Copyright-Streit: Tanzendes Baby kommt vor Geschworene

Eine Mutter wirft dem Label Universal vor, illegal die Löschung ihres Videos verlangt zu haben. Nun sollen Geschworene entscheiden, hat ein US-Berufungsgericht befunden. Dessen Ausführungen wirken weit über den Einzelfall hinaus.

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Screenshot des Videos

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) möchte mit dem Musterprozess überschießende Takedown Notices eindämmen.

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Inhaltsverzeichnis

Eine Zwischenentscheidung in einem berühmten Copyright-Verfahren enthält überraschende Ausführungen, die Rechteverwerter sowohl freuen als auch enttäuschen werden. Im Verfahren Lenz v. Universal Music geht es eigentlich um die Frage, ob Universal wissentlich falsch behauptet hat, dass ein Familienvideo US-Copyright verletzt. Gegebenenfalls muss Universal wegen Copyright-Missbrauch Schadenersatz leisten. Es handelt sich um einen Musterprozess gegen überbordende Sperrverfügungen.

Universal gibt zu, gar nicht formal geprüft zu haben, ob das Video unter die gesetzliche Fair Use Doktrin (etwa "faire Nutzung") fällt. (Für eine Erläuterung von Fair Use siehe Warum Google Books in den USA legal ist bei heise online.) Trotzdem will Universal der Urheberin des Videos, Stephanie Lenz, keinen Schadenersatz leisten. Denn damalige Sichtung habe einem sinngemäßen Fair-Use-Check entsprochen.

Lenz hat allerdings Beweise vorgelegt, wonach Universal Music sich im konkreten Fall zur Frage des Fair Use gar keine Meinung gebildet hat. Die Berufungsrichter des 9. Bundesgerichtsbezirks betonen, dass Rechteinhaber auf Fair Use prüfen müssen, bevor sie eine Sperrverfügung nach dem Digital Millennium Copyright Act (DMCA) ausstellen. Wer ohne Prüfung eine Sperre verlange, werde schadenersatzpflichtig.

Das ist ein Rückschlag für Universal Music. Nun müssen Geschworene feststellen, ob Fair Use vorliegt und ob sich der Konzern 2007 eine Meinung dazu gebildet hat. Das hatte schon der Bundesbezirksrichter vorgesehen, dessen Entscheidung hiermit bestätigt wurde. Er wird den Geschworenenprozess einleiten.

Doch die drei Berufungsrichter haben in ihren Ausführungen gleich mehrere juristische Feststellungen getroffen, die unter US-Juristen sowie in der Copyright-Branche für Aufsehen sorgen. Fair Use wurde bisher überwiegend als Mittel der Verteidigung betrachtet: Wer Copyright verletzte und belangt wurde, konnte sich gegebenenfalls auf Fair Use berufen, um der Bestrafung zu entgehen.

Die USA setzen als einziges Land auch in Zivilverfahren auf Geschworene.

(Bild:  Commonwealth of Massachusetts)

Das Berufungsgericht des 9. Bundesbezirksgerichts schreibt der Fair Use Doktrin nun aber eine viel stärkere Rolle zu: Fair Use ist demnach schon von vornherein eine Situation, in der gar kein Verstoß gegen Copyright vorliegt: "Fair Use ist keine gesetzliche Entschuldigung, es ist eine volle gesetzliche Genehmigung."

Verletzt eine Äußerung aber kein Copyright, ist sie zusätzlich vom Recht auf Freie Meinungsäußerung geschützt. Dieses Recht ist im 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung festgeschrieben und wird besonders weit ausgelegt. Unter anderem dürfen Strafen für Meinungsäußerungen, die sich im Nachhinein als rechtswidrig entpuppen, nicht zu hoch ausfallen. Denn sie sollen Bürger nicht davon abschrecken, ihre Meinung zu äußern.

Die aktuelle Entscheidung könnte also in strittigen Fällen, die dann doch kein Fair Use sind, zu niedrigerem Strafschadenersatz führen. Mit parallelen Argumenten wie bei Fair Use könnte zudem der Erschöpfungsgrundsatz von einer Verteidigung zu einem eigenständigen Recht aufgewertet werden. Das könnte wiederum die Strafen bei bestimmten Grauimporten reduzieren.

Der 9. Bundesgerichtsbezirk.

(Bild: 9th Circuit)

Erfreulicher für Rechteinhaber ist, dass das Berufungsgericht sehr geringe Anforderungen an sie stellt. Ihre Prüfung, ob Fair Use vorliegt, "muss nicht suchend oder intensiv" ausfallen. Ja, "die Bildung der subjektiven Meinung erfordert nicht, dass die angeblich rechtsverletzenden Inhalte untersucht werden." Es reicht, Überschriften und ähnliche Texte auf einer Website auszuwerten. Ein Rechteinhaber muss sich also gar nicht vergewissern, ob eine Website tatsächlich irgendein geschütztes Werk bereitstellt oder verlinkt, bevor er eine Sperre verfügt.

Und solange der Rechteinhaber irgendwie zu der Auffassung gelangt, dass kein Fair Use vorliegt, muss er keinen Schadenersatz leisten. Das gilt selbst dann, wenn seine Einschätzung objektiv falsch ist. In diesem Punkt widerspricht allerdings einer der drei Richter. Er legt den DMCA so aus, dass Rechteinhaber keine wissentlich falschen Behauptungen über die Rechtslage machen dürfen – und nicht bloß keine wissentlich falschen Behauptungen über ihre eigene Meinung. Damit blieb er aber in der Minderheit.

Darüber hinaus heißt das Berufungsgericht die weithin geübte automatisierte Auswertung von Online-Inhalten gut: "Wir stellen fest, ohne zu urteilen, dass die Implementierung von Computeralgorithmen den Eindruck erweckt, ein valider und gutgläubiger Kompromiss zu sein, um eine Vielzahl von Inhalten zu verarbeiten und gleichzeitig (...) Fair Use irgendwie zu berücksichtigen."

Das könne zumindest dann der Fall sein, wenn ein Computer feststellt, dass Videospur und Audiospur einem geschützten Werk entsprechen und fast das gesamte Video aus einem einzelnen geschützten Werk besteht. Menschliche Mitwirkung wäre nur zur Sichtung der "minimalen verbleibenden Menge von Inhalten, die kein Computerprogramm heraussucht" erforderlich.

(ds)