Linux-Gaming: Shadowrun: Hong Kong
Zum dritten Mal lädt das Team um Shadowrun-Erfinder Jordan Weisman von Harebrained Schemes zum Spiel in den Schatten ein. c't hat sich unter Linux angesehen, ob "Shadowrun: Hong Kong" Spieler ähnlich fesselt wie seine Vorgänger.
Lange Zeit waren wir nicht mehr in Hong Kong, bis uns unser Ziehvater um dringende Hilfe bei einer Angelegenheit aus seiner Vergangenheit gebeten hat. Jetzt sind wir gelandet und kurz davor, das andere Adoptivkind unseres Ziehvaters zu treffen. Da werden wir bereits von der Polizei und anderen Schergen der übermächtigen Konzerne gejagt...
Willkommen in den Schatten: Zum nunmehr dritten Mal präsentiert das Studio Harebrained Schemes um Shadowrun-Erfinder Jordan Weisman ein via Kickstarter (Co-)finanziertes Spiel im Cyberpunk-Universum.
Um es gleich vorweg zu nehmen: "Shadowrun: Hong Kong" bietet vor allem mehr des bekannten Prinzips seiner Vorgänger, insbesondere von "Shadowrun: Dragonfall". Verbesserungen fanden im Detail statt, etwa beim stark erweiterten Matrix-Modus mit individuell gestalteten Systemen, neuen Abwehrprogrammen und erweiterten Spielmechaniken. Die Geschichte und die Charaktere sind dagegen abgesehen von einigen Anspielungen und Anknüpfungspunkten komplett neu.
Doch der Reihe nach: Zu Beginn erstellt man sich einen eigenen Charakter. Dabei kann man die sogenannten Karma-Punkte entweder ganz frei auf die diversen Eigenschaften verteilen oder eine Vorlage wie "Decker" (die Hacker im Shadowrun-Universum) oder "Schamane" wählen und nur noch im Detail anpassen.
Auch wenn die Vorlagen diesen Eindruck erwecken mögen – es gibt keine festen Klassen in Shadowrun. Was der eigene Charakter kann, hängt allein von den Attributen und Fertigkeiten ab, in die man Punkte investiert hat. Dabei lohnt es, sich auf ein paar wenige Bereiche zu konzentrieren – wer alles kann, kann nichts davon richtig und hat es dann im weiteren Spielverlauf deutlich schwerer. Wir entschieden uns neben ein paar Punkten in Konstitution, Reflexe und Fernkampf vor allem in unsere Intelligenz, sowie Decking-Fertigkeiten zu investieren. Außerdem lohnen sich für den Hauptchrakter auch noch ein paar Charisma-Punkte, weil man damit zusätzliche Optionen in Gesprächen erlangt, die wieder einen wichtigen Teil in "Shadowrun: Hong Kong" darstellen. Wer (noch) nicht sattelfest im Shadowrun-Universum und Regelwerk ist, muss sich keine Sorgen machen: Das Spiel erklärt die einzelnen Optionen in einer Hilfe und mit Tooltips.
Shadowrun: Hong Kong (13 Bilder)

Gezeichnetes Intro
Die Hong-Kong-Kampagne beginnt direkt mit einer durch die Kickstarter-Co-Finanzierung ermöglichten Neuerung: Zwischensequenzen sind nun gezeichnet, animiert und synchronisiert. Als wir an einem Kai des Victoria Harbours stehen, treffen wir unseren "Bruder", der in der Zwischenzeit Polizist geworden ist, und seine Kollegin – Polizisten sind im Shadowrun-Universum keine Beamten mehr, sondern Mitarbeiter einer Firma, an die die Polizeidienste ausgelagert wurden. Auf den Weg in Richtung Innenstadt stellen wir fest, dass wir und die beiden Polizisten zwischenzeitlich zu Terroristen erklärt wurden und nun von einer Spezialeinheit gejagt werden. Da kommt es gelegen, dass wir direkt zwei weitere Mitglieder unseres zukünftigen Teams treffen. Dank dieser beiden und unserem Verhandlungsgeschick können wir erst einmal im Stadtteil Heoi unter dem Schutz der Triaden bleiben – solange wir uns dafür als Shadowrunner verdingen.
Heoi bildet unsere Heimatbasis für das weitere Spiel. Dort können wir während des weiteren Verlaufs bei den lokalen Händlern bessere Ausrüstung erwerben oder mit den Anwohnern und unseren Team-Mitgliedern sprechen. Aus diesen Gesprächen entwickeln sich zuweilen Nebenmissionen oder neue Aspekte für einen regulären Auftrag beziehungsweise die Hauptgeschichte.
Einmal will etwa Racter, unser Rigger (ein Rigger steuert zum Beispiel Drohnen), auf einen bestimmten Auftrag aus persönlichen Gründen unbedingt mitgenommen werden, ein anderes Mal helfen wir Gaichu, einem ehemaligen Elitesoldaten, bei der Vergangenheitsbewältigung. Neben unserem Kernteam können wir (gegen Geld) auch noch weitere Söldner anheuern. Diese sind häufig etwas stärker als das eigene Team, entwickeln aber naturgemäß keine vergleichbare Charaktertiefe.
Wie schon aus "Shadowrun: Dragonfall" gewohnt, lassen sich nur die Fähigkeiten der eigenen Team-Mitglieder anpassen. Dazu entscheidet man sich dann beim "Levelaufstieg" zwischen je zwei besonderen Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten stellen jeweils einen Aspekt des Charakters dar: Bei Gaichu kann man sich also etwa zwischen dem Ausbau seiner Ghul-Fähigkeiten und der Verbesserung seines Samurai-Trainings entscheiden. Für welchen Pfad man sich entscheidet, steht einem bei jedem Level-Aufstieg neu offen; man muss also keiner Seite treu bleiben.
Bei der Technik des Spiels hat sich wenig geändert gegenüber den Vorgängern: Wir sehen das Geschehen nach wie vor in einer zoombaren isometrischen Ansicht. Auch die Menüs und Interface sehen weitestgehend wie bei den Vorgängern aus. Dabei ist die Spielwelt nicht vollständig in 3D gehalten, sondern wieder in 2.5D umgesetzt worden. Dennoch sieht das Spiel schön aus und häufig kann man beim Hineinzoomen noch kleine Details erkennen.
Größte und offensichtlichste Neuerung ist das Hacken eines Computersystems: Statt wie bisher mehr oder minder immer gleich auszusehen und auch nur mit einfachem Kampf im virtuellen Raum auszukommen, gibt es nun individuell gestaltete Systeme, mehr Gegnertypen und ein zusätzliches Puzzle-Minispiel, mit dem sich etwa den Zugang zu Datenspeichern freischalten lassen. Bei den neuen digitalen Abwehrprogrammen (im Spiel kurz IC für Intrusion Countermeasure genannt) fallen vor allem die Wächter auf: Diese patrullieren auf vorgegeben Pfaden und sollten tunlichst umgangen werden. Denn jede Runde, die man im Sichtbereich eines Wächters bleibt, erhöht den Systemalarm-Level. Ist das Maximum erreicht, wird das zusätzliche, potentiell tödliche Programme alarmiert – und häufig auch Security-Personal in der realen Welt.
Besonderheiten unter Linux
Das Haupttestsystem nutzte den freien "radeonsi" Treiber aus dem Mesa-Projekt für eine AMD Radeon R9 290. Auch bei den Hardware-Anforderungen ist "Shadowrun: Hong Kong" sehr bescheiden (Minimum laut Harebrained Schemes: 1,8-GHz-CPU, GPU mit 256 MB VRAM, 10 GB Speicherplatz und 2 GB RAM). Da das Spiel wie schon "Hand of Fate" (in der Zwischenzeit gab es für "Hand of Fate" ein Update auf Version 5) auf der Unity3D-Engine in Version 4 basiert, erkennt auch "Shadowrun: Hong Kong" den VRAM nicht korrekt. Dank der geringeren Anforderungen hat das aber selbst bei 2560 × 1440 Pixeln Auflösung nicht zu matschigen Texturen geführt. Dennoch wäre es wünschenswert, dass Harebrained Schemes sich entweder um ein Upgrade auf Unity3D 5 oder um den Patch, der GLX_MESA_query_renderer implementiert, für die ältere Version bemüht. Weitere spezielle Linux-Probleme sind mit dem Unity3D-4-basierten Spiel während des Tests auf mehreren Systemen nicht aufgetreten.
Fazit
Unterm Strich ist "Shadowrun: Hong Kong" vom Spielprinzip her sehr ähnlich zu "Shadowrun: Dragonfall", erzählt aber eine vollständig neue und spannende Geschichte mit vielen neuen Charakteren. Wem die Vorgänger gefallen haben oder wer einfach ein tolles Rollenspiel – mit Fokus auf der Geschichte und den Charakteren – erleben möchte, kann bedenkenlos zugreifen. Man sollte lediglich keine Angst vor viel Text haben, denn außerhalb der taktischen, rundenbasierten Kämpfe, finden große Teile des Spiels im mächtigen Dialogsystem statt. Das gesamte Spiel ist bislang nur in englischer Sprache erhältlich.
Shadowrun: Hong Kong ist ab 20 € bei Steam, im Humble Store und DRM-frei bei GOG erhältlich. Die Steam-Version integriert den Steam Workshop für von Nutzern erstellte Kampagnen, Gegenstände und Texturen. (uk)