Handy-Daten liefern tiefe Einblicke in Gesellschaften

Mobilfunkstationen erfassen, wo sich Nutzer aufhalten und was sie mit ihren Geräten machen. Auf aggregierter Ebene lassen sich daraus mit den richtigen Werkzeugen höchst interessante Erkenntnisse gewinnen.

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  • TR Online

Mobilfunkstationen erfassen, wo sich Nutzer aufhalten und was sie mit ihren Geräten machen. Auf aggregierter Ebene lassen sich daraus mit den richtigen Werkzeugen höchst interessante Erkenntnisse gewinnen.

Daten von Mobiltelefonen revolutionieren unser Verständnis von menschlicher Aktivität. In den letzten Jahren wurden mit ihrer Hilfe beispielsweise Pendler-Muster in großen Städten, die Vermögensverteilung in afrikanischen Ländern und sogar Reproduktionsstrategien in westlichen Gesellschaften analysiert. Ökonomen, Soziologen, Stadtplaner und andere Nutzer bekommen dadurch beispiellose neue Einblicke.

Trotzdem ist derlei moderne Forschung nur der erste Schritt in einem viel weiter reichenden Trend. Telefondaten sind dabei, zu einer Standardressource zu werden, mit der fast jeder die Menschheit kontinuierlich beobachten und analysieren kann – so wie man heute fast in Echtzeit zusehen kann, wie sich das Wetter auf dem Planeten entwickelt.

Eines aber hielt die Entwicklung bislang auf: der Mangel an leistungsfähigen Berechnungswerkzeugen, mit denen sich die vielen Daten sammeln, verarbeiten und präsentieren lassen.

Das könnte sich jetzt geändert haben, dank einer neuen Arbeit von Dániel Kondor und Kollegen vom SENSEable City Laboratory des MIT sowie bei dem Telecom-Netzwerkausrüster Ericsson: Die Forscher haben ein leistungsfähiges Online-Werkzeug vorgestellt, das mit Hilfe von Mobiltelefondaten menschliche Aktivität in Städten überall auf der Welt visualisiert.

Das Werkzeug, genannt ManyCities, gibt beliebigen Nutzern die Möglichkeit, menschliche Aktivität in verschiedenen Städten mit beispielloser Detailliertheit zu untersuchen. Entscheidender aber ist, dass es Daten auf intuitive Weise organisiert und präsentiert, so dass Trends und besondere Ereignisse rasch erkennbar werden.

Für ihr Werkzeug haben Kondor und Kollegen zwischen April 2013 und Januar 2014 Mobiltelefondaten von Basisstationen in Los Angeles, New York, London und Hongkong gesammelt. Zu den Daten zählen die Zahl der getätigten Anrufe, die der verschickten Textnachrichten, die Menge der heruntergeladenen Daten und die Zahl der Daten-Abrufe, jeweils in 15-Minuten-Intervallen.

"Die aggregierten Daten enthalten keinerlei sensitiven Kundeninformationen, bieten aber genügend Details über typische Nutzungsmuster in Gebieten ab der Größe eines kleinen Stadtviertels", schreiben Kondor und Co.

Die Daten werden von ManyCities auf drei einfache Arten präsentiert. Erstens lässt sich nachsehen, wie sich die Telefonnutzung im Zeitverlauf verändert; so sind eindeutige Tages- und Wochenmuster sowie längerfristige Trends zu erkennen. Beispielsweise wurde im Messzeitraum ein stetiger, dauerhafter Anstieg des Datenvolumens registriert. Außerdem waren die Auswirkungen von Ferienzeiten ebenso zu erkennen wie drastische Nutzungsänderungen während wichtiger Ereignisse wie dem Tennis-Turnier Wimbledon in London.

Außerdem können ManyCities-Nutzer tiefer in die Daten einsteigen und so Muster in verschiedenen Vierteln oder Städten vergleichen. Beispielsweise zeigt sich, dass in Hongkong die meisten Textnachrichten morgens verschickt werden, in New York abends und in London am Mittag.

Ebenfalls zu sehen ist eine abendliche Spitze bei der Datennutzung in New York und Hongkong, während das Volumen in London abends abnimmt. "Wir spekulieren, dass dies darin liegt, dass Mobilfunk-Datenvolumen in London am Abend besonders teuer ist, so dass die Kunden zuhause auf die viel billigeren WLAN-Netze umsteigen", heißt es dazu in dem Fachaufsatz von Kondor und seinen Kollegen.

Darüber hinaus zeigt ManyCities Aktivitätscluster in unterschiedlichen Teilen von Städten und kann sie auf dieser Grundlage als Wohn- oder Gewerbegebiete klassifizieren. Auf diese Weise lassen sich Aktivitäten in Städten in unterschiedlichen Teilen der Welt detailliert vergleichen. Als ein interessantes Ergebnis davon berichten Kondor und Co, dass die Aktivität in verschiedenen Gewerbegebieten ähnlich, in Wohngebieten aber sehr unterschiedlich ist. Die Gründe dafür sind allerdings noch nicht klar.

Die letzte Möglichkeit, die Daten darzustellen, ist nach dem reinen Volumen. Dadurch zeigen sich die aktivsten Teile einer Stadt und deren Verschiebung im Lauf der Zeit. Außerdem sind so weltweite Vergleiche möglich.

Die Arbeit der Forscher liefert interessante Einblicke darüber, wie Mobiltelefondaten eine wertvolle Ressource für verschiedenste Nutzer werden dürften. Ihr Werkzeug steht unter ManyCities.org zum freien Ausprobieren zur Verfügung.

Früher oder später dürfte es derartige Werkzeuge auch für Echtzeit-Analysen geben. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie dann für die Planung von Veranstaltungen wie Konferenzen oder sportlichen Wettkämpfen oder von Notfall-Infrastrukturen in Städten genutzt werden könnten. Eines Tages wird es vielleicht sogar "Smartphone-Vorhersagen" geben, bei denen sich Nutzer vorab informieren können, ob ihr Telefon bei einer anstehenden Großveranstaltungen richtig funktionieren wird.

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