Wo Europa am verwundbarsten ist

Eine neue Studie zeigt, dass der globale Wandel Alpen und Mittelmeerregion am stärksten treffen wird.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ute Kehse
  • Susanne Katzenberg

Wenn es um das Thema Klimawandel geht, beherrschte bislang vor allem ein Punkt die öffentliche Diskussion: Wie lässt sich der Anstieg des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre bremsen? Doch inzwischen machen sich erste Folgen der globalen Erwärmung bemerkbar: Krankheiten und Schädlinge dringen weiter nach Norden vor, Hitzewellen und Dürren häufen sich, die Gletscher schmelzen und der Meeresspiegel steigt. "Es geht jetzt nicht mehr nur darum, Emissionen zu vermeiden, sondern auch darum, sich an die Veränderungen anzupassen", sagt die Biologin Dagmar Schröter, die derzeit an der Harvard University die Folgen des globalen Wandels erforscht. Welche Veränderungen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu erwarten sind und welche Möglichkeiten der Anpassung es gibt, ist das Thema einer groß angelegten, von Schröter koordinierten Studie unter dem Namen Advanced Terrestrial Ecosystem Analysis and Modelling. Gerade hat das Team, das aus Forschern von 16 europäischen Instituten besteht, eine Quintessenz der Ergebnisse in der Zeitschrift Science veröffentlicht.

In Europa, schreiben die Forscher, steige die Durchschnittstemperatur bis 2080 um 2,1 bis 4,4 Grad Celsius. Das stellt vor allem die Gebirgsregionen und den Mittelmeerraum vor große Probleme. Es sind aber auch positive Entwicklungen zu verzeichnen: So nimmt die Waldfläche insgesamt zu. Die Landwirtschaft wird weniger Fläche benötigen, so dass überschüssige Areale anderweitig genutzt werden können, heißt es in Science. "Die positive Nachricht ist, dass Europa einigen Spielraum hat, auf den globalen Wandel zu reagieren", sagt Schröter. "Es muss aber noch eine ganze Menge geschehen, damit die Chancen auch genutzt werden." Der Klimawandel selbst wird überwiegend negative Folgen haben, sagt die Harvard-Forscherin, die bis vor kurzem am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) arbeitete. "Die Erwärmung können wir nicht mehr aufhalten, da müssen wir uns auf Einiges gefasst machen."

Die größten Probleme sind im Bereich Wasser zu erwarten: Schon jetzt steht knapp der Hälfte der EU-Bevölkerung pro Kopf weniger als 1700 Kubikmeter Wasser pro Jahr zur Verfügung, bis 2080 werden der Studie zufolge weitere zwei Fünftel der Mittelmeerbevölkerung unter Wassermangel leiden. "Dürren und Waldbrände nehmen zu, in einigen Gebieten Südeuropas wird Landwirtschaft praktisch unmöglich", berichtet Schröter.

Eine wichtige Veränderung, so zeigt die Studie, besteht außerdem darin, dass sich der Zeitpunkt der Niederschläge verschiebt: Im Sommer regnet es generell weniger, im Winter mehr, wobei der Niederschlag weniger in Form von Schnee, sondern verstärkt als Regen fällt. Da das Regenwasser sofort abfließt, steigt zum einen die Gefahr von Überschwemmungen im Winter. Zum anderen sinken die Pegelstände der Flüsse im Sommer, wenn der Wasserbedarf am größten ist. Während Rhone, Rhein und Donau zurzeit im Mai und Juni am meisten Wasser führen, ist in Zukunft schon im März mit den höchsten Pegelständen zu rechnen. "Die Wasserkraftwerke und die Binnenschiffahrt werden sich umstellen müssen", sagt Dagmar Schröter.

Neben dem Mittelmeerraum haben die Forscher die Alpen als Region mit dem größten Schadenspotenzial identifiziert. Vor allem der Tourismus ist betroffen. Am Ende des 21. Jahrhunderts werden 1300 Meter hohe Skigebiete nicht mehr schneesicher sein. Erst ab einer Höhe von 1500 bis 1750 Metern können Wintersportorte mit einer verlässlichen Schneedecke rechnen. So hoch liegt nur etwa die Hälfte aller schweizer Skiparadiese. Die biologische Vielfalt der Alpen ist durch den Klimawandel ebenfalls gefährdet: Während Tiere und Pflanzen in anderen Gebieten Europas ihren Lebensraum bei steigenden Temperaturen zumindest theoretisch einfach nach Norden verlagern könnten, bieten sich für die Bergbewohner kaum Ausweichmöglichkeiten.

Die Forscher rechnen damit, dass die Landwirtschaft insgesamt effektiver wird und deshalb weniger Fläche für die Produktion von Nahrung benötigt wird. Sofern sich das derzeitige Subventionssystem ändert, könnte das überschüssige Land für andere Zwecke genutzt werden, zum Beispiel für den Naturschutz oder zum Anbau von Pflanzen wie Raps, Soja, oder Sonnenblumen, die zu Biodiesel weiterverarbeitet werden können. Das würde dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen zu senken. Insgesamt erwarten die Forscher, dass die Landwirtschaft schnell auf veränderte Klimabedingungen reagieren kann. Lediglich im Mittelmeerraum schränkt sich die Auswahl an Nutzpflanzen drastisch ein: Die zu erwartende Hitze und den geringen Niederschlag vertragen nur wenige Arten, zum Beispiel Olive, Erdnuss oder Kaktusfeige.

Fokus auf Deutschland

Ergänzend zur gesamteuropäischen Studie richteten Teilnehmer des Ateam-Projektes unter Leitung von Wolfgang Cramer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung ihren Blick gezielt auf Deutschland. Die Ergebnisse dieser Untersuchung stellte das Umweltbundesamt bereits im September vor. Demnach haben die Bewohner von Nordwestdeutschland am wenigsten vom globalen Wandel zu befürchten. In Teilen Ostdeutschlands könnten dagegen Niederschlagsverhältnisse einkehren wie heute in Südspanien - mit allen damit verbundenen Problemen für Land- und Forstwirtschaft. Der äußerste Südwesten Deutschlands und die Lausitz, wo es jetzt schon am wärmsten ist, werden den stärksten Temperaturzuwachs zu verzeichnen haben. Bei Hitzewellen wie im Sommer 2003 könnten dort ältere Menschen in Zukunft gesundheitliche Probleme bekommen.

In Deutschland ist insgesamt mit feuchteren, wärmeren Wintern und heißeren, trockeneren Sommern zu rechnen, schreiben die Forscher. Dadurch steigt zum Beispiel das Risiko für Hochwasser, zum anderen können sich womöglich bestimmte Krankheiten, wie die von Zecken übertragene Borreliose, weiter verbreiten. Die Chancen, die sich Deutschland bieten, liegen im Bereich des Tourismus, der vom besseren Wetter im Sommer profitieren könnte. In Norddeutschland könnten sich außerdem für die Landwirtschaft bessere Bedingungen bieten.

Ein neuer Ansatzpunkt der Studie bestand darin, nicht nur die Klimaveränderung in die Rechnung einzubeziehen, sondern auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Dafür benutzten die Forscher vier Szenarien, in denen zum Beispiel Bevölkerung und Wirtschaft unterschiedlich stark wachsen und die Entwicklung mehr oder weniger nachhaltig verläuft. "Die Szenarien decken nicht das gesamte Handlungsspektrum ab, aber sie zeigen Möglichkeiten auf", berichtet Dagmar Schröter.

Damit die Studie tatsächlich Beachtung findet, haben Schröter und ihre Kollegen von Anfang an Sachverständige aus Wirtschaft und Politik in das Projekt einbezogen. "Die Gespräche mit diesen Experten halfen uns dabei, einzuschätzen, welche der zukünftigen Entwicklungen tatsächlich Probleme aufwerfen und welche Veränderungen zu bewältigen sind", berichtet Rik Leemans von der niederländischen Universität Wageningen, einer der Leiter des Projektes. Umgekehrt sei vielen der Experten erstmals bewusst geworden, welche konkreten Folgen der Klimawandel für sie haben wird. Die ersten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: "In der Schweiz haben einige Gemeinden damit begonnen, die Gletscher im Sommer mit Plastikfolien abzudecken", erzählt Leemans. In Deutschland wird der Klimawandel bei der Planung für die Zukunft bislang kaum berücksichtigt, berichtet Dagmar Schröter. Um die zu erwartenden Schäden zu minimieren, müsse sich das schnell ändern, sagt die Forscherin: "Die Themen müssen jetzt auf den Tisch und nicht erst, wenn die Schäden schon eingetreten sind." (wst)