Twittern gegen die Ohnmacht: Studenten berichten von rechtsextremen Demos

Zwei Studenten twittern regelmäßig von fremdenfeindlichen Demos. Unter rechten Demonstranten sind sie nicht gern gesehen. Manchmal wird es brenzlig.

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Kein Mensch ist illegal

(Bild: @streetcoverage)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nils Bastek
  • dpa
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Heidenau hat ihn und seinen Kumpel bekanntgemacht. Als rechte Krawallmacher vor einem Monat Polizisten mit Steinen bewerfen, ist Alexej Hock mittendrin. Er beobachtet die Randalierer, spricht mit Polizisten. Über Twitter verbreitet er die neuesten Entwicklungen in der sächsischen Kleinstadt: "Hochgradig aggressive Stimmung. Polizei hat Schwierigkeiten, Lage unter Kontrolle zu halten", ist dort neben zahlreichen anderen Tweets zu lesen. Mehr als 30 Polizisten werden bei den Ausschreitungen verletzt. Hock erlebt das hautnah mit und versucht nüchtern zu berichten – ohne Auftraggeber.

Normalerweise ist der Maschinenbau-Student immer mit seinem Kumpel Johannes Filous unterwegs. Ihrem Twitter-Profil "Straßengezwitscher" hat die Berichterstattung aus Heidenau mehr als 2000 zusätzliche Follower beschert. Erst im März hatten sie den Account gegründet und seitdem von zahlreichen Demonstrationen in und um Dresden berichtet. "Aber Heidenau war bisher das Heftigste, das ich erlebt habe", sagt Alexej.

Die beiden Studenten sitzen auf der Terrasse eines Dresdner Restaurants und rauchen. Ein Gefühl von Ohnmacht sei der Auslöser für ihre Twitter-Idee gewesen, sagt Medizin-Student Johannes. Als Anfang März Hunderte Rassisten und Nazis vor der Semperoper protestieren und Rufe wie "Weg mit dem Dreck" zu hören sind, stehen Alexej und Johannes fassungslos daneben. "Es war uns sehr wichtig, dass man diesen Moment festhält und darüber berichtet." "Straßengezwitscher" ist geboren.

Es hat sie seitdem auch in die ein oder andere brenzlige Situation gebracht. Als sie nach einer rechten Kundgebung in Freital vor einigen Wochen zu ihrem Auto zurückkehren, werden sie bereits erwartet. Fünf Männer stehen vor dem Wagen. Dunkle Kleidung, aggressive Haltung, sagt Johannes. "Da mussten wir flüchten. Wir sind dann mit sechs Polizisten zurückgekehrt, dann sind die Männer gegangen."

Auf mehreren fremdenfeindlichen Kundgebungen wurden sie gezielt fotografiert. Andere Organisationen verwiesen auf ihrer Facebook-Seite auf das "Linksgezwitscher". Zum Beispiel auch die rechte Gruppe "Bürgerwehr Freital". Auf deren Profilfoto ist folgender Spruch zu lesen: "Im Osten ist es Tradition, da knallt es vor Silvester schon."

Mehr als 6000 Leute verfolgen mittlerweile, was die beiden twittern. In den vergangenen Monaten haben die 26-Jährigen zahlreiche Kundgebungen oder auch mal Flüchtlingsfeste begleitet. Meistens sind sie mit Bahn, Bus oder Fahrrad angereist. "Wir haben das komplett selbst finanziert", sagt Johannes.

Erst nachdem im Sommer der Berliner Tagesspiegel über ihr Twitter-Projekt berichtet, fließen einige Spenden auf ihr Konto. Was ihnen aber noch fehlt, sind vor allem weitere Unterstützer. Leute, die mit zu den Demonstrationen in Dresden und Umgebung kommen, wenn einer von ihnen mal verhindert ist.

"Meine Diplomarbeit hat unter unserem Twitter-Projekt ganz schön gelitten", sagt Alexej. "Ich musste den Abgabetermin immer wieder aufschieben." Mittlerweile ist er fertig – und die nächste Idee schon in der Umsetzung. "Wir wollen demnächst auch Live-Bilder von den Veranstaltungen streamen, nicht mehr nur tickern." Ein wenig Material dafür haben sie schon. (anw)