhe, und die Muskeln schrumpfen. Kosmische Strahlen durchdringen Raumschiffwände und menschliche Körper, Sonnenstrahlen können Astronauten ebenso sauber grillen wie Atombomben. Dass Raumfähren obendrein inhärent instabil und gefährlich sind, will ich gar nicht erwähnen, denn das ist ein wichtiger Teil ihrer Attraktivität.
China hat den ersten "Taikonauten" ins All geschickt und ist mit einiger Verspätung zur dritten All- Macht aufgestiegen. Als Beweis für seine Stärke ist das definitiv besser, als zum Beispiel in Taiwan einzumarschieren. Ich verspreche deshalb, die bemannte Raumfahrt der Chinesen mit großem Interesse zu verfolgen und vielleicht sogar Anstecknadeln und Aufkleber zu kaufen, aber, ehrlich gesagt, ansonsten gibt es da nicht viel zu holen.
In gut 30 Jahren ist es nicht gelungen, Männer oder Frauen weiter als in eine niedrige Erdumlaufbahn zu befördern. Wir werden dieses Erlebnis also auch nicht messbar vermissen. Es hat nicht viel Sinn, auf dem Mond herumzulaufen, ein paar Flaggen und Fußabdrücke dazulassen und dann wieder zurückzufliegen. Diese Technologie gehört ins Museum - solange, bis wir uns genetisch so umgebaut haben, dass wir kosmische Strahlen genießen, oder bis es Raketen gibt, die einen Campingwagen aus purem Blei ins All transportieren können.
7. GEFÄNGNISSE: Die Meinung, dass Gesetzesübertreter rehabilitiert werden können, wenn man sie anständig behandelt, ist zurzeit eher unpopulär. Aber selbst wenn man Kriminelle gnadenlos bestrafen und sie aus dem Sichtfeld anständiger Menschen entfernen will, gibt es dafür bessere, billigere und effizientere Methoden als Gefängnisse. Elektronische Fußfesseln und allgegenwärtige Computer bieten jede Menge Möglichkeiten. Und man muss sie nicht einmal unbedingt als Strafen für Softies ansehen: Sie können so brutal und außergewöhnlich sein, wie man möchte.
Wer in den USA sein internes Visum (früher bekannt als "Führerschein") verliert, wird schnell feststellen, dass Händler seine Kreditkarte nicht mehr akzeptieren, Fluggesellschaften ihn nicht mehr mitnehmen und dass er trotz seines sonnigen Lächelns und seines guten Benehmens alle möglichen weiteren Zwänge erlebt. Flughäfen in den USA sind schon heute, abgesehen vom Namen, Kerker-Center, in denen man etwas trinken und schlechte Musik hören kann. Wozu also brauchen wir noch die Riten mit Eisenstangen, Uniformen und Gefangenentransporten? Technisch gesehen sind sie redundant.
8. KOSMETISCHE IMPLANTATE: Lebendiges menschliches Gewebe mit großen Mengen einer künstlichen Substanz aufzupusten, hat etwas Erschreckendes. Dass die Leute Eitelkeit aufgeben werden, ist natürlich nicht zu erwarten. Aber jede wirklich fortschrittliche medizinische Technologie würde schlicht das echte Fleisch in die gewünschte Form wachsen lassen - anstatt es mit Fensterkitt aufzupusten. Bei ernst zu nehmender Kosmetik ist Silikon kein Ersatz für Fleisch, und das Gleiche gilt für Gel, Salzlösungen und Kollagen.
9. LÜGENDETEKTOREN: Sie funktionieren einfach nicht. Sie mögen dabei helfen, einen Verdächtigen beim Verhör unter zusätzlichen Stress zu setzen, aber die Reaktionen der Haut und die Herzfrequenz haben mit dem Lügen wenig zu tun. Der Einsatz von Lügendetektoren ist im Wesentlichen ein Voodoo-Ritual, das es großen Institutionen erlaubt, sich in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit ihrer Angestellten in die Tasche zu lügen.
Und wenn Lügendetektoren doch funktionieren würden - vielleicht mit neuartigen Magnetresonanz-Scans des Gehirns –, würden sie eine Orwell'sche Qualität bekommen. Obendrein würden sie zu einer gesellschaftlichen Revolution führen; führende Persönlichkeiten müssten durch die Bank zugeben, dass sie ihre Vita mit Schönfärberei und Wunschdenken manipuliert haben.
Die offizielle Version unseres Lebens unterscheidet sich aufs Stärkste von der inneren Welt unserer privaten Gedanken. Wenn wir technisch gezwungen wären, unser wahres Ich kennen zu lernen und zu offenbaren, würden die meisten von uns schnell bemerken, dass sie ein unreifes Leben voller stiller, intellektueller Verzweiflung führen, in dem sich gedankenmäßig nicht viel abspielt.
10. DVDs: Die DVD mag das am schnellsten verbreitete Stück Konsumelektronik aller Zeiten sein, aber es würde etwas fehlen, wenn ich mich nicht auch über ihre Schwächen beklagen würde. Erstens und schlimmstens sind DVDs unerträglich empfindlich. Alles was man theoretisch an "besseren Bildern" gewinnen kann (auf welchem HDTVSuperfernseher noch mal?), wird mehr als überwogen von den katastrophalen Auswirkungen eines einzigen Fingerabdrucks oder Kratzers. Außerdem werden sich DVDs als physische Objekte genau wie CDs irgendwann verformen und die Beschichtung verlieren.
Am widerlichsten aber ist der fest eingebrannte Info-Müll auf DVDs. Er zwingt einen dazu, Werbung zu erleiden, der man sich durch die Vorlauftaste am Videorekorder noch glücklich entziehen konnte. Auch der Kopierschutz funktioniert nicht vernünftig, und der Anreiz für Raubkopien ist riesig, weil digitale Filmdaten anders als analoge Bänder bei der Vervielfältigung nicht an Qualität verlieren.
DVDs haben also den Nachteil von Piraterie und organisiertem Verbrechen ohne den Vorteil kostenlosen, einfachen Vertriebs. Eines Tages wird offensichtlich sein, was sie wirklich sind: Kollateralschaden beim Konsumenten im traurigen, endlosen ZermĂĽrbungskrieg der Medienindustrie mit digitalen Inhalten. (sma)