Post aus Japan: Kraftwerksstandort Meer

Auf der Suche nach neuem Absatzpotenzial hat ein japanischer Rivale von Siemens eine neue Nische entdeckt: schwimmende Gaskraftwerke.

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Von
  • Martin Kölling

Auf der Suche nach neuem Absatzpotenzial hat japanischer Rivale von Siemens eine neue Nische entdeckt: schwimmende Gaskraftwerke.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Vielleicht haben Japans geographische Lage und Topografie einen hiesigen Schwerindustrie- und Schiffsbaukonzern im globalen Wettbewerb der Kraftwerksbauer auf eine interessante Idee gebracht: schwimmende Gas-Kraftwerke. Japan ist schließlich eine Inselnation, die meisten großen Städte liegen am Wasser. Gleichzeitig muss das bebaubare Land für Menschen, Landwirtschaft und Industrie reichen.

Was liegt da näher, als das Wasser als Bauraum zu nutzen, mögen sich die Ingenieure von Mitsubishi Heavy Industries (MHI) gesagt haben. Der Konzern, der von Atomreaktoren über Gas- und Windkraftwerke, Flugzeuge und Raketen bis hin zu U-Booten und Zerstörern, so ziemlich alles baut, für das man große Mengen Stahl benötigt. Und Stahl braucht das Kraftwerk massiv, das an Bord eines schwimmenden Kolosses Flüssiggas (LNG) zur Stromerzeugung verfeuert.

Die kompakte Stromfabrik besteht aus einem Führerstand, zwei LNG-Tanks, einer Anlage, wo das LNG wieder in Gas verwandelt wird und dann natürlich noch dem Kraftwerksblock mit 250 Megawatt Leistung. Das ist immerhin ein Viertel eines gewöhnlichen Atomreaktors.

Die Erwartungen an die neue Idee sind hoch. Denn MHI hofft, mit diesem schwimmenden Kraftwerk im harten Kampf um das wachsende Heer von stromhungrigen Kunden aus südostasiatischen Schwellenländern und der Golfregion einen Wettbewerbsvorteil vor Siemens und GE zu erringen. MHI baut schon LNG-Tanker und kombiniert dieses Knowhow nun mit seinen Erfahrungen aus dem Chemieanlagenbau und dem Turbinen- und Kraftwerksgeschäft. Die Rivalen haben hingegen keine eigenen Werften und damit Schwierigkeiten, die Idee zu kopieren.

Derzeit werben MHIs Verkäufer besonders in inselreichen, aufstrebenden Ländern wie Philippinen und Indonesien, die einen schnell wachsendem Strombedarf befriedigen müssen. Die Vorteile von schwimmenden Kraftwerken sind offensichtlich: Die Betreiber müssen keine Grundstücke kaufen. Auch Umweltgutachten sollen einfacher zu erstellen sein. Die Kraftwerke können beispielsweise in einem Hafen vertäut werden. Und sie sind groß genug, dass LNG-Tanker an ihnen anlegen können. Man braucht daher nicht einmal eine neue Mole für sie zu bauen.

Damit lässt sich besonders auf Inseln, die oft ein eigenes Stromnetz haben und Elektrizität teuer mit Ölkraftwerken produzieren, schnell der Strombedarf decken. Braucht man mehr Kraftwerke, muss man nicht erst mehrjährige Ausschreibungen durchlaufen, sondern ruft – stark vereinfacht gesagt – einfach beim Mitsubishi-Händler an. Und etwas später geht so ein Kraftwerk vor Anker.

Doch ob die Japaner ihre Schiffe loswerden, muss sich noch zeigen. Denn die Anschaffungskosten sind mit mehr als 300 Millionen Euro pro Schiff nach Angaben japanischer Medien noch höher als vergleichbare landgestützte Kraftwerke. Der Preis soll aber auf das Niveau von konventionellen Lösungen fallen, sobald MHI die Schiffe quasi in Serie bauen kann, schreibt die Zeitung Nikkei. Darüber hinaus frage ich mich, wie es mit der Haltbarkeit der Schiffe aussieht. Und ob die schwimmenden Stromproduzenten genauso effizient Gas ausnutzen wie Blockheizkraftwerke, die auch die Abwärme verwenden.

Wie dem auch sei: Ich finde die Idee reizvoll, das Meer verstärkt als Industriestandort und vielleicht auch als Lebensraum zu nutzen. Bereits vor fünf Jahren stellte der Baukonzern Shimizu das Konzept einer riesigen künstlichen Insel vor, die am Äquator im Meer treiben und 50.000 Menschen Platz bieten soll. Angesichts von Klimawandel und steigendem Meeresspiegel könnten solche Hirngespinste schneller Realität werden, als uns lieb ist. ()